Vorstoß der EU-Kommission zu Gemeinschaftspatent unter heftigem Beschuss

Anwaltskammern, nationale Regierungsvertreter und Mittelstandsverbände sind sich im Dauerstreit um die Reform des Patentwesens einig, dass die Binnenmarktkommission mit ihrem Harmonisierungsansatz falsch liegt.

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Anwaltskammern, nationale Regierungsvertreter und Mittelstandsverbände sind sich einig, dass die EU-Kommission mit ihrem Ansatz zur Harmonisierung des europäischen Patentsystems über ein Gemeinschaftspatent falsch liegt. Ansonsten laufen die Auffassungen über erforderliche Maßnahmen zur Reform des Patentwesen jedoch weit auseinander. Während die eine Seite die weitgehende Vergabepraxis des Europäischen Patentamts (EPA) auch bei Computerprogrammen etwa über die Einrichtung einer neuen übergeordneten Streitgerichtsbarkeit sanktionieren will, drängen Kritiker auf einen klareren Ausschluss gerade von Software von der Patentierbarkeit. Dies geht aus ersten Antworten auf die noch bis Ende März laufende Konsultation der Binnenmarktkommission zur Entwicklung einer künftigen Patentstrategie hervor.

Klare Worte hat etwa die Patentanwaltskammer in ihrer Stellungnahme (PDF-Datei) gefunden: "Die mögliche Fortentwicklung des Patentschutzsystems in Europa sollte nicht zum Anlass genommen werden, das in Europa geltende materielle Patentrecht oder das Patenterteilungsverfahren des Europäischen Patentamts zur Disposition zu stellen", halten die Vertreter der Zunft fest. Es gebe keinen Anlass für eine politische Grundsatzdiskussion, was "auch für die Gebiete Software und Biotechnologie" gelte. Noch fehle aber eine "übergeordnete Instanz", welche die "bereits auf hohem Niveau erfolgte Harmonisierung der Rechtsprechung weiter entwickelt" und dabei personelle Ressourcen wie "Richter und Anwälte mit langjähriger Erfahrung auf diesem Rechtsgebiet" der Mitgliedsstaaten nutze.

Als "einziges realistisches Projekt zur notwendigen weiteren Vereinheitlichung des Verfahrensrechts" betrachtet die Kammer das European Patent Litigation Agreement (EPLA). Mit dem Streitregelungsabkommen, das etwa auch von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries befürwortet wird, würde nach Ansicht von Beobachtern die Stellung des EPA weiter ausgebaut. Im Kern vergleichbar mit den Patentanwälten hat sich auch der Deutsche Anwaltsverein zu Wort gemeldet (PDF-Datei).

Der mittelständische Unternehmerverband patentfrei.de warnt derweil, "dass die Pläne der EU-Kommission zum Europäischen Gemeinschaftspatent in ihrer aktuellen Fassung große Gefahren für alle IT-Entwickler und -Anwender in der EU bergen". Das EPA erteile seit Jahren entgegen dem Wortlaut und Geist des geltenden Gesetzes Patente auf reine Softwarelösungen. Der Entwurf der Regelung zum Gemeinschaftspatent sehe ähnlich wie das EPLA die Schaffung einer neuen europäischen Rechtsprechungsinstanz vor, die Fakten auf Basis des EPA-Fallrechts setzen könnte. Es sei so zu befürchten, dass die über 30.000 bereits bestehenden Softwarepatente "mit einer einzigen höchstrichterlichen Entscheidung rechtlich durchsetzbar werden." Die Vereinigung ruft daher zur regen Beteiligung an der Umfrage auf und hat zur leichteren Bearbeitung eine Web-Fassung des Fragebogens erstellt.

Allgemeine Hinweise zur Beteiligung an der Konsultation gibt der Gründer der Kampagne NoSoftwarePatents.com, Florian Müller. Da man sich zum Verständnis der Materie eigentlich "durch hunderte Seiten" an Gesetzesvorlagen oder Vertragsentwürfen wühlen müsste, hat er einen Überblick (PDF-Datei) über die Thematik sowie ein Positionspapier (PDF-Datei) im Namen der Firmen 1&1, Materna und MySQL erstellt. "Die Einführung eines Gemeinschaftspatents vor einem Paradigmenwechsel in der Patentpolitik würde eine Ausweitung großer Probleme wie der Patentinflation zur Folge haben", heißt es darin. Am Streitregelungssystem für Patente sollten generell keine Änderungen vorgenommen werden, solange das Europäischen Patenteinkommen und sein Verbot der Erteilung von Softwarepatenten nicht eingehalten werde.

Unisono mit dem Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII) plädiert Müller dafür, dass ein neuer Harmonisierungsvorschlag auf den Anträgen basieren müsste, die mehrere Fraktionen des EU-Parlaments vor der letzten Abstimmung zur Softwarepatent-Richtlinie im Frühsommer vergangenen Jahres eingebracht hatten. Darin wird das Patentkriterium der Technizität an die "angewandten Naturwissenschaften" gekoppelt, um Patenten auf Software und mathematische Regeln einen Riegel vorzuschieben. Der FFII selbst stellt die Konsultation in Frage. Er begründet dies mit "schweren Fehlern" der Kommission, die das Papier nicht einmal in den meisten EU-Sprachen verfügbar gemacht habe. Einem normalen Unternehmer erschließe sich die Brisanz des Themas nicht anhand des zur Verfügung gestellten Materials. Nichtsdestoweniger hat der Verein ein umfangreiches Hintergrundpapier (PDF-Datei) mit der Forderung nach einem baldigen neuen Gesetzgebungsverfahren zum Ausschluss von Softwarepatenten unter Beteiligung des EU-Parlaments erarbeitet.

Nach einer "klaren und legislativ fassbaren Definition" eines Merkmals wie dem Naturkräftebezug, mit dem zwischen "patentierbar" und "nicht patentierbar" unterschieden werden kann, verlangt auch die im Linux-Verband aktive Göttinger Firma SerNet. Patente sind ihrer Ansicht nach "nur ein mögliches Werkzeug sind, um Innovation anzuregen". Einer "zentralistischen Gerichtsbarkeit" für Patente erteilt das Open-Source-Unternehmen eine Absage, da diese kaum kontrollierbar sei.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (anw)