Berufe mit Zukunft: Warum KI-Embryologen künftig wichtig werden
Forschende nutzen Künstliche Intelligenz im Medizinbereich mittlerweile auch, um die Gesundheit von Babys im Mutterleib in Echtzeit zu überwachen.
(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)
Embryologen sind die Wissenschaftler hinter den Kulissen der künstlichen Befruchtung, der In-vitro-Fertilisation, kurz IVF. Sie überwachen die Entwicklung und Auswahl von Embryonen, bereiten sie für den Transfer vor und kümmern sich um die Pflege der Laborumgebung. Seit Jahrzehnten spielen sie eine wichtige Rolle in der IVF, doch in den letzten Jahren ist ihre Arbeit deutlich anspruchsvoller geworden. Die Nachfrage nach Fertilitätsbehandlungen ist sprunghaft angestiegen und die Kliniken haben Mühe, mit der Nachfrage Schritt zu halten. Tatsächlich herrscht etwa in den Vereinigten Staaten ein kritischer Mangel an Embryologen und genetischen Beratern. Klaus Wiemer, erfahrener Embryologe und Leiter eines IVF-Labors, glaubt, dass Künstliche Intelligenz helfen könnte, indem sie den Zustand von Embryonen in Echtzeit vorhersagt und damit neue Wege für die Produktivität im Labor eröffnet.
Wiemer ist heute Chief Scientific Officer und Leiter der klinischen Abteilung bei Fairtility, einem Unternehmen, das KI einsetzt, um die Lebensfähigkeit von Eizellen und Embryonen vor einer IVF-Behandlung zu untersuchen. Der Algorithmus des Unternehmens namens CHLOE ("Cultivating Human Life through Optimal Embryos") wurde anhand von Millionen von Embryo-Einzeldaten und Forschungsergebnissen trainiert und kann die Embryonen einer Patientin schnell analysieren, um Ärzten diejenigen mit dem höchsten Potenzial für eine erfolgreiche Implantation aufzuzeigen. Das, so das Unternehmen, werde die Zeit bis zur Schwangerschaft und erfolgreichen Geburt verkürzen. Obwohl die Wirksamkeit der Technik bisher nur retrospektiv getestet wurde, ist CHLOE das erste und einzige von der US-Medizinaufsicht FDA zugelassene KI-Tool zur Embryonenbewertung.
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Aktuelle Herausforderung
Wenn sich eine Patientin dem IVF-Prozess unterzieht, ist das Ziel, genetisch normale Embryonen zu erzeugen. Embryologen entnehmen Zellen aus jedem Embryo und schicken sie zur externen genetischen Untersuchung ein. Die Ergebnisse dieser Biopsie können bis zu zwei Wochen dauern, und der Prozess kann die Behandlungskosten um Tausende von Euro erhöhen – zumindest in den USA. Ferner bedeutet das Bestehen des Screenings lediglich, dass ein Embryo die richtige Anzahl von Chromosomen hat. Diese Zahl spiegelt nicht unbedingt den allgemeinen Gesundheitszustand des Embryos wider.
"Ein Embryo hat eine einzige Funktion, nämlich sich zu teilen", sagt Wiemer. "Es gibt Millionen von Datenpunkten zur Zellteilung des Embryos, zu den Merkmalen der Zellteilung, zur Fläche und Größe der inneren Zellmasse und zur Anzahl der Kontraktionen der Trophoblasten [der Schicht, aus der sich später die Plazenta entwickelt]." Das KI-Modell ermöglicht es, eine Gruppe von Embryonen in jeder Entwicklungsphase ständig anhand der optimalen Merkmale zu messen. "CHLOE gibt Antwort auf die Fragen: Wie gut hat sich dieser Embryo entwickelt? Verfügt er über alle notwendigen Komponenten, die für eine gesunde Einnistung erforderlich sind?", sagt Wiemer. CHLOE erstellt einen KI-Score, der alle Analysen widerspiegelt, die für einen Embryo durchgeführt wurden. Bald, so Wiemer, sollte die Reduzierung des Anteils abnormer Embryonen, die IVF-Kliniken Patienten einsetzen, keine Biopsie mehr erfordern: "Jedes Embryologielabor wird automatische Bewertungen der Embryonalentwicklung durchführen."
Ein sich wandelndes Fachgebiet
Wiemer, der seine Karriere in der Tierwissenschaft begann, sagt, der Unterschied zwischen tierischer und menschlicher Embryologie liege im Umfang der Bürokratie. "Embryologen verbringen 40 Prozent ihrer Zeit mit Tätigkeiten, die nichts mit Embryologie zu tun haben", fügt er hinzu. "KI wird es uns ermöglichen, das Gebiet der Embryologie zu entrümpeln, damit wir wieder echte Wissenschaftler sein können." Das bedeutet, dass sie mehr Zeit damit verbringen können, die Embryonen zu untersuchen, sicherzustellen, dass sie sich normal entwickeln, und all diese neuen Informationen zu nutzen, um besser entscheiden zu können, welche Embryonen in den Körper transferiert werden sollten.
"CHLOE ist wie ein virtueller Assistent im Labor", sagt Wiemer. Das System erstellt etwa auch Berichte und hilft bei der Verwaltung. "Es lohnt sich, solche Daten zu untersuchen und zu sehen, was die Embryonenentwicklung beeinflusst, da dies vor einigen Jahren noch unmöglich war."
Dieser Beitrag ist zuerst auf t3n.de erschienen.
(jle)