Bundesregierung liebäugelt mit EU-weiter Vorratsspeicherung der TK-Verbindungsdaten

Das Justizministerium kann angesichts der terroristischen Bedrohung kaum noch Gründe finden, die einer Pauschalüberwachung der Nutzer entgegen stünden.

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Die Bundesregierung hat ihre prinzipiellen Bedenken gegen eine Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten aufgegeben. Dies geht aus der Antwort von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervor, die heise online vorliegt. Demnach erinnert sich die Regierung zwar noch daran, dass sie während der Debatte um eine Vorratsdatenspeicherung im Rahmen der Novelle des Telekommunikationsgesetz im Frühjahr aufgrund der Unverhältnismäßigkeit der pauschalen Verdächtigung der Nutzer und damit einhergehenden datenschutzrechtlichen Problemen sowie der wirtschaftlichen Auswirkungen klar gegen die kostspielige Maßnahme votiert hat. Doch angesichts der Erwägungen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die der Europäische Rat nach den Anschlägen von Madrid vorgebracht hat, müsste die Einführung einer Mindestspeicherungsfrist von Telekommunikationsverkehrsdaten auf europäischer Ebene neu diskutiert werden. Dabei seien die bislang verbliebenen Fragen "vorrangig und fundiert" zu klären.

Für sich selbst hat das Justizministerium aber schon Antworten gefunden. Um die Vorratsdatenspeicherung für die Strafverfolger zweckmäßig zu gestalten und die Ermittler nicht in den Fluten der Verbindungsdaten ersticken zu lassen, hängt seiner Ansicht nach "maßgeblich von den zu speichernden Datenarten, der Speicherungsdauer, der effizienten Nutzbarkeit des Datenmaterials und der näheren Ausgestaltung späterer Zugriffsmöglichkeiten der Ermittlungsbehörden auf diese Daten ab". Laut Zypries ist die Datenvorratshaltung, die an sich eine sehr weit greifende und unspezifische Maßnahme darstellt, also durchaus machbar, solange sie anhand der aufgeführten Kriterien gezähmt wird. Einen größeren Vertrauensverlust der Bürger in die Nutzung der Telekommunikations- und Netzmedien, wie ihn Organisationen der Zivilgesellschaft, Datenschützer sowie auch die FDP befürchtet, erwartet die Regierung daher nicht.

Auch einen Dämpfer für die wirtschaftliche Dynamik des Telekommunikationssektors befürchtet das Justizministerium nicht mehr. Die Speicherungsdauer dürfe eben nicht "übermäßig lang" sein und müsse für alle Anbieter und Betreiber gleich gelten. Zudem prüft die Regierung, inwieweit der Staat eine "angemessene Entschädigung" für das Vorhalten der Datenberge durch die Wirtschaft zahlen könne. Mit einer Wiedergutmachung hofft man in Berlin, den geschlossenen Widerstand der Branche aufbrechen zu können. Noch ist sich das Justizministerium in der Beurteilung der ökonomischen Auswirkungen aber noch nicht einig. So erwähnt es in der Antwort auch, dass die Verpflichtung zur Datenjagd auch "in einem Spannungsverhältnis zu dem vom EU-Gipfel in Lissabon beschlossenen Ziel stehen" könne, "Europa bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsstärksten Wirtschaftsregion der Welt zu machen". Die USA wollen ihrer TK-Industrie nämlich Vergleichbares nicht zumuten.

Eine mögliche Teilübernahme der Kosten hält Zypries wiederum für gerechtfertigt, weil "die Auskunft über bestimmte Telekommunikationsverkehrsdaten für eine erfolgreiche Arbeit" der Strafverfolger "von wesentlicher Bedeutung" sein könne. Dabei hat ihr Ministerium vor allem IP-Adressen im Visier, ohne die "bestimmte Ermittlungen im Bereich der Internetkriminalität" nicht Erfolg versprechend durchgeführt werden könnten. Bedenken der FDP, dass die Vorratsspeicherung gegen den datenschutzrechtlichen Grundsatz der Sparsamkeit bei der Verwertung personenbezogener Informationen verstoße, wendet die SPD-Politikerin ein, dass diese Bestimmung doch nur als Bestandteil des Konzepts "Datenschutz durch Technik" formuliert worden und dem verfassungsrechtlichen Verhältnisgrundsatz untergeordnet sei. Eine Erfolgsgarantie für eine effektivere Strafverfolgung qua Vorratsdatenspeicherung kann sie gleichzeitig aber nicht geben: Statistiken, denen zufolge eine solche Maßnahme zur Verbesserung der Verbrechensbekämpfung führen, sind ihr nicht bekannt.

Interessanterweise erfolgt der Richtungswechsel der Bundesregierung just in dem Moment, wo der Bundesrat als bisheriger starker Befürworter der Pauschalbeschnüffelung der Nutzer den Druck abschwächt und zumindest die Wirtschaftspolitiker im Bundestag auch an ihrer Ablehnung festhalten. Hans-Joachim Otto, der als medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion neben der Innenpolitikerin Gisela Piltz die Anfrage hauptsächlich mit unterstützte, zeigte sich nach einer ersten Durchsicht von den skizzierten Vorschlägen denn auch nicht angetan. Er fordert die Bundesregierung weiter auf, sich eindeutig von den Plänen zur Einführung einer EU-weiten Vorratsdatenspeicherung zu distanzieren. (Stefan Krempl) / (anw)