Portable Waldluft

Ein japanischer Hersteller hat einen handygroßen Ionen-Luftreiniger auf den Markt gebracht. Er soll Großstädter mit sauberer Luft umgeben und gleichzeitig deren Haut auffrischen.

vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling

Ein japanischer Hersteller hat einen handygroßen Ionen-Luftreiniger auf den Markt gebracht. Er soll Großstädter mit sauberer Luft umgeben und gleichzeitig deren Haut auffrischen.

Viele Ideen entstammen der Not. In diesem Sinne konnte das folgende Produkt wahrscheinlich auch nur in den weitgehenden entbaumten und zugevölkerten Mega-Metropolen Asiens entwickelt werden – und nicht in, wie ich mir bei meinem jüngsten Deutschlandaufenthalt wieder in Erinnerung rufen durfte, parkähnlichen deutschen Städten. Die Rede ist von künstlich erzeugter "Waldluft" – und zwar zum Umhängen.

Kürzlich hat der japanische Elektronikkonzern Sharp seine "Plasmacluster" genannte Phalanx an Ionen schleudernden Luftreinigern um eine 150 Gramm schwere, etwa Smartphone große transportable Einheit erweitert. Das Gerät kann um den Hals gehängt, per USB-Kabel an den Computer und ans Stromnetz angeschlossen werden und dann seinen Besitzer auf Schritt und Tritt mit "guten" Ionen umhüllen. So soll er vor unwillkommenen Viren, Schimmelpilzen und anderen fiesen Stoffen geschützt werden. Dazu verspricht Sharp noch eine Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. "Der Nutzen ist nicht sofort zu sehen", sagt Noboru Fujimoto, der für Gesundheitsprodukte und LEDs zuständige Konzernvorstand, "aber nach zwei Wochen merken Sie, dass sich die Haut straffer anfühlt". Rund 18.000 Yen (170 Euro) soll der Spaß kosten.

Die Ionen sind nun schon ein verdammt alter Schrei in Japan. Seit der Jahrtausendwende statten Hersteller Luftreininger, Klimaanlagen, Föhne, Ventilatoren, Staubsauger, Kühlschränke, Wäschetrockner und unzählige andere Geräte mit "Minus-Ionen"-Generatoren aus. Doch eine so kleine Einheit hat noch niemand auf den Markt gebracht.

Und so soll sie funktionieren: Durch die Anlage von Hochspannung an Elektroden erzeugt das Gerät durch die Ionisierung von Wasser und Sauerstoff der Raumluft positiv und negativ geladene Ionen, um die sich Wassermoleküle ansammeln. Sharp nennt das "Plasmacluster". Die Ionen setzen sich auf Moleküle in der Raumluft, um denen dann die fehlenden Ionen abzuziehen – und wieder zu Wasser zu werden. Dadurch zerstören sie die Hülle dort befindlicher Stoffe und Viren und reduzieren deren schadhafte Wirkungen oder störende Gerüche. So sagen es jedenfalls Sharp und die anderen Befürworter der Technik.

Doch die Idee ist recht umstritten: Kritiker befürchten, dass das in vielen der Geräte entstehende Ozon und die freien Radikale mehr Schaden als Nutzen anrichten. Andere zweifeln sogar die Werbeversprechen der Hersteller an. Sharp reagiert daher interessanterweise so offensiv wie kaum ein anderes Unternehmen mit einem Schachzug: dem Gutachten-Marketing.

Weltweit haben die Japaner verschiedene Institute, in Deutschland unter anderem Forscher der Unis in Aachen und Lübeck, beauftragt, unter Laborbedingungen zu bestätigen, das die Ionen Pollen, Viren und Pilzsporen aufknacken. Und der Konzern wird nicht müde, auf seinen Internetseiten und in den Werbematerialien darauf hinzuweisen. Von Ozon ist dabei wenn überhaupt sehr wenig die Rede, doch sei's drum. Die Ionen-Spender kommen jedenfalls mit ihrem Versprechen auf maschinell erzeugte, frische Atemluft in Japan gut an.

Ozon interessiert offenbar in Japan ohnehin niemanden. Und ich kann es sehr gut nachvollziehen. Subjektiv ist Ozon für viele Menschen angesichts der Pollenallergien und Luftverschmutzung wahrscheinlich wirklich das kleinere Problem. Denn sie können der Großstadt de facto nicht entkommen. Um außerhalb der Dunstglocke des Großraums Tokio mit seinen 36 Millionen Einwohnern Waldluft schnuppern zu können, muss man in aller Regel mindestens eine Stunde (wenn man Glück hat) weit reisen.

Und auch wenn man die Reise einmal auf sich nimmt, ist man meist nicht allein mit der Natur. Sondern drängt sich in den Bahnen und Straßen sowie an den beliebtesten Spots mit vielen anderen Tokiotern, die die Sehnsucht nach Grünem ebenso zur Stadtflucht getrieben hat. Da ist die Verlockung natürlich groß, die Waldluft nach Hause zu holen – und zwar nicht hin und wieder in Tüten, sondern permanent. (bsc)