Diese Startups wollen mit KI vor einem Herzinfarkt warnen – wie das funktioniert
Kardiologen haben oft Schwierigkeiten, das Risiko eines Herzinfarkts einzuschätzen. Mehrere Startups, die KI einsetzen, könnten hier Abhilfe schaffen.
(Bild: fizkes/Shutterstock.com)
Die Kardiologie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark weiterentwickelt. Dennoch fällt es uns nach wie vor schwer, vorherzusagen, wer einen Herzinfarkt erleiden wird und wer nicht. Hinzu kommt: Viele Menschen lassen sich überhaupt nicht untersuchen – und wenn Daten vorliegen, werden sie manchmal nicht oder nur teilweise ausgewertet. Jetzt wollen mehrere Startups wie Bunkerhill Health, Nanox.AI und HeartLung Technologies KI-Algorithmen nutzen, um Millionen vorhandener Computertomografie-Aufnahmen auf frühe Anzeichen von Herzerkrankungen zu untersuchen. Diese Technologie könnte einen Durchbruch für das öffentliche Gesundheitswesen bedeuten – und das mit einem alten, längst vorhandenen Instrument. Künftig sollen Patienten vorab identifiziert werden, deren erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt auf den ersten Blick gar nicht erkennbar ist. Doch bis es soweit ist, muss sich die Technik erst beweisen – auch im Hinblick auf Fehldiagnosen.
Im vergangenen Jahr unterzogen sich schätzungsweise 20 Millionen Amerikaner einer Brust-CT-Untersuchung, entweder nach einem Ereignis wie einem Autounfall oder zur Vorsorgeuntersuchung auf Lungenkrebs. Häufig zeigen diese Untersuchungen auch Anzeichen von sogenanntem Koronarkalk (Coronary Artery Calcium, kurz CAC), einem Marker für das Herzinfarktrisiko, der in einem radiologischen Befund, der sich auf den Ausschluss von Knochenverletzungen, lebensbedrohlichen inneren Organschäden oder Krebs konzentriert, jedoch oft nicht erwähnt oder gar übersehen wird.
Gefahr von Plaque-Rupturen
Spezielle Tests auf CAC sind nach wie vor eine zu wenig genutzte Methode zur Vorhersage des Herzinfarktrisikos. Über Jahrzehnte hinweg durchläuft die Plaque in den Herzarterien ihren eigenen Lebenszyklus und verhärtet sich von lipidreichen Rückständen zu Kalzium. Herzinfarkte treten in der Regel auf, wenn jüngere, lipidreiche Plaques unerwartet aufbrechen und eine Gerinnungskaskade von Entzündungen auslösen, die schließlich die Blutversorgung des Herzens blockieren. Verkalkte Plaques sind in der Regel stabil, aber das Vorhandensein von CAC deutet darauf hin, dass wahrscheinlich auch jüngere, rupturanfälligere Plaques vorhanden sind.
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Koronarkalk kann oft auf Brust-CTs erkannt werden, und seine Konzentration lässt sich subjektiv beschreiben. Normalerweise erfordert die Quantifizierung des CAC-Wertes einer Person jedoch eine herzspezifische CT-Untersuchung. Algorithmen, die CAC-Werte aus routinemäßigen Brust-CTs berechnen, könnten die Erfassung dieser Messgröße massiv erweitern. In der Praxis könnten diese Algorithmen dann dazu eingesetzt werden, Patienten und ihre Ärzte auf ungewöhnlich hohe Werte aufmerksam zu machen und sie zu ermutigen, weitere Untersuchungen durchführen zu lassen. Derzeit ist die Zahl von Startups, die an der KI-basierten Analyse von CAC-Werten arbeiten, noch nicht sehr groß, aber sie wächst schnell. Mit zunehmender Verbreitung könnten ihre Systeme Hochrisikopatienten identifizieren, die bisher übersehen wurden oder nur peripher medizinisch versorgt werden.
Nicht fĂĽr universelle Vorsorgeuntersuchungen geeignet
In der Vergangenheit galten CAC-Scans als von nur geringem Nutzen und wurden auch an gesunde Menschen vermarktet, die Angst vor Herzkrankheiten haben. Auch heute noch übernehmen die meisten Versicherer in den USA die Kosten dafür nicht. Die Einstellung dazu könnte sich jedoch ändern. Immer mehr Expertengruppen befürworten CAC-Scans als Möglichkeit, die Bewertung des Herz-Kreislauf-Risikoprofils zu verfeinern und auch skeptische Patienten davon zu überzeugen, mit der Einnahme von Statinen zu beginnen.
Das Versprechen der KI-abgeleiteten CAC-Werte ist Teil eines breiteren Trends zur Auswertung großer Mengen medizinischer Daten, um bislang unentdeckte Krankheiten zu erkennen. Doch obwohl dies vielversprechend erscheint, wirft diese Praxis viele Fragen auf. So haben sich CAC-Werte beispielsweise nicht als nützliches Instrument für universelle Vorsorgeuntersuchungen erwiesen. Eine dänische Studie aus dem Jahr 2022 zeigte beispielsweise keinen Vorteil hinsichtlich der Sterblichkeitsrate bei Patienten, die sich CAC-Screening-Tests unterzogen hatten. Würde sich diese Rechnung wirklich ändern, wenn uns KI diese Informationen automatisch liefern würde?
Viel mehr Betroffene
Mit der weitverbreiteten Einführung solcher Untersuchungen werden abnormale CAC-Werte zudem zur Normalität werden. Wer in der Medizin verfolgt diese Ergebnisse weiter? "Viele Gesundheitssysteme sind nicht darauf vorbereitet, auf zufällige CAC-Befunde in großem Umfang zu reagieren", sagt Nishith Khandwala, Mitbegründer von Bunkerhill Health. Ohne ein Standardverfahren dafür, sagt er, "riskiert man, den Leuten mehr Arbeit als Nutzen zu verschaffen".
Es stellt sich auch die Frage, ob diese KI-generierten Werte tatsächlich die Patientenversorgung verbessern würden. Für einen symptomatischen Patienten könnte ein darüber festgestellter CAC-Wert von Null falsche Sicherheit bedeuten. Und für asymptomatische Patienten mit einem hohen CAC-Wert bleiben die nächsten Schritte ungewiss.
Wer wĂĽrde profitieren?
Abgesehen von Statinen ist unklar, ob diese Patienten von der Einnahme teurer cholesterinsenkender Medikamente wie Repatha oder anderen PCSK9-Hemmern profitieren würden. Dies könnte einige Betroffene dazu veranlassen, unnötige, aber kostspielige Folgebehandlungen durchzuführen, die sogar schädlich sein könnten. Derzeit werden KI-basierte CAC-Werte von der US-Krankenversicherung Medicare und den meisten privaten Versicherern nicht als separate Leistung erstattet. Problematische Anreize könnten sich ergeben.
Grundsätzlich könnte die KI-Analyse sogar die Art und Weise verändern, wie wir Krankheiten definieren. Adam Rodman, Krankenhausarzt und KI-Experte am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, hat beobachtet, dass KI-basierte CAC-Werte Ähnlichkeiten mit dem sogenannten Inzidentalom aufweisen, einem Begriff für eine Form von Befund, der in den 1980er Jahren geprägt wurde, um unerwartete Ergebnisse bei CT-Scans zu beschreiben. In beiden Fällen wurde das normale Diagnosemuster – bei dem Ärzte und Patienten bewusst Tests durchführen, um die Ursache eines bestimmten Problems herauszufinden – grundlegend durcheinandergebracht. Aber wie Rodman anmerkt, wurden Inzidentalome auch heute noch von Menschen gefunden, die die Scans auswerteten.
"Markenalgorithmen" nur fĂĽr Reiche?
Jetzt, sagt er, träten wir aber in eine Ära der "maschinenbasierten Nosologie" ein, in der Algorithmen Krankheiten nach ihren eigenen Kriterien definierten. Da Maschinen immer mehr Diagnosen stellen, können sie möglicherweise Dinge erkennen, die wir übersehen. Rodman und ich, der ich selbst Arzt bin, begannen uns jedoch zu fragen, ob sich eine zweigeteilte diagnostische Zukunft abzeichnen könnte, in der die "Haves" für Markenalgorithmen bezahlen, während die "Have-nots" sich mit minderwertigeren Alternativen begnügen müssen.
Für Patienten, die keine Risikofaktoren aufweisen oder auch nicht regelmäßig medizinisch versorgt werden, könnte ein KI-abgeleiteter CAC-Score Probleme möglicherweise früher erkennen und das Behandlungsdrehbuch ganz neu schreiben. Wie diese Werte jedoch die Menschen erreichen, was mit ihnen geschieht und ob sie letztlich die Behandlungsergebnisse der Patienten in großem Maßstab verbessern können, bleibt offen. Vorerst spielen Kliniker, die zwischen echten Patienten und deren algorithmischen Ergebnissen hin- und herwechseln können, weiterhin eine wichtige Rolle.
Vishal Khetpal ist Facharzt für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Er ist Autor der US-amerikanischen Ausgabe von MIT Technology Review. Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten geben nicht die Meinung seines Arbeitgebers wieder.
Dieser Beitrag ist zuerst auf t3n.de erschienen.
(jle)