Kritischer Standpunkt: Wikipedia und das vorläufige Wissen

Die Teilnehmer der "Konferenz Wikipedia – ein kritischer Standpunkt" stellten der Online-Enzyklopädie ein durchwachsenes Zeugnis aus: Zwar wurde der Wikipedia eine Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung der Wissensverarbeitung zugesprochen, mit den Ergebnissen zeigte sich jedoch nicht jeder zufrieden.

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Von
  • Torsten Kleinz

Welches Wissen wird auf Wikipedia verbreitet? Wie geht man mit der Vorläufigkeit des freien Wissens um? Die Teilnehmer der Konferenz Wikipedia – ein kritischer Standpunkt in Leipzig stellten der Online-Enzyklopädie ein durchwachsenes Zeugnis aus: Zwar wurde der Wikipedia eine Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung der Wissensverarbeitung zugesprochen, mit den Ergebnissen zeigte sich jedoch nicht jeder zufrieden.

Der Geschichtswissenschaftler Peter Haber hatte mit seinen Studierenden mehrere Wikipedia-Artikel über geschichtswissenschaftliche Themen analysiert und auf Kriterien wie Verständlichkeit, Objektivität und Korrektheit untersucht. Sein Fazit: "Je komplexer die Thematik ist, desto prekärer ist das Ergebnis in der Wikipedia." Zwar habe sein Forschungsseminar kaum Fehler gefunden, dennoch taugten viele Artikel kaum dazu, dem Leser einen umfassenden Einblick in das Themengebiet zu verschaffen. So gebe zum Beispiel der Artikel zum Frühmittelalter nicht die aktuelle Diskussion zum Thema wieder.

Die Wikipedia-Autoren stützen ihre Texte nach den Ergebnissen der Untersuchung oft nur auf einzelnen Quellen aus dem eigenen Sprachraum. Um einen kompetenten Überblick zu bieten, müsste man jedoch die gesamte relevante Literatur kennen, kritisierte der Wissenschaftler. Zudem fehle vielen Wikipedia-Artikeln eine nachvollziehbare Struktur – die englischsprachigen Versionen schnitten hier tendenziell besser ab. Haber zog damit ein negativeres Fazit als zum Beispiel das Wissenschaftsmagazin Nature, das der Online-Enzyklopädie bereits vor fünf Jahren eine sehr hohe Qualität bescheinigt hatte. Gleichzeitig wollte der Historiker der Wikipedia aber nicht pauschal die Zitierfähigkeit absprechen.

Dass Wikipedia trotz der enormen Bedeutung im Netz noch nicht in allen Gesellschaftsschichten angekommen ist, erläuterte Ute Demuth, die seit zehn Jahren in der Erwachsenenbildung tätig ist. "Eigentlich ist die Wikipedia ideal für die politische Bildung", sagte Demuth. An der Online-Enzyklopädie ließen sich der kulturelle Wandel und das Auflösen traditioneller Rollen gut illustrieren. Dennoch lehnten viele Teilnehmer Wikipedia ab, da sie den nutzergenerierten Inhalten gegenüber misstrauisch eingestellt seien. "Die Vorläufigkeit des Wissens ist hier keine Qualität, sondern eine Bedrohung", sagte Demuth. In Zeiten des beschleunigten sozialen Wandels suchten vor allem ältere Bürger eher feste Orientierung. Daher sei auch die Motivation, an Artikeln mitzuarbeiten, nicht besonders hoch.

Dass die Entschleunigung von Wikipedia-Inhalten innerhalb der Plattform neue Probleme verursacht, beleuchtete der Medienwissenschaftler Christian Pentzold. Er hatte die Sperr-Praxis innerhalb der englischsprachigen Wikipedia untersucht. Mit den meist temporären Artikelsperrungen versuchen Wikipedia-Administratoren insbesondere gegen Vandalismus vorzugehen. Innerhalb des Untersuchungszeitraums waren mit 16.000 Artikeln maximal 0,4 Prozent der Wikipedia-Artikel gesperrt.

Ob dieses Mittel auch tatsächlich nötig ist, stellte Pentzold mit seiner Analyse in Frage. So waren von der Maßnahme ausgerechnet die Artikel betroffen, die am meisten gelesen und bearbeitet wurden. Eine Studie habe im Jahr 2007 ergeben, dass Vandalismus in der Wikipedia im Schnitt schon nach zwei Minuten beseitigt wurden. Zwar waren die Artikel im Schnitt nur 16 Stunden gesperrt, die Auswirkungen auf die Editierhäufigkeit der Artikel war jedoch auch später zu registrieren: So bearbeiteten auch 30 Tage nach der Sperr-Rücknahme nicht angemeldete Autoren die betroffenen Artikel deutlich weniger. (anw)