"Es ist den Leuten nicht egal"

Thilo Bode, Gründer der Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, über Zusatzstoffe in Lebensmitteln, "Functional Food" und die Werbestrategien der Industrie.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Thilo Bode, Gründer der Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, über Zusatzstoffe in Lebensmitteln, "Functional Food" und die Werbestrategien der Industrie.

Thilo Bode, geboren 1947, studierte Soziologie und Volkswirtschaft. 1989 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, von 1995 bis 2001 leitete er Greenpeace International. 2002 gründete er in Berlin die Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch.

Technology Review: Herr Bode, Sie sagen in Ihrem neuen Buch "Die Essensfälscher", es gäbe außer zwei Beispielen keine echten Innovationen in der Lebensmittel-Branche...

Bode: Tiefkühlkost war eine wichtige Innovation, und es gibt bei den Herstellungsprozessen natürlich innovative Entwicklungen aus Sicht der Hersteller. Aber bei der Qualität der Nahrungsmittel gibt es keine.

TR: Auch "Functional Food" fällt für Sie nicht in diese Kategorie?

Bode: Functional food ist eine Täuschung und keine Innovation. Wenn ein solches Produkt tatsächlich eine Wirkung hat wie cholesterinsenkende Margarine, handelt es sich um eine Art Medikament und nicht um ein Lebensmittel. Gesunde Menschen brauchen das nicht – wer aber krank ist, soll zum Arzt oder zum Apotheker gehen. Und wer Hunger hat, geht in den Supermarkt. In der Regel ist functional food ein reiner Marketing-Trick. Beim probiotischen Joghurt Actimel suggeriert die Werbung, dass das Produkt vor Erkältung schützen. Das tut es aber nicht, und die beworbene Aktivierung der Abwehrkräfte haben Sie auch bei Sauerkraut oder Naturjoghurts. Die Innovation wird vorgeschoben, der Verbraucher zahlt das Dreifache und oftmals sind solche Produkte auch noch nachteilig, weil sie zum Beispiel überzuckert sind. Die Welt des "functional food" – die bei Nestlé in zehn Jahren einen Großteil des Umsatzes ausmachen soll – ist keine Zukunft, die wir haben wollen.

TR: Glauben die Leute die Gesundheitsversprechen überhaupt noch?

Bode: Ja, sehr! Die Qualität von Lebensmitteln ist für die Verbraucher doch gar nicht überprüfbar. Wenn Danone mit Millionensummen die Werbetrommel rührt und Actimel-Gutscheine sogar in Arztpraxen auslegt, dann glauben sie irgendwann, dass an den Gesundheitsversprechen wohl etwas dran sein muss. Nach unserer Actimel-Kampagne haben mich allerdings viele Leute angesprochen: "Seitdem wir Ihre Analyse gelesen haben, trinken wir kein Actimel mehr." Danone hat jetzt ein richtiges Image-Problem.

TR: Nun soll die Heath Claims-Verordnung der EU dafür sorgen, dass nur noch wissenschaftlich belegte gesundheitsbezogene Aussagen auf den Produkten stehen.

Bode: Von tausenden Anträgen, die bei der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA zur Zulassung eingereicht wurden, wurde bisher die Mehrzahl zurückgewiesen. Einer objektiven Überprüfung halten diese Werbeausssagen also offenbar nicht stand. Aber die unverbindlichen Gesundheitsaussagen bleiben trotzdem erlaubt: etwa der Kinderriegel, der mit der "Extra-Portion Milch" beworben wird. Oder Ehrmann verwendet für seinen "Monsterbacke"-Joghurt den Sloaan "So wichtig wie das tägliche Glas Milch". Dabei ist das Produkt einfach eine zuckrige Süßigkeit. Insofern werden diese Fitness-, Light- und Wellness-Versprechen weiterhin existieren.

TR: Es gibt keine anderen Verordnungen, die das auffangen?

Bode: Nein. Auch die Verwendung von Begriffen wie "leicht" oder "light" ist in einer Verordnung geregelt – so darf sich ein Produkt nennen, wenn darin 30 Prozent weniger Kalorien enthalten sind als im Originalprodukt. Ein Hersteller kann also 30 Prozent weniger Fett in ein Produkt stecken, dafür mischt er aber umso mehr Salz in die Rezeptur, weil mit dem Fett ein Geschmacksträger reduziert wurde. Was interessant ist: Die Bezeichnung der Jogurette als "joghurtleicht" wäre nach dem jetzigen Gesetz nicht mehr erlaubt, weil sie sogar mehr Kalorien als herkömmliche Vollmilchschokolade enthält – da gibt es aber eine Übergangsfrist bis 2022!

TR: Laut Lebensmitteltechnik-Forschern steigt die Zahl der Industrieanfragen, wie man die Rezepturen so ändern kann, dass der Fett- und Zuckergehalt sinkt, der Geschmack aber gleich bleibt – weil es sonst nicht gekauft würde.

Bode: Wir merken eher, dass die Nahrungsmittel zunehmend mit Zusatzstoffen versetzt und aromatisiert werden. Durch Aromen kann man Rohstoffkosten sparen. Zusatzstoffe garantieren eine bessere Lagerbarkeit, Haltbarkeit und Farbe. Das Essen kann man nicht neu erfinden.

TR: Sie fordern, dass die Politik eingreifen müsse, ein Abstimmen der Verbraucher mit dem Geldbeutel reiche nicht.

Bode: Ja, weil die Konsumenten keine Alternative haben. Sie erfahren nicht einmal verständlich, was in einem Produkt wirklich drin steckt, wo es herkommt und welche Qualität es hat. Da muss der Staat intervenieren, weil der Markt die Transparenz nicht selber herstellt. Die Verbraucher müssen das Recht haben zu fragen, welche Aromen sind in meiner Limonade und wo kommen sie her? Wir Verbraucherverbände müssen das Recht bekommen, ein Gesetz juristisch danach zu hinterfragen, ob es in die Verbraucherrechte eingreift – so wie jeder Unternehmer ein neues Gesetz prüfen lassen kann, ob es in die Wettbewerbsfreiheit eingreift. Und dann müssen auch einzelne Regelungen wie die Zusatzstoff-Zulassungsverordnung geändert werden. Heute darf auf jedem Produkt stehen, dass es keine Geschmacksverstärker enthält, obwohl Glutamat in Form von Hefeextrakten darin enthalten ist. Das kann der Verbraucher beim Kauf nicht erkennen, wenn er kein Fachwissen hat – un dann kann er sich auch nicht gegen ein solches Mogelprodukt entscheiden.

TR: Es gibt ja schon das Verbraucherinformationsgesetz, doch es mehren sich die Klagen, dass die Auskunft sehr lange dauert und zuweilen auch Geld kostet...

Bode: Das Verbraucherinformationsgesetz ist so löchrig wie ein Schweizer Käse! Es regelt keine Informationsansprüche gegenüber Unternehmen, sondern nur gegenüber den Behörden. Und die nennen Produkte und Betriebe in aller Regel nicht beim Namen, dabei ist das genau die Information, die die Verbraucher benötigen. Wir versuchen seit zwei Jahren, unter Berufung auf das Verbraucherinformationsgesetz, Ergebnisse amtlicher Fleisch-Kontrollen aus Niedersachsen zu beschaffen – vergebens.

TR: Muss ich als Verbraucher nicht auch ein bisschen mitdenken? Sie sprechen von Schwindel, wenn auf einem Schokoladenpudding steht: 75 Prozent Kakao in der Schokolade. Wenn ich auf der Zutatenliste lese "zwei Prozent Schokolade", muss ich nicht rechnen, um zu erkennen wie wenig Kakao drin ist.

Bode: Sicher, aber wollen Sie mit dem Taschenrechner in den Supermarkt gehen? Und man kann sich auch nicht mit den Feinheiten des Lebensmittelrechts auskennen. Das ist nicht unser Verbraucherbild. Die Industrie hat ein anderes, die sagt zum Beispiel, Kinder müssen Werbekompetenz lernen. Das finden wir zynisch. Wir wollen keine Kurse in Verbrauchertäuschung belegen. Wenn jemand einen Gebrauchtwagen kauft, da wissen wir, dass er diesen genau prüfen muss. Aber wenn Sie etwas kaufen, was Sie jeden Tag konsumieren müssen, sollten Sie Vertrauen in die Lebensmittel haben können.

TR: Wie wollen Sie die Politik dazu bewegen, dass sie etwas ändert? Es wird ja noch nicht mal der Zwischenschritt zur Ampel vorgeschrieben, nämlich statt der Grammwerte für Fett, Zucker und Eiweiß die Kalorienzahl anzugeben.

Bode: Verbraucherrechte sind ein politisches Thema. Dafür wollen wir ein Bewusstsein schaffen, und wir wünschen uns, dass die Verbraucher ihrem berechtigten Ärger über die Praktiken der Lebensmittelindustrie auch öffentlich Ausdruck verleihen. Wenn wir auf unserer Seite abgespeist.de eine Werbelüge entlarven, schreiben mehrere tausend Menschen an den Hersteller und beschweren sich. Das ist der erste Schritt. Je größer der Ärger der Verbraucher wird, umso größer ist auch der Druck auf die Politik zu handeln. Ob die das dann tun, ist eine andere Frage. Der Einfluss der Wirtschaft ist sehr stark. Aber wir glauben, dass die Chancen nicht schlecht sind.

TR: Haben die Protestbriefe eine Reaktion hervorgerufen?

Bode: Einige Hersteller ignorieren die Kritik. Immer mehr aber verändern ihre Werbung oder Rezeptur, manche nehmen auch ihre Mogelprodukte vom Markt. Wir bewerten das nicht über, weil das Einzelmaßnahmen sind. Aber es zeigt, dass die Firmen reagieren und dass sich Verbraucherprotest lohnt.

TR: Aber viele Leute sind bequem, es ist ihnen egal was im Essen ist und sie wollen Geld sparen.

Bode: Nein, das ist falsch. Die Leute sind nur machtlos, weil ihnen wichtige Informationen vorenthalten werden. Viele sind bereit, für echte Qualität auch Geld auszugeben. Das Problem ist nur, dass sie Qualität nicht überprüfen können. Der Preis liefert keinen Hinweis: Billig ist nicht automatisch schlecht im Lebensmittelmarkt, und teuer nicht automatisch gut.

TR: Dann wären aber die Discounter nicht so erfolgreich. Und ich hatte gerade heute ein Gespräch mit einem Kollegen, der gar nicht wissen will, was im Einzelnen in seinem Brot steckt.

Bode: Das gibt es auch, und das ist auch okay. Aber das ist kein Argument, all die anderen, die es wissen wollen, im Unwissen zu lassen. (vsz)