Government 2.0: Wenn Behörden von Wikipedia lernen

Egal, ob es um Schlaglöcher auf der Dorfstraße oder Stuttgart 21 geht: Das Internet könnte helfen, die öffentliche Verwaltung auf Trab zu bringen und Bürger stärker in politische Entscheidungen einzubinden. Der Weg zum "Open Government" ist aber weit.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christof Kerkmann
  • dpa

Wer sich bei einem Spaziergang durch Bad Belzig über Müllsäcke im Wald oder zugeparkte Straßen aufregt, kann seinen Ärger gleich nach seiner Runde loswerden. Denn die Stadt zwischen Magdeburg und Berlin nimmt Beschwerden ihrer 11 000 Einwohner über ein Internetportal des Landes Brandenburg entgegen, den "Maerker". Es geht darum, den Kommunen bei der "Aufgabenerfüllung" zu helfen, heißt es dort im Behörden-Deutsch. Bei sechs der zurzeit 16 Hinweise lautet der Status: "erledigt".

Bad Belzig und das Land Brandenburg sind eine Ausnahme. Die meisten Behörden in Deutschland sind in Sachen Internet längst nicht so weit. Auf dem "Government 2.0 Barcamp" in Berlin ging es am Freitag bereits zum zweiten Mal darum, wie das Web helfen kann, Verwaltung und Regierungshandeln zu modernisieren. 270 Besucher aus Wirtschaft und Wissenschaft, NGOs und – ja, auch Behörden kamen. Der Trend kommt aus dem angelsächsischen Raum, der Begriff dafür auch: "Open Government".

Das fängt bei den Schlaglöchern oder überflüssigen Schildern an: Portale wie der "Maerker" erleichtern es, Probleme aus der Umgebung zu melden, die den Behörden vielleicht nicht aufgefallen wären. Hier soll das Wikipedia-Prinzip greifen: Viele Nutzer tragen gemeinsam Wissen zusammen. "Wir glauben, dass Open Government die Verwaltung besser und die Bürger zufriedener machen kann", sagt Anke Domscheit-Berg, die die Konferenz mitorganisiert hat und im Hauptberuf bei Microsoft arbeitet.

Einige Vertreter der Open-Government-Bewegung hoffen sogar, die Demokratie lebendiger zu machen, etwa durch Diskussionen in Foren oder durch den Entwurf gemeinsamer Positionen in Wikis. Im besten Fall sorge das für mehr Akzeptanz, sagte Domscheit-Berg: "Mit E-Partizipation hätte es die Eskalation bei Stuttgart 21 nicht gegeben. Allein dass man miteinander redet, führt zu einer Deeskalation", ist sie überzeugt. Entscheiden müssen nachher allerdings immer noch die gewählten Volksvertreter.

Mehr Akzeptanz wollte auch die Stadt Essen schaffen: Sie rief Anfang des Jahres ihre Bürger dazu auf, sich an der Beratung zum Doppelhaushalt 2010/2011 zu beteiligen – und zu sagen, wie sie 381 Millionen Euro einsparen würden. Höhere Gewerbesteuer? Weniger Geld für Erziehungsheime? Schnell wird deutlich, wie schwierig die Haushälterei ist. Das Sparziel hätten die 3800 Beteiligten nicht erreicht, ihre Vorschläge beliefen sich auf 263 Millionen Euro.

Auch der Bundestag hat die elektronisch verstärkte Mitsprache für sich entdeckt: Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" will Bürger ab dem kommenden Jahr mit einer Online-Plattform namens Adhocracy stärker einbinden. Nutzer sollen "in einem demokratischen Prozess" Positionen entwickeln und in das vom Bundestag eingesetzte Gremium einbringen. Vorbild war hier vielleicht die Piratenpartei, die mit einer Art Sozialem Netzwerk namens "Liquid Feedback" die Meinung ihrer Mitglieder einholt.

Der Weg zu diesen hehren Zielen ist in Deutschland jedoch noch weit. Das liegt einerseits an den Behörden, wie Beate Lohmann vom Innenministerium zugab. "Wir haben eine Verwaltungskultur, die nicht unbedingt alles transparent macht", sagte die Leiterin der Abteilung Organisation, die für die "Verwaltungsmodernisierung" zuständig ist. Ihr Team sei daher ein "Motor", um das Thema voranzubringen.

Dafür fehlt es oft allerdings an Geld – überall werden Sparpakete geschnürt, ein Nischenthema wie E-Government hat es schwer. "Größere Projekte haben Vorrang", weiß Lohmann. Zudem hörte man auf der Konferenz häufig, dass die meisten Bürger selbst noch nicht im Web- 2.0-Zeitalter angekommen seien. Open Government ist noch etwas für eine interessierte und engagierte Minderheit.

Das könnte sich aber ändern. "In den letzten 12 Monaten hat sich dramatisch viel bewegt", sagt Open-Government-Lobbyistin Domscheit-Berg. Zahlreiche Projekte seien an den Start gegangen. Und das Bundesinnenministerium nutzte die Konferenz gleich, um sich ein paar Anregungen zu holen: Die für "Modernisierungsprogramme" zuständige Referatsleiterin lud zu einem Workshop ein – "um zu lernen", wie sie sagte. (vbr)