Die Woche: Diaspora – Hype ist nicht genug

Mit Vorschusslorbeeren und nicht zuletzt Geld förmlich überschüttet wurde das freie Diaspora-Projekt. Um tatsächlich zum Facebook-Killer zu werden, zu dem es die Medien vorab hochjubelten, bedarf es jedoch mehr als nur Begeisterung.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Andrea Müller

Das Zusammenspiel zweier Ereignisse verschaffte dem Projekt Diaspora einen kometenhaften Start mit dickem Kapitalpolster und viel Vorschusslorbeeren: dauernde Privacy-Probleme bei Facebook und ein Artikel in der New York Times. Die Privacy-Diskussionen um Facebook waren gleichzeitig auch der Grund, aus dem die vier New Yorker Studenten Ilya Zhitomirskiy, Dan Grippi, Max Salzberg und Raphael Sofaer die Arbeit an Diaspora aufnahmen.

Ziel der Entwicklung war ein Peer-to-Peer-basiertes soziales Netzwerk mit fein abgestuften Einstellungen für die Privatsphäre, das nicht der Kontrolle zentraler Anbieter unterliegt und bei dem man seine Daten nicht beim Anbieter, sondern auf der eigenen Festplatte speichert. Dazu soll Diaspora die Möglichkeit bieten, auf die in bestehenden Communities gespeicherten Daten zuzugreifen, sie in den eigenen Datenbestand zu übernehmen und Modifikationen auf Wunsch auch wieder zurück zu Facebook, Flickr und Co. zu übertragen.

Um sich die Entwicklung überhaupt leisten zu können, benötigten die vier Geld. Um in den kommenden Monaten Programmierei über die Runden zu kommen, stellten sie das Projekt für 39 Tage beim Crowdfunding-Dienst Kickstarter ein mit dem Ziel, auf einen Betrag von 10.000 US-Dollar zu kommen. Die Privacy-Debatte um Facebook hatte zu dieser Zeit ihren Höhepunkt erreicht und so begeisterten sich viele für Diaspora und steuerten Geld bei. Nach nur zwölf Tagen war die Zielsumme erreicht. Mitte Mai, als schon über 23.000 US-Dollar zusammengekommen waren, erschien dann der Artikel in der New York Times über die vier Studenten. So wurden noch mehr Menschen auf das Projekt aufmerksam und am Ende der Fundraising-Kampagne hatten die Projektgründer über 200.000 US-Dollar akquiriert.

Das und die mediale Aufmerksamkeit ließen Diaspora zum Selbstläufer werden: Ohne dass die Projektgründer für Diaspora trommeln mussten, schwirrte schnell der Begriff Facebook-Killer durch die Blogospäre und die klassischen Medien. Eine riesige Erwartungshaltung an ein Projekt in den Kinderschuhen, das ohne all den Hype vielleicht nur ein Proof of Concept geworden wäre, dass es eben doch anders geht und die Daten sozialer Netzwerke nicht zwingend in die Hände des Anbieters gelegt werden müssen. Vor drei Wochen haben die Entwickler den Quellcode im Pre-Alpha-Status veröffentlicht, diesen Monat soll der Dienst starten.

Wenn Diaspora erst einmal reif für den Produktivbetrieb ist, wird jedoch nicht der Hype entscheiden, ob der Dienst tatsächlich das Zeug zum Facebook-Killer hat. Unabhängig davon, wer ein Diaspora-Netzwerk anbieten wird, wird, wie bei allen anderen sozialen Netzen auch, die Akzeptanz der Nutzer den Erfolg bestimmen. Viele Anwender sind bereits eng in Online-Communities eingebunden und pflegen dort ihre Kontakte.Wer bereits Accounts bei Facebook, Xing und einem regionalen Dienst wie lokalisten.de oder wer-kennt-wen.de hat, wird trotz eventueller Privacy-Bedenken nur schwer davon zu überzeugen sein, sich noch ein weiteres Konto einzurichten.

Dessen Pflege würde zusätzliche Zeit kosten und im schlimmsten Fall hätte man dort nur eine Handvoll – ebenfalls von Privacy-Bedenken geplagte – Kontakte, während der Großteil der Freunde woanders netzwerkelt. Sorge um den Schutz seiner Daten allein wird zumindest nicht ausreichen, die Benutzer scharenweise zu Diaspora zu treiben – schon allein deshalb nicht, weil Facebook nach der massiven Kritik offenbar verstanden hat, wo Handlungsbedarf besteht, und auf die Wünsche nach mehr Privacy reagiert hat. (amu ) (amu)