Warum es so schwierig ist, einen Impfstoff gegen Erkältungen zu entwickeln

Es gibt vorrangig zwei Herausforderungen bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Erkältungen. Trotzdem gibt die Wissenschaft nicht auf.

vorlesen Druckansicht 78 Kommentare lesen
Impfung

(Bild: FabrikaSimf/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
Inhaltsverzeichnis

Auf der Nordhalbkugel ist gerade wieder Schnupfenzeit. Mit dem Wetterwechsel verbringen wir alle mehr Zeit in Innenräumen: Kinder in der Schule, Erwachsene in Büros und zu Hause. Und die Erkältungsviren? Die sind überall und verbreiten sich in einem endlosen Kreislauf. Die Frage liegt daher nahe: Warum gibt es keinen Impfstoff, der uns – wie bei der Grippe-Impfung – auch vor Erkältungen schützt?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten seit Jahrzehnten daran. Allerdings hat sich herausgestellt, dass die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Erkältungen schwierig ist – nicht unmöglich. Es gibt durchaus Hoffnung.

Videos by heise

Technisch gesehen sind Erkältungen Infektionen, die Nase und Rachen befallen und Symptome wie Niesen, Husten und ein allgemeines Unwohlsein verursachen. Im Gegensatz zu einigen anderen Infektionen wie zum Beispiel Covid-19 werden sie nicht durch einen spezifischen Virus verursacht, sondern durch viele: Dazu gehören etwa Rhinoviren, Adenoviren und sogar saisonale Coronaviren, die eben nicht alle Covid-19 verursachen. Innerhalb dieser Virusfamilien gibt es wiederum viele verschiedene Varianten.

Nehmen wir zum Beispiel Rhinoviren, die als Ursache für die meisten Erkältungen gelten. Es handelt sich um Viren, die sich im Laufe der Evolution perfekt daran angepasst haben, uns Menschen zu infizieren, indem sie sich in unserer Nase und unseren Atemwegen schnell vermehren und uns krank machen. Es gebe etwa 180 Rhinovirus-Varianten, sagt Gary McLean, Molekularimmunologe am Imperial College London.

Berücksichtigt man alle anderen Erkältungsviren, gibt es insgesamt etwa 280 Varianten. Das sind 280 Verdächtige, die hinter dem Husten stecken, mit dem mir meine Tochter virenbeladene Tröpfchen ins Gesicht geschleudert hat. Kein Wunder, dass es schwierig ist, einen Impfstoff zu entwickeln, der gegen alle diese Viren Schutz bietet.

Die zweite Herausforderung liegt in der Verbreitung dieser Varianten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler passen Grippe- und Covid-Impfstoffe an den jeweils zirkulierenden Stamm an. Monate vor Beginn der Grippesaison berät die Weltgesundheitsorganisation die Länder, gegen welche Stämme ihre Impfstoffe schützen sollten. Frühe Empfehlungen für die nördliche Hemisphäre orientieren sich meist daran, welche Stämme in der südlichen Hemisphäre vorherrschend zu sein scheinen und umgekehrt.

Dieser Ansatz würde bei der Erkältung nicht funktionieren, da all diese Hunderte von Varianten ständig zirkulierten, sagt McLean. Das heißt nicht, dass nie versucht wurde, einen Impfstoff gegen Erkältungen zu entwickeln. In den 1960er- und 1970er-Jahren gab es ein reges Interesse daran und zahlreiche Anstrengungen. Leider scheiterten sie alle und es gab seitdem nicht viele Fortschritte.

Allerdings hat ein Forscherteam, das 2022 alle bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten Forschungsergebnisse ausgewertet hat, nur eine einzige klinische Studie gefunden – sie wurde 1965 durchgeführt.

Seitdem ist das Interesse abgeklungen. Einige Expertinnen und Experten fragen sich, ob ein Impfstoff gegen Erkältungen überhaupt die Mühe wert ist. Schließlich erfordern die meisten Erkältungen keine aufwendige Behandlung und dauern nicht länger als ein oder zwei Wochen. Es gibt viele, viele gefährlichere Viren, auf die wir uns konzentrieren könnten.

Und obwohl Erkältungsviren mutierten und sich weiterentwickelten, rechne niemand wirklich damit, dass sie die nächste Pandemie auslösten, sagt McLean. Sie haben sich so entwickelt, dass sie beim Menschen nur leichte Erkrankungen verursachen – was ihnen seit langer, langer Zeit erfolgreich gelingt. Grippeviren, die schwere Erkrankungen, Behinderungen oder sogar den Tod verursachen können, stellen ein viel größeres Risiko dar und verdienen daher wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit.

Aber Erkältungen sind dennoch lästig, störend und potenziell schädlich. Rhinoviren gelten als die häufigste Ursache für Infektionskrankheiten beim Menschen. Sie können bei Kindern und älteren Erwachsenen Lungenentzündungen verursachen. Rechnet man Arztbesuche, Medikamente und Arbeitsausfälle zusammen, sind die wirtschaftlichen Kosten von Erkältungen ziemlich hoch: Eine 2003 durchgeführte Studie bezifferte sie allein für die USA auf 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Tatsächlich machen aber einige Wissenschaftler auch Fortschritte. McLean und seine Kollegen arbeiten daran, das Immunsystem von Menschen mit Asthma und Lungenerkrankungen so vorzubereiten, dass es sie möglicherweise vor Erkältungsviren schützen kann. Dazu hat ein Team der Emory University einen Impfstoff entwickelt, der Affen offenbar vor etwa einem Drittel der Rhinoviren schützt.

Es ist noch ein langer Weg. Ihr solltet zumindest in den nächsten fünf Jahren nicht mit einem Impfstoff gegen Erkältungen rechnen. "Wir sind noch nicht ganz so weit", sagt Michael Boeckh, Forscher für Infektionskrankheiten am Fred Hutch Cancer Center in Seattle. "Aber wird es irgendwann so weit sein? Möglicherweise." Auch der Experte McLean hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Tatsächlich führt er eine Studie mit einem potenziellen neuen Impfstoff an Menschen durch, zu der er noch keine Details preisgeben kann. "Es könnte funktionieren", sagt McLean.

Dieser Beitrag ist zuerst auf t3n.de erschienen.

(jle)