Megaprojekt The Line ist wohl gescheitert
Der Bau an der 170 Kilometer langen Stadt The Line ist gestoppt. Von offizieller Seite wird aber an dem Megaprojekt festgehalten.
KĂĽnstlerische Darstellung von The Line
(Bild: Neom)
Die Arbeiten an The Line, der Bandstadt in der Wüste Saudi-Arabiens, ruhen. Das Megaprojekt ist wohl gescheitert – aus finanziellen und physikalischen Gründen, wie die Financial Times berichtet.
The Line sollte sich über 170 Kilometer durch die Wüste im Nordwesten Saudi-Arabiens, am Golf von Akaba, erstrecken. Dabei sollte sie nur 200 Meter breit, aber 500 Meter hoch werden. Auf einer Fläche von nur 34 Quadratkilometern sollen einmal neun Millionen Menschen leben. Zu der Stadt sollte ein Tiefwasserhafen für Kreuzfahrtschiffe, ein Fußballstadion in großer Höhe sowie darunter ein hängendes Gebäude, genannt The Chandelier, gehören.
Das Projekt, das von Kronprinz Mohammed bin Salman initiiert wurde, ist in verschiedener Hinsicht sehr umstritten, auch weil Menschen dafür zwangsumgesiedelt wurden. Kritiker hielten die Pläne von Anfang für unrealistisch. Am Ende hat die Realität nach dem Bericht der Financial Times offensichtlich das Projekt eingeholt.
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Manipulierte Finanzen
Schon die Finanzierung war unrealistisch: Die offiziellen Angaben beliefen sich zunächst auf 500 Milliarden US-Dollar: Mitarbeitern des Projekts sei Ende 2021, also noch vor Baubeginn, mitgeteilt worden, es sei ein Budget von 1,6 Billionen US-Dollar vorgesehen. Wenige Monate später sei eine Prüfung erfolgt, nach der knapp das Dreifache, nämlich 4,5 Billionen US-Dollar realistisch seien, erfuhr die Wirtschaftstageszeitung von Insidern. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands. Vor einigen Monaten erhielt das Wall Street Journal Einblick in einen internen Bericht, nach dem die Finanzen von Mitgliedern des Managements manipuliert wurden.
Einige der kühnen Planungen halten kaum der Realität stand: Für die Fußballweltmeisterschaft 2034 sollte ein Stadion in 350 Metern Höhe entstehen. Darunter sollte das Gebäude Chandelier frei hängen, über der Einfahrt in den Tiefwasserhafen.
Das hätte sicher imposant ausgesehen. Physikalisch möglich wäre das jedoch kaum: Das fängt schon beim Abwasser aus Toiletten und Duschen an: Wohin hätte es abfließen sollen? Nach der Vorstellung der Verantwortlichen hätten Wagen das Abwasser abtransportieren sollen.
Zudem: Das frei hängende Gebäude hätte durch Wind in Schwingungen geraten und schließlich in die Tiefe stürzen können. Ein Informant sagte der Financial Times, die Architekten hätten die Verantwortlichen darauf hingewiesen. Diese hätten die Einwürfe jedoch ignoriert.
Gefahr durch stehendes Gewässer
Der Hafen, der groß genug hätte sein sollen, dass Kreuzfahrtschiffe dort festmachen, hätte ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko darstellen können: Es wäre durch einen Kanal mit dem Meer verbunden gewesen. Kanal und Hafen wären ohne eine Strömung zu stehenden Gewässern geworden, in denen die unterschiedlichsten Mikroben sich verbreitet hätten.
The Line sollte modulweise gebaut werden, wobei jedes Modul 800 Meter lang sein sollte. Die ersten beiden Module sollten 2030 fertig sein. Für ein Modul braucht es rund 7 Millionen Tonnen Stahl und 5,5 Millionen Kubikmeter Beton. Das Projekt hätte etwa 60 Prozent der weltweiten Jahresproduktion an grünem Stahl verschlungen, sagt ein Informant der britischen Wirtschaftszeitung.
Die Auswirkungen auf die Umwelt wären immens gewesen: Die Stadt hätte sich als 170 Kilometer langer, spiegelnder Riegel durch die Wüste gezogen, der Wanderwege von Wüstenbewohner und die Zugrouten vieler Vögel behindert hätte. Es hätte die Gefahr bestanden, dass Vögel gegen die spiegelnde Oberfläche fliegen und sich verletzen oder sterben.
The Line ist ein Teil des Vorhabens Neom, das mehrere Projekte im Nordwesten des Landes umfasst. Neom gehört zu Saudi Vision 2030, einem Konzept zum Umbau der Wirtschaft, um vom Öl unabhängig zu werden. Es umfasst mehrere Einzelprojekte im Nordwesten Saudi-Arabiens. Darunter ist die im vergangenen Jahr eingeweihte Luxusferieninsel Sindalah, die allerdings noch nicht fertig ist, Trojena, ein Ski-Resort in den Bergen im Hinterland, die Stadt Oxagon, die zur Hälfte an Land, zur Hälfte auf Schwimmpontons entstehen soll, und eben The Line.
Für die Offiziellen von Neom ist das The Line noch nicht beerdigt: The Line habe weiterhin "eine strategische Priorität", sagt ein Vertreter der Financial Times. Es handele sich um "ein generationsübergreifendes Entwicklungsvorhaben von beispiellosem Ausmaß und Komplexität". Es werde aber "einen neuen Entwurf für die Menschheit liefern, indem es die Lebensweise der Menschen verändert."
(wpl)