Kein Beben auf dem XR-Markt: Auch Samsung Galaxy XR wird es schwer haben

Mit der Galaxy XR kehrt Samsung eindrucksvoll auf den XR-Markt zurück – flankiert von Google und Qualcomm. Ein echtes Ausrufezeichen dürfte dennoch ausbleiben.

vorlesen Druckansicht 11 Kommentare lesen
Eine Person trägt ein modernes VR-Headset mit geschwungenem, futuristischem Design. Das Headset leuchtet in kühlem Blau und spiegelt den Himmel im Hintergrund, was eine Hightech-Atmosphäre vermittelt.

Samsungs Galaxy XR ist ein beeindruckendes Gerät. Aber wie wird es sich auf dem XR-Markt behaupten können?

(Bild: Samsung)

Lesezeit: 9 Min.
Von
Inhaltsverzeichnis
close notice

This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Fünf Jahre nach dem Ende von Gear VR und Daydream starten Samsung und Google einen neuen Versuch, sich im XR-Markt zu verankern. Der Unterschied: Dieses Mal ist es ernst. Die Galaxy XR kommt mit einem eigenen Betriebssystem namens AndroidXR, entwickelt von Google, und nutzt Qualcomms Snapdragon-Chips. Das Dreierbündnis setzt auf Offenheit, Skalierbarkeit und Android-Kompatibilität und bietet zumindest auf dem Papier ein längst überfälliges Gegengewicht zu Apples visionOS und Metas HorizonOS. Doch auch die Galaxy XR wird es schwer haben, sich auf dem Markt zu etablieren.

Die Hardware-Ausstattung der Samsung Galaxy XR überragt die der Meta Quest 3 und muss sich auch vor der Vision Pro nicht verstecken. Das Design ist schick – wenn auch klar von Vision Pro und Quest Pro inspiriert – und setzt auf Leichtbau mit externem Akkupack, was den Tragekomfort erhöhen soll. Ein Problem könnte allerdings der starre Kopfgurt darstellen. Wenn wir in den letzten zehn Jahren eines über XR-Geräte gelernt haben, dann das: Keine Kopfform ist wie die andere. Der Tragekomfort ist mitentscheidend dafür, ob ein Headset langfristig genutzt wird oder für immer im Regal verstaubt. Metas Quest-Reihe hat sich auch wegen ihrer Anpassungsfähigkeit mit hunderten Zubehörteilen von Drittherstellern etabliert. Hier könnte sich Samsung selbst ein unnötiges Bein gestellt haben.

Doch auch ohne Komfortprobleme dürfte es die Galaxy XR auf dem Konsumentenmarkt schwer haben. Natürlich ist sich Samsung dessen völlig bewusst, was auch der zögerliche Marktstart zeigt. Bisher ist das Gerät nur in den USA und Südkorea erhältlich. Wann es in anderen Ländern erscheint, ist derzeit nicht bekannt. Erste Prognosen gehen davon aus, dass der Hersteller 2025 nur mit rund 100.000 verkauften Einheiten plant. Verständlich, wenn man bedenkt, dass auch Apple seine geplanten Verkaufszahlen im ersten Jahr schnell nach unten korrigiert hat und auch Metas etabliertes XR-Ökosystem den eigenen Ansprüchen hinterherhinkt.

Auch der Preis bleibt, wie so oft, ein wichtiger Faktor. Zwar ruft Samsung für die Galaxy XR nur knapp die Hälfte einer Apple Vision Pro auf, dennoch ist sie ein Premium-Gerät mit einem Premium-Preis. 1.800 US-Dollar und mehr sind Preisregionen, die gerade in der heutigen Wirtschaftslage viele Menschen ausschließen. Zudem ist der eindeutige Nutzen einer XR-Brille für den Durchschnittskäufer nach wie vor nicht definiert. Das Anwendungsprofil ist schwammig und liegt irgendwo zwischen Unterhaltung und Produktivität – alles Dinge, die im Grunde auch ein aktuelles Smartphone beherrscht. Die Zielgruppe ist deshalb wie schon bei der Apple Vision Pro eher spitz: Early Adopter, XR-Enthusiasten, Entwickler, Unternehmen. Dabei hätte es Samsung deutlich leichter haben können.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Die Galaxy XR versteht sich vor allem als Medien- und Produktivitätsgerät im Google-Ökosystem und wird damit klar zum Android-Pendant zu Apples Vision Pro. Besonderes Augenmerk gilt Gemini, Googles multimodaler Sprach- und Assistentenplattform, die tief ins System eingebettet ist. Damit lassen sich Fenster per Sprache verschieben, Übersetzungen aufrufen, alte Fotos kolorieren oder Marker in Google Maps setzen. Sieht man von der Gemini-Integration und den beachtlichen XR-Fähigkeiten des KI-Assistenten ab, funktionieren viele dieser Features grundsätzlich auch mit der deutlich günstigeren Meta Quest 3, die zudem bereits ein etabliertes Ökosystem voller Spiele, Social-VR-Erlebnisse und Entertainment-Apps bietet.

Auf Gaming, das sich auf der Konsumentenseite des XR-Markts über Jahre hinweg als einer der wichtigsten Treiber für langfristige Nutzerbindung erwiesen hat, ist die Galaxy XR kaum ausgelegt. Die Steuerung per Controller ist nicht Standard, sie liegen der XR-Brille noch nicht einmal bei. Entwickler müssten ihre Spiele und Apps also auf Handtracking umbauen – was selten ohne Weiteres umsetzbar ist – oder einfach hoffen, dass die meisten Käufer die teuren VR-Controller auch noch mitnehmen. Das ist gerade für kleine Studios, die den Großteil der XR-Branche ausmachen, wirtschaftlich wenig attraktiv und könnte auf Dauer für fehlende Inhalte sorgen, die es wirklich wert sind, ein teures Headset zu kaufen. Apple-Vision-Pro-Nutzer kennen dieses Problem.

Die für XR-Headsets traditionell wichtige Käuferschicht der Enthusiasten wird damit fragmentiert. Ob PC-VR-Nutzer umsteigen, ist ebenso fraglich. Zwar ist kabelloses PC-VR-Streaming über Apps wie Virtual Desktop technisch möglich, aber ohne nativen und verlustfreien Display-Port-Anschluss bleibt die Galaxy XR zumindest für Simulationsfans weitgehend uninteressant. Möglicherweise auftretende Latenzen beim Streaming könnten auch für Fans von schnellen PvP-Shootern problematisch werden. Wahrscheinlich warten VR-Gamer aber ohnehin auf Valves kommendes XR-Headset und sind dann auch nicht mehr so einfach aus dem SteamVR-Ökosystem zurückzuholen.

Die unsichere Akzeptanz bei Konsumenten könnte Samsung allerdings im B2B-Bereich auffangen. Im professionellen Umfeld Fuß zu fassen, dürfte für die Galaxy XR einfacher sein, als sich auf dem Konsumentenmarkt zu etablieren. Erste Pilotprojekte mit Samsung Heavy Industries im Schiffbau oder medizinischen Anwendungen zeigen, wohin die Reise gehen könnte. Über Android Enterprise lässt sich die Brille zentral verwalten – ein Pluspunkt bei der Integration in bestehende IT-Infrastrukturen, und Qualcomm will mit Snapdragon Spaces weitere Geschäftsanwendungen auf die Plattform bringen.

Ebenfalls nicht zu unterschätzen: Für kleinere Unternehmen stellt der Preis von 1.800 US-Dollar ein wesentlich geringeres Risiko dar, als die Anschaffung einer mehr als doppelt so teuren Vision Pro. Schon während der Keynote zeigten Samsung und Google ganz nebenbei einen Einsatzzweck mit enormem Potenzial: Gemini kann 3D-Räume für Google Maps generieren – aus einer Handvoll Nutzerfotos. Die Technik dahinter nennt sich "Gaussian Splatting" und ist vor allem für Hotellerie, Automobilhandel oder Museen interessant – wer Räume visuell vermarkten will, bekommt hier ein mächtiges Werkzeug, das Eindruck hinterlässt.

Samsungs Galaxy XR ist ein beeindruckendes Stück Technik, keine Frage. Aber für die Branche ist das Betriebssystem wichtiger als das Headset selbst. Android XR ist ein angepasstes Android-System mit Zugriff auf sämtliche Inhalte des Play Stores. Das klingt erstmal nach viel, ist es aber nur auf den ersten Blick. Denn der Großteil der Anwendungen läuft im Zweidimensionalen, als Fenster im Raum. Wer auf eine große Auswahl an echten XR-Erlebnissen hofft, muss Geduld mitbringen. Die nötige Infrastruktur für native Anwendungen ist zwar vorhanden – Hand-, Blick- und Sprachsteuerung inklusive –, aber Entwickler müssen ihre Apps erst entsprechend umbauen. Ob sie das tun, hängt in der Regel von der Verbreitung der Geräte ab, und hier bietet Android XR einen Vorteil: Es ist ein weitgehend offenes System und nicht auf ein Gerät beschränkt.

Hersteller wie Xreal oder Lynx haben bereits Interesse bekundet, eigene Headsets mit Android XR zu bauen. In den nächsten Jahren werden also noch weitere, teils spezialisierte XR-Brillen folgen, die deutlich günstiger angeboten werden können und die Chance auf eine Vielzahl neuer Inhalte erhöhen. Denkbar wären etwa Geräte, die sich auf Gaming, XR-Fitness oder virtuelles Kino spezialisieren. Nicht zu vergessen: die deutlich kompaktere Geräteklasse der Smart Glasses, von denen viele künftig ebenfalls mit Android XR laufen werden. Google und Samsung haben bereits Smart Glasses angekündigt, und auch der AR-Brillen-Spezialist Magic Leap hat eine Waveguide-Kooperation mit Google vorgestellt. Doch die Offenheit der Plattform ist Fluch und Chance zugleich. Unterschiedliche Hardware, uneinheitliche Bedienkonzepte und inkonsistente App-Erlebnisse sind ein bekanntes Android-Problem und könnten sich auch im Räumlichen ausbreiten.

Videos by heise

Die Galaxy XR wird kein Gamechanger, sondern der Startpunkt einer langfristigen Strategie. Google und Samsung wollen das Ökosystem ausbauen, weitere Geräteklassen folgen lassen, darunter leichtere KI-Brillen und spezialisierte XR-Headsets. Bis dahin bleibt die Galaxy XR ein gut ausgestattetes Gerät mit begrenzter Relevanz. Wer bereits eine Meta Quest 3 oder eine Apple Vision Pro hat, braucht keine Galaxy XR. Der Rest muss erst einmal überzeugt werden, warum es eine XR-Brille wert ist, 1.800 Dollar dafür auszugeben – keine leichte Aufgabe.

Eine dankbare Zielgruppe waren in der XR-Branche schon immer die Gamer, doch die scheinen weitgehend außen vor zu stehen. Ob Android XR sich etablieren kann, hängt also von drei Dingen ab: Entwicklerinteresse, Gerätevielfalt und Anwendungsnutzen. Noch ist das Versprechen – wie immer auf dem XR-Markt – größer als die Realität. Aber wer sich an die Anfänge von Android erinnert, weiß: Geduld kann sich lohnen. Nur sollte man sich nicht wundern, wenn Version 1 noch nicht hält, was das Marketing verspricht.

Eine Analyse von Josef Erl
Josef Erl

Josef Erl ist freier Online-Journalist mit Schwerpunkt auf Virtual Reality, Augmented Reality, XR-Technologien und Gaming. Seit Juni 2025 schreibt er regelmäßig für heise online über die neuesten Entwicklungen in immersiven Technologien.

(joe)