Buchkritik: Das seltsamste Teilchen der Welt

Christian Spiering erzählt die Geschichte der Neutrinoforschung vom theoretischen Postulat bis zu riesigen Detektoren wie dem japanischen Super-Kamiokande.

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Buchkritik: Das seltsamste Teilchen der Welt
Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Henri Wagner

Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen mit extrem geringer Masse. Ihre schwer fassbaren Eigenschaften machten die Entdeckung zu einer der groĂźen technischen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts.

Noch immer befassen sich gewaltige Experimente wie das Supernova-FrĂĽhwarnsystem des japanischen Super-Kamiokande mit ihrer Beobachtung. Jener Detektor besteht aus einem gigantischen, mit 50.000 Tonnen Wasser gefĂĽllten Tank, umgeben von mehr als 11.000 Photomultipliern.

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Der dafür nötige immense Aufwand dient allein dem Zweck, ein paar Spuren von scheuen Teilchen zu erhaschen. Bis zu diesem Punkt war es jedoch ein langer Weg, und den beschreibt Christian Spiering auf spannende Weise.

Der Autor erzählt die Geschichte der Entdeckung und Untersuchung eines Teilchens, das sekündlich milliardenfach durch die Erde rauscht, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. Spierings Darstellung beginnt mit dem theoretischen Postulat und führt bis zum experimentellen Nachweis der Neutrinooszillation. Dabei liefert er nicht etwa einen nüchternen Forschungsbericht ab, sondern zeigt, wie menschliche Persönlichkeiten und Begegnungen die bahnbrechende Entdeckung geprägt haben.

Als Neutrinoforscher im Ruhestand lässt Spiering dabei auch Eindrücke aus seiner eigenen Arbeit einfließen. Bis 2013 war er Sprecher einer Neutrinoastrophysikgruppe. Seine Nähe zur Materie und die lebenslange Auseinandersetzung mit der Welt der Hochenergiephysik erlauben es ihm, souverän aus der Schule zu plaudern. Mit liebevoller Gründlichkeit verfolgt der Autor die Spuren bahnbrechender Gedanken und Erkenntnisse durch die Jahrzehnte und ordnet Geschehnisse in der Forschung gekonnt ein.

Insgesamt ist „Das seltsamste Teilchen der Welt“ angesichts seines Gegenstands erstaunlich bekömmliche Lektüre. Physikunterricht erteilt der Autor vorwiegend auf zwei Seiten am Schluss, die das Neutrino grob ins physikalische Standardmodell einordnen. Ansonsten holt er weit aus, lässt Episoden der Neutrinoforschung lebendig werden und begleitet deren Protagonisten (er nennt sie „Helden“) von Lise Meitner bis Masatoshi Koshiba. Über die Geschichte der Neutrinoforschung hinaus bekommen Leser zugleich einen Überblick über die gesamte Teilchenphysik des vergangenen Jahrhunderts und deren Wandel im Lauf der Zeit.

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(psz)