Socialmediasprechstunde: Monitoring riskanter Challenges und Trends
Social-Media-Challenges und -Trends können Heranwachsende gefährden. Ein neues Angebot will zeitnah über Trends informieren und damit Unglücke verhindern.
Gefährliche Social-Media-Trends werden in dem neuen Angebot aufgelistet und eingeordnet.
(Bild: Screenshot/Socialmediasprechstunde)
Vieles von dem, was Kinder und Jugendliche im Internet machen oder sehen, bleibt im Verborgenen. Das betont Silke Müller, Niedersachsens Digitalbotschafterin und ehemalige Schulleiterin, in ihren Vorträgen vor Eltern und anderen Interessierten immer wieder. Ihre Kernaussage: Egal wie gut Erwachsene im Thema sind und sich um eine aufmerksame Begleitung von Heranwachsenden in der digitalen Welt bemühen: im Internet gibt es zu viele verschiedene Spielwiesen und Subkulturen, die auf Trends und Themen einwirken, die dann ungehindert in den Kinderzimmern landen. Müller hat deshalb zusammen mit ihrem Kollegen und Geschäftspartner Thomas Hillers das Online-Angebot „socialmediasprechstunde.de“ entwickelt, das Abonnenten zeitnah über Trends und Challenges in sozialen Netzwerken und über weitere Gefahren im Internet informieren soll.
Weltweiter Gruppendruck
Für Müller und Hillers ist einer der wichtigsten Faktoren ihres Angebots die schnelle Identifizierung neuer Gefährdungen, die auch schwerwiegende und tödliche Folgen haben können. Heranwachsende stiften sich etwa an, Selfies an gefährlichen Orten zu machen und legen dafür ihren Kopf auf Bahngleise oder klettern ungesichert in Abrisshäuser und luftige Höhen. Sie essen extrem scharfe Snacks und Waschmittelkapseln oder versuchen sich vor laufender Kamera in die Bewusstlosigkeit zu würgen. Auch Körperbild-Trends wie #skinnytok und #looksmaxxing wabern durch die Social-Media-Feeds von Kindern und Jugendlichen und wirken negativ auf ihre Gesundheit.
Das Monitoring dieser Gefährdungen soll durch technische Mittel wie Crawler und KI-Werkzeuge, redaktionelle Einordnungen und Community-Eingaben gewährleistet werden, die auch anonym erfolgen können. Schon das technische Monitoring soll Inhalte drei Stufen zuordnen: 1. unbedenklich, 2. auffällig/ potenziell riskant, 3. gefährlich oder strafrechtlich relevant. Die Redaktion ordnet dann ein, ob etwas tatsächlich ein Trend oder Fake ist, welche Altersgruppen betroffen sind, ob eher eine psychische oder physische Gefahr besteht und welche rechtliche Bedeutung das Thema hat.
(Bild:Â Screenshot/Socialmediasprechstunde)
Videos by heise
Abonnenten erhalten Zugriff auf diese Informationen und Handlungsempfehlungen und sollen dazu auch einen KI-Chatbot befragen können. Dieser soll mit „kuratierter Fachliteratur, Präventionsleitfäden, aktuellen Blogbeiträgen und rechtlich geprüften Texten aus dem Themenbereich digitale Gefahren und Kinderschutz“ gefüttert werden und nicht auf externe Quellen zugreifen. Zudem erhalten sie Zugang zu Videoabenden mit Fachleuten, regelmäßigen Newslettern und Push-Benachrichtigungen. Lehrkräfte und Schulen sollen über einen eigenen Bereich Unterrichtsmaterialien, Gesprächsleitfäden und Dokumentationsvorlagen, didaktisch geprüfte Handlungsempfehlungen und eine Anleitung zur Einrichtung einer eigenen „Social Media Sprechstunde“ für Schülerinnen und Schüler erhalten. Die Blogbeiträge sollen jeweils fachlich geprüfte Inhaltsanalysen, Handlungsempfehlungen für Eltern, Schule und Umfeld, sowie eine strafrechtliche Einordnung umfassen.
(Bild:Â Screenshot/Socialmediasprechstunde)
Unter anderem durch den Abobereich soll sich das Projekt finanzieren. Institutionen wie Schulen und Behörden, aber auch Unternehmen, sollen Lizenzen gestaffelt nach Größe und benötigten Zugängen für Angestellte erwerben können, Privatmenschen ein Einzelabo für 7 Euro, in der Anfangszeit für 5 Euro im Monat. Des Weiteren erhoffen sich Müller und Hillers aber auch Stiftungen und Unternehmen mit ähnlichem Werte-Kompass als Förderpartner. Ziel sei es, inhaltlich unabhängig zu bleiben, keine personenbezogenen Daten oder eine Profilbildung nutzen zu müssen oder von Werbeeinnahmen oder Klickzahlen abhängig zu sein und trotzdem das genaue Monitoring und weitere Services des Angebots stemmen zu können.
Schulische Arbeit: Prävention und Hilfestellungen
Dass Müller und Hillers ihr Projekt „SocialMediaSprechstunde“ nennen, hat mit ihrer schulischen Arbeit zu tun. Schon 2019 richteten sie eine Social-Media-Sprechstunde für Schülerinnen und Schüler als Anlaufstelle bei Sorgen und Problemen ein, die auf Erlebnisse in der digitalen Welt zurückgehen. Das Angebot wurde Müller zufolge gut angenommen.
Selbst wenn sich – wie von Müller, Hillers und Mitstreitenden, wie der Elterninitiative SmarterStartAb14, gewünscht – auch in Deutschland nach Vorbild Australiens ein Mindestalter für Social Media durchsetzen sollte: Das Angebot der SocialMediaSprechstunde wird damit für ihre Initiatoren nicht obsolet. Müller bekräftigte dies gegenüber heise online: „Da die Gefährdungslage hinsichtlich der Inhalte und Übergriffe für und auf Kinder nicht geringer werden wird, braucht es weiterhin massive Aufklärung über Art und Qualität der Bedrohungen und klare Leitideen und Handlungsempfehlungen, wie wir Kinder begleiten.“ Mögliche Verbote sieht sie als gesellschaftlichen Orientierungsrahmen, der die Diskussion aber nicht vom nötigen Kompetenzaufbau bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ablenken sollte.
(kbe)