Zahlen, bitte! 250.000 Gummibälle in den Straßen von San Francisco

2005 flogen für einen Sony-Werbespot 250.000 Bälle die Straßen von San Francisco entlang. Um CGI-frei zu bleiben, betrieben die Macher einen enormen Aufwand.

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Von
  • Detlef Borchers
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Die britischen TV-Zuschauer, die am 5. November 2005 Sky Sport anschalteten, um das Fußballspiel von Manchester United gegen FC Chelsea zu sehen, erlebten ein Premiere der ganz besonderen Art. Über zwei Minuten lang tanzten 250.000 bunte Flummis durch die hügeligen Straßen von San Francisco und das gänzlich ohne CGI. Erst am Ende wurde klar, was die in Zeitlupe gefilmten Bälle sagen wollten: "Colour like no other" machte Werbung für Sonys neue Fernseher-Marke Bravia.

Obwohl der für eine Million US-Dollar produzierte Werbespot nur in Großbritannien ausgestrahlt wurde, fand er international große Verbreitung und heimste etliche Preise ein.

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Kaum hatten die Werber der britischen Agentur Fallon um den Kreativdirektor Juan Cabal zusammen mit Sony den Claim "Colour like no other" ausgetüftelt, stand die Frage im Raum, wie er am besten visualisiert werden kann. Unter den Regisseuren, die sich für den lukrativen Auftrag bewarben, befanden sich Stars wie etwa Spike Jonze, der viele preisgekrönte Musik-Videos inszenierte, wie "Sabotage“ der Beastie Boys oder "Weapon of Choice“ von Fatboy Slim.

Zahlen, bitte!
Bitte Zahlen

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Es setzte sich jedoch die Idee des relativ unbekannten Dänen Nicolai Fuglsig durch, bunte Bälle durch die Straßen von San Francisco zu schicken. Fuglsig hatte zuvor als Fotoreporter im Kosovo-Krieg gearbeitet und über diesen brutalen Krieg den düsteren Dokumentarfilm "Return of the Exiled" gedreht. Erst nach seiner mit Preisen überhäuften Werbung für Sony wurde er mit "Operation: 12 Strong" dem US-Publikum bekannt, einem Kriegsdrama über den Einsatz einer US-Spezialtruppe in Afghanistan.

Viele bunte Gummibälle werden auf die San Francisco Hills losgelassen. Ausschnitt aus "Colour like no other" für eine Fernseh-Marke.

(Bild: Screenshot/Sony)

So bunt und heiter geriet schließlich das Spektakel, begleitet von dem Song "Heartbeat" des schwedischen Sänger und Songwriters José Gonzalez – der diese Werbung prompt in seine Konzerte einbaute. Fuglsig wollte eigentlich bunte Basketball-, Tennis- und Fußbälle in großer Zahl in die hügeligen Straßen von San Francisco schicken, entschied sich dann aber für die viel bunteren Flummis der US-Marke Wham-O, die einfach dynamischer sprangen.

Die Bälle besitzen einen Restitutionskoeffezient von 0,92: bei einem Fall aus einem Meter Höhe springen sie 92 cm zurück. Für eine ordentliche Höhe sollten Schneekanonen sorgen. Bei den ersten Tests zerfetzten sie kurzerhand die kleinen Bälle. Bei abgeschwächter Leistung wurde schnell klar, was für ein Wumms erzeugt werden kann. Daraufhin experimentierten die Videomacher mit Containern, die von Gabelstaplern hochgehievt und gekippt wurden. So brach das blanke Chaos aus.

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Dabei mussten viele Vorbereitungen getroffen werden. Die Anwohner mussten ihre geparkten Autos entfernen (die Filmcrew und die vielen angeheuerten Mitarbeiter zum Einsammeln aus den sich bildenden Bällebädern stellten eigene hin, die ordentlich zerbeult wurden), die Kameras mussten mit Verhauen vor den Bällen geschützt werden, Fangzäune wurden aufgebaut. Chris Willigham, der damals als Business Director fungierte, beschrieb in einem Beitrag auf LinkedIn, dass sie für jede Aufnahme die Straße nach möglichen Abflüssen und sonstigen Fluchtmöglichkeiten für die Bälle absuchten.

Nach einer Aufnahme suchten unzählige Studenten die Straßen nach Bällen ab und sammelten sie ein. Willingham schätzt, dass wenn überhaupt, nur eine Handvoll an Bällen verloren gingen. Völlig ohne Schäden blieben die Drehs allerdings nicht: An den beiden Drehtagen im Juli 2005 orderte das Team Glasereien, um Glasbruch im Wert von insgesamt 74.000 US-Dollar zu reparieren. Nach den Dreharbeiten gingen die Bälle an Schulen, Kindergärten oder Kinderhilfsorganisationen oder zurück an die Händler.

Insgesamt kostete die Produktion des Videos knapp eine Million Dollar. Sie erfüllte ihren Zweck: Sony konnte mit den Bravia-TVs den Konkurrenten Sharp abschütteln und genehmigte in der Folgezeit noch ganz andere Werbung. Mit zwei Millionen Dollar sorgte das in Schottland aufgenommene Werbevideo Paint im Jahre 2006 für ein noch größeres Spektakel, kam aber nicht an die verzaubernden Bälle von San Francisco heran. Den Abschluss der Farborgien bildete schließlich ein Film mit Knete-Kaninchen in New York. Die drei Filme spielen heute in der Wissenschaft eine Rolle: Sie werden von Neurologen genutzt, die untersuchen, wie unser Hirn auf Farbreize reagiert.

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Ob heute eine derartige Bälle-Orgie realisierbar wäre, ist fraglich. Längst haben hier computerisierte Effekte die Regie übernommen. Auch die Werbeagentur Fallon hatte 2005 eine ganze Reihe AV-Spezialisten engagiert, die Aufnahmen aufzuhübschen, doch sie wurden von Fuglsig kurzerhand weggeschickt. CGI wurde bis auf die kurze Schlussszene mit Logoeinblendung nicht in den Aufnahmen eingesetzt. Die Magie der Bälle siegte.

Was die heutigen Einwände zur Verbreitung von Mikroplastik in unserem Leben anbelangt, so kann man auf die gelungene und sehr britische Parodie auf Fuglsig verweisen, die ebenfalls ihre Fans gefunden hat. In beiden Fällen handelt es sich übrigens bei dem aus einer Dachrinne springenden Frosch um echte Exemplare, für die eigens Naturschützer vor Ort waren.

(mawi)