Lecanemab: Qualitätsinstitut nicht überzeugt von neuem Alzheimer-Medikament
Ein neues Medikament für Menschen, die an Alzheimer-Demenz erkrankt sind, ist seit 1. September in Deutschland verfügbar. Doch das IQWiG sieht keinen Nutzen.
(Bild: agsandrew / Shutterstock.com)
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat in seiner Nutzenbewertung dem neuen Medikament Lecanemab für an der frühen Alzheimer-Demenz erkrankte Menschen keinen Zusatznutzen bescheinigt. Diese Bewertung ist eine maßgebliche Grundlage für die anstehenden Preisverhandlungen zwischen dem Hersteller und dem GKV-Spitzenverband. Bei Lecanemab handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der krankhafte Amyloid-Ablagerungen im Gehirn angreift, wie sie in Nervenzellen von Alzheimer-Erkrankten auftreten. Ziel der Behandlung ist es, den Abbau kognitiver und funktionaler Fähigkeiten zu verlangsamen und den Betroffenen mehr Zeit für ein möglichst selbstständiges Leben zu ermöglichen.
Das IQWiG begründet seine Entscheidung damit (PDF), dass in den für den deutschen Versorgungsalltag relevanten Patientengruppen kein statistisch signifikanter Vorteil von Lecanemab gegenüber der Standardtherapie nachgewiesen werden konnte. Dafür analysierte das Institut die Daten der Zulassungsstudie „Clarity AD“ in zwei spezifischen Untergruppen: Patienten mit einer leichten kognitiven Störung (Mild Cognitive Impairment, MCI) und Patienten mit einer leichten Alzheimer-Demenz. Dr. Daniela Preukschat vom IQWiG erklärte in einem Pressebriefing, dass sich in diesen für die Bewertung entscheidenden Gruppen keine signifikanten Unterschiede befinden, weshalb das Urteil „Zusatznutzen nicht belegt“ lautet.
Methodische Mängel der Zulassungsstudie als Kern des Problems
„Es ist natürlich schon so, dass wir merken, dass die Studie jetzt nicht primär dafür ausgelegt war, unsere Fragestellung zu beantworten,“ erklärte auch Dr. Claudia Selbach vom IQWiG. Ein zentrales Problem war, dass die Studie die Wirkung von Lecanemab nicht sauber von den bestehenden Standardtherapien trennte. „Wir haben einen Vergleich von Lecanemab mit Placebo, und im Hintergrund erfolgte eine stabile Begleitbehandlung, entweder mit Acetylcholinesterase-Inhibitoren oder auch mit Memantin. […] Und diese Behandlung war auch nur optional. Das heißt, es gab auch durchaus Patienten, die diese Begleitbehandlung nicht erhielten,“ erklärte Preukschat zum Studiendesign. Diese Vermischung von Behandlungen erschwere eine klare Aussage über den Zusatznutzen von Lecanemab gegenüber der Standardtherapie, weshalb das IQWiG die Daten nachträglich filterte.
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Daten aus den USA berücksichtigte das IQWiG nicht, da diese aus der klinischen Anwendung nach der dortigen Zulassung stammen und somit keine randomisierten, vergleichenden Studiendaten darstellen, wie sie das deutsche Nutzenbewertungsverfahren fordert. Real-World-Daten seien zwar grundsätzlich von Interesse, erfüllten aber nicht die methodischen Anforderungen der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V, betonte Preukschat; zugleich habe sich das IQWiG nur auf die Studienteilnehmer konzentriert, die nach deutschem Therapiestandard behandelt wurden. Die in der Gesamtpopulation beobachteten positiven Effekte von Lecanemab seien hingegen vorwiegend bei den Patienten aufgetreten, die nicht nach diesem Standard therapiert worden waren, erklärte sie.
Prof. Dr. Jörg Schulz von der Uniklinik RWTH Aachen und Prof. Dr. Lutz Fröhlich vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim bemängelten die Methodik des IQWiG. Die Analyse von kleinen, nachträglich gebildeten Untergruppen sei statistisch nicht aussagekräftig, da die Studie dafür nicht die nötige statistische Aussagekraft (Power) besitze.
Fehlende Langzeitdaten vom Hersteller bemängelt
Gleichzeitig kritisierte das IQWiG seinerseits den Hersteller. Preukschat bemängelte, dass dieser die öffentlich diskutierten Langzeitdaten aus der offenen Verlängerungsphase der Studie nicht für die Bewertung eingereicht hat. „Uns sind diese Daten leider nicht vorgelegt worden, was interessant ist, weil sie wichtig wären. […] Ich persönlich finde es sehr schade, dass wir diese Daten nicht differenziert bewerten können, weil sie auch zunehmend in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle spielen.“
Nächste Schritte
Sollte es infolgedessen zu keiner Einigung bei den Preisverhandlungen kommen, könnte der Hersteller das Medikament vom deutschen Markt nehmen. Dies würde, so Schulz, zu einer „Zweiklassenmedizin“ führen, bei der sich nur noch Selbstzahler die Therapie leisten könnten.
Der Prozess ist damit noch nicht abgeschlossen. Im nächsten Schritt können der Hersteller und die Fachgesellschaften im Rahmen eines Stellungnahmeverfahrens auf die Bewertung reagieren, bevor der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Mitte Februar 2026 einen endgültigen Beschluss über den Zusatznutzen fasst.
In den USA ist Lecanemab von der FDA regulär zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit zugelassen, also bei Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) oder leichter Demenz aufgrund der Alzheimer-Krankheit, wenn eine erhöhte Beta-Amyloid-Konzentration im Gehirn nachgewiesen ist.
Weitere erklärende Zitate von Preukschat und Selbach ergänzt.
(mack)