Ermittlungen gegen SIM-Lock-Entferner

Die Staatsanwaltschaft Göttingen hat Strafverfahren gegen vier Anbieter eingeleitet, die den SIM-Lock von Handys entfernen. Auch 600 Kunden müssen mit Konsequenzen rechnen.

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Von
  • Urs Mansmann

Die Staatsanwaltschaft Göttingen ermittelt gegen vier Anbieter, die den SIM-Lock von Handys gegen Entgelt entfernen, und 600 ihrer Kunden. Das sogenannte Unlocking ist schon seit Jahren ein blühendes Geschäft. Kunden erwerben für einen geringen oder nur symbolischen Preis ein Handy, das sie nur mit einer SIM-Karte (SIM-Lock) oder in einem bestimmten Handnetz (Net-Lock) einsetzen können. Die Entfernung der Sperre ist kostenpflichtig, erst nach zwei Jahren rücken die Netzbetreiber den erforderlichen Entsperr-Code kostenfrei heraus. Gegen ein geringes Entgelt entfernen Unlocker diese Sperre vorzeitig.

Die Staatsanwaltschaft Göttingen sieht dadurch gleich mehrere Tatbestände verwirklicht. Für das Entsperren haben die Ermittler zwei Varianten ausgemacht: In der ersten nennt der Kunde dem Händler lediglich die IMEI-Nummer seines Handys. Letzterer ermittelt dann anhand eines Algorithmus den Entsperr-Code und teilt diesen dem Kunden mit. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist der Kunde hier der Täter, sein Handeln ein Verstoß gegen § 303a StGB (Datenveränderung) und § 263a (Computerbetrug). Dem Händler wirft sie eine Mittäterschaft vor; allerdings wird sie bei den Händlern auch prüfen, ob gewerbsmäßiges Handeln vorliegt. In diesem Fall drohen bei einem Schuldspruch schärfere Sanktionen, beispielsweise reicht der Strafrahmen bei gewerbsmäßigem Computerbetrug von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Die Ermittlung des Codes stellt nach Ansicht der Strafverfolger möglicherweise einen Verstoß gegen § 17 Abs. 2 UWG (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen) dar.

Die zweite Variante besteht darin, dass der Kunde sein Handy einsendet und der Händler die Software darauf vollständig oder teilweise löscht und durch eine Version ohne SIM-Lock ersetzt. Dieser Fall stellt sich für die Strafverfolger juristisch anders dar: Dann wäre der Händler der Täter, dem Kunden wird sie Mittäterschaft oder Anstiftung vorwerfen. Die Staatsanwaltschaft sieht in diesem Fall zudem einen Verstoß gegen §§ 106 und 108a UrhG (gewerbsmäßige unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke), erklärte Staatsanwalt Andreas Buick gegenüber heise online.

Aus Sicht von Buick entsteht dem Netzbetreiber ein Schaden, denn er sei an der Software berechtigt und verliere durch die Manipulation am Gerät das Recht am Verkauf des Entsperrcodes beziehungsweise am Umsatz, der durch die Verwendung des Geräts mit der dafür vorgesehenen SIM-Karte beziehungsweise dem vorgegebenen Netz entstehe. Die Kunden, deren Daten die Staatsanwaltschaft bei Hausdurchsuchungen bei den Anbietern fand, werden indes nicht allzu hart angepackt. Sie werden voraussichtlich das Angebot erhalten, das Strafverfahren gegen Zahlung einer Geldbuße von rund 100 Euro einzustellen. Gegen die Händler plant die Staatsanwaltschaft, Anklage zu erheben.

Wer das Verfahren angestoßen hat, war nicht in Erfahrung zu bringen. Interessant ist der Zeitpunkt, denn Unlocker bieten schon seit vielen Jahren ihre Dienste an, bislang unbehelligt von den Behörden. Möglicherweise tritt das Verfahren in Göttingen nun eine ganze Lawine los, denn Polizeiinspektion und Staatsanwaltschaft Göttingen veranstalteten in der vergangenen Woche ein bundesweites Treffen zum Thema SIM-Lock-Entfernung, bei dem Staatsanwälte und Ermittler aus ganz Deutschland Ermittlungsergebnisse und Erfahrungen austauschten.

Ob sich die Anbieter und Kunden solcher Entsperrdienste tatsächlich strafbar gemacht haben, muss sich erst in den folgenden Verfahren herausstellen. Der von heise online dazu befragte Rechtsanwalt Dr. Till Jaeger von der Kanzlei JBB in Berlin schätzt den Fall als komplex ein: "Die rechtliche Bewertung hängt auch davon ab, auf welchem technischen Wege die Unlocker den SIM-Lock auf dem Handy aufheben." Für die betroffenen Kunden ist die Situation unerquicklich. Sie können entweder das Angebot zur Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße akzeptieren oder mit ungewissen Erfolgsaussichten und erheblichen Kosten für die Rechtsverteidigung dagegen zu Felde ziehen. "Für die Kunden besteht auch das Risiko, dass der betreffende Netzbetreiber zivilrechtliche Forderungen stellt", fügt Jaeger an, "denn durch Einsicht in die Strafakte des Unlockers kann er möglicherweise die Daten der Kunden erfahren." (uma)