Karlsruher Memorandum gegen Softwarepatente

Die Free Software Foundation und Gewerkschaften bitten die EU-Abgeordneten, in der 2. Lesung "notwendige Änderungen" an der Patentrichtlinie vorzunehmen; auch neue Demos und parlamentarische Initiativen sind geplant.

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Die Free Software Foundation Europe (FSF) bittet die EU-Abgeordneten gemeinsam mit den Gewerkschaften DGB, ver.di und der European Trade Union Confederation (ETUC), kommende Woche in 2. Lesung "die notwendigen Änderungen" an der umkämpften Vorlage des EU-Rates für eine Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" vorzunehmen. In einem auch von gut 200 Besuchern des Linuxtages unterschriebenen "Karlsruher Memorandum" loben die Organisationen die in 1. Lesung schon einmal vorgenommenen Korrekturen des EU-Parlaments, da dadurch "Patente auf die Algorithmen und die Logik von Software selbst" verhindert werden sollten. Nun hoffen sie, dass die Abgeordneten entgegen der Empfehlung des federführenden Rechtsausschusses an dem damals getroffenen Kompromiss größtenteils festhalten.

Es gehe um den Erhalt der Vision eines Europas als "lebendiger, kreativer und wettbewerbsorientierter Teil der Welt", heißt es in der Denkanregung. Diese basiere auf den Prinzipien "einer teilnehmenden Demokratie und der Freiheit zur Innovation", zu der auch die Freiheit bei der Software-Entwicklung und bei der Veröffentlichung eigener Werke in der Wissensökonomie gehören würden. Die gegen den Willen vieler nationaler Parlamente verabschiedete Position des Ministerrat gefährde diese aber durch den Vorstoß zur "unbegrenzten Patentierbarkeit von Software". Die Linie des Gremiums der nationalen Regierungen stehe zudem im Widerspruch zu zahlreichen wissenschaftlichen Studien, die vor den Auswirkungen von Softwarepatenten warnen. Die Unterzeichner nennen in diesem Zusammenhang vor allem die Wettbewerbsbehinderung durch die staatlich abgesicherten Monopolansprüche, fürchten aber auch um die Computersicherheit und -zuverlässigkeit durch Einschränkungen bei der Software-Entwicklung. Sie verweisen zudem darauf, dass die bahnbrechenden Errungenschaften im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien wie das World Wide Web gerade deswegen erfolgreich waren, weil sie nicht patentiert wurden.

Auch der Branchenverband EICTA, der Konzerne wie IBM, Intel, Microsoft oder SAP vertritt, hat seine Abstimmempfehlungen für die entscheidende 2. Lesung inzwischen an die EU-Abgeordneten geschickt. Ähnlich wie bei der Kommentierung der gesamten Änderungsanträge rät die Industrielobby auch bei den Vorschlägen des Rechtsausschusses dringend davon ab, bei der Definition des für die Gewährung eines Patents erforderlichen "technischen Beitrags" das viel beschworene und in Deutschland vom Bundesgerichtshof hoch gehaltene Konzept des "Einsatzes kontrollierbarer Naturkräfte" EU-weit einzuführen. Zudem müsste unbedingt die Sprachregelung des Rates zu den umstrittenen Programmansprüchen beibehalten werden, von denen Softwarepatentgegner eine Gefahr schon für die Veröffentlichung von Programmen mit möglichen patentverletzenden Teilen ausgehen sehen.

Von einer Unterstützung der Ratsversion sollen die Parlamentarier dagegen mehrere Kundgebungen nächste Woche abbringen. So lädt der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) gemeinsam mit zahlreichen Mittelstandsvereinigungen zu einer Demonstration nächsten Mittwoch direkt vor der Plenarabstimmung vor das EU-Parlament in Straßburg. Attac und das Bürgernetzwerk Campact rufen zudem zu einer Tour "Courage to the Parliament" auf. Starten soll die Reise gegen Softwarepatente am 3. Juli vor dem Bundesjustizministerium in Berlin, das trotz eines gegenteiligen Bundestagsbeschlusses sich für die Ratsposition eingesetzt hat. Dabei sollen Programmierer in Handschellen und Sträflingsanzügen, die mit Klagen von Patentanwälten überzogen werden, auf die befürchteten Folgen der Richtlinie hinweisen.

Am 4. Juli soll die Tour in Düsseldorf, "Europas Hochburg für Patentverletzungsprozesse", an der Königsstraße haltmachen. Tags darauf sollen die über 4000 Fotos der Online-Demo "No E-Patents" vor dem Straßburger Parlament auf einem großen Plakat entrollt werden. Mit einem besonderen Fototermin wollen die Grünen, die sich gegen den Ratsstandpunkt positioniert haben, ferner die Abgeordneten anderer Fraktionen von ihrem Kurs überzeugen: Am morgigen Donnerstag werden sich unter anderem die Co-Präsidenten der Fraktion, Daniel Cohn-Bendit and Monica Frassoni, Schwimmwesten anlegen und einen "SOS"-Notruf für die Rettung der europäischen Softwarewirtschaft starten. Im EU-Parlament werden zudem bis zum heutigen Mittwochabend noch Unterschriften für letzte neue Änderungsvorschläge gesammelt. Unter anderem die Sozialisten sowie die Christdemokraten arbeiten hier weiter unter Hochdruck an Kompromisslösungen.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)