Österreichische Big Brother Awards vergeben

Unter dem Motto "Im Dienste Ihrer Sicherheit" sind in Wien zum 12. Mal Datenschnüffler und Rechteentwerter "geehrt" worden. Persönlich stellte sich keiner der Big-Brother-Preisträger der Kritik, übermittelt wurden aber Gegendarstellungen von zwei Nominierten.

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Mit Schimpf und Schande wurden sie überhäuft, die Spitzel und Schnüffler, die Datenkraken und Web-2.0-Spekulanten, die Geheimnisdealer und Rechteentwerter – kurz die größten Big Brother aus Sicht der österreichischen Big Brother Awards Jury. Zum 12. Mal war sie zusammengetreten und hatte zunächst nominiert und dann die Sieger erkoren: Vizekanzler Pröll, die Staatsanwaltschaft, EU-Kommissarin Malmström, ITworks und T-Mobile. Sie alle wurden Montagabend im Rahmen der 12. Österreichischen Big Brother Award Gala "geehrt". Keiner der Preisträger stellte sich persönlich der Kritik, zwei Nominierte hatten aber eine Gegendarstellung übermittelt.

Christian Felber von Attac erläuterte, wieso er die Aufhebung des Bankgeheimnisses weiterhin für notwendig hält und bat um Beteiligung an dieser Diskussion, während Daniel Goldscheider von Lottelo sein auf einer Kombination von Mehrwert-SMS und Lottozahlen basierendes Geschäftsmodell verteidigte. Dabei kritisierte er die Big Brother Awards im Allgemeinen. Es gäbe zwar die Möglichkeit der Gegendarstellung, die Jury wolle die Gegenargumente aber letztlich nicht wahrnehmen.

In der Kategorie "Politik" setzte sich die umstrittene Transparenzdatenbank durch, für die Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP) den Preis erhielt. Die Transparenzdatenbank soll laut offizieller Lesart für mehr Leistungsgerechtigkeit sorgen. Aus diesem Grund soll sie von jedem Bürger erhaltene öffentliche Transferzahlungen und Förderungen, Sozialversicherungsleistungen sowie Steuereinsparungen auflisten. Die Jury führte aus, dass anhand der Transparenzdatenbank die Doppelmoral der Parteien in Bezug auf "Transparenz" deutlich werde. Denn bei Parteifinanzen gäbe es keine Transparenz.

Der diesjährige Preisträger in der Rubrik "Behörden und Verwaltung" ist die Staatsanwaltschaft Wien, die sich nach Ansicht der Jury zum Handlanger deutscher Strafverfolger machte. Journalisten wurden wegen Zitaten aus Gerichtsakten verhört, was zwar in Deutschland, nicht jedoch in Österreich strafbar ist. Halb amüsiert, halb irritiert erzählte einer der betroffenen Journalisten, wie wenig die Kriminalbeamten, die sich sonst mit der "Neffentrick" genannten Betrugsmasche befassen, mit den Journalisten anzufangen wussten.

Gegen die Staatsanwaltschaft Wien war unter anderen die als "Censilia" bekannte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström angetreten. Sie ging nicht leer aus: Zusammen mit weiteren "Netzabsperrern" gewann sie den Sonderpreis für "Lebenslanges Ärgernis". Die Veranstalter zitierten in diesem Zusammenhang Johan Schlüter, Anwalt der International Federation of Phonographic Industries: "Kinderpornografie ist großartig, weil sie von Politikern verstanden wird. Wenn wir diese Karte spielen, kriegen wir sie dazu, zu handeln und Websperren einzuführen. Wenn das geschafft ist, werden sie auch bereit sein, Filesharing-Sites zu blockieren."

T-Mobile Austria wurde mit dem Preis im Bereich Kommunikation und Marketing[ bedacht. Die Jury befand die Handhabung von "Mehrwert-SMS" für verwerflich. Spam-SMS, die über das Netz von T-Mobile versandt wurden, kosteten die Empfänger bis zu 5 Euro pro Nachricht. Trotz zunehmender Beschwerden beugte T-Mobile weiterem Betrug nicht vor, sondern stellte diese Belästigungen weiter in Rechnung. Das Problem sei in Österreich ein "Dauerbrenner", konstatierte die Jury, wobei ein Großteil der Beschwerden T-Mobile betreffe.

In der Sparte "Business und Finanzen" wurde die Firma ITworks für den erzwungenen Datenstriptease Arbeitsloser gewürdigt. ITworks stünde hier nicht allein in der Kritik, so die Jury. "Der Fall steht vielmehr stellvertretend für den Umgang mit Menschen, die ohnehin täglich mit der Verzweiflung kämpfen müssen, weil sie im Eck des individuellen Schuldenkäfigs sitzen: wehrlos und allein."

Bei der "Volkswahl" reüssierte Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP). "Während die Gangster mit den weißen Kragen weiterhin frei herumlaufen, weil partout keine Anklage gelingen will, verhängte man unter ihrer Ägide als Justizministerin wegen eines brennenden Mistkübels mehrwöchige Untersuchungshaft über vier junge Menschen. Das sogenannte Terrorismuspräventionsgesetz hat nämlich zivilen Ungehorsam in prekäre Nähe zur schweren Kriminalität gerückt" so die Jury.

Für seinen Einsatz für Bürgerrechte, Privatsphäre und Freiheit wurde Cryptome-Gründer John Young mit dem Positivpreis "Defensor Libertatis" belohnt. Das 1996 gegründete Cryptome gilt als Vorläufer von Wikileaks. "John Young hat sich im Lauf der Jahre mit praktisch jedem Protagonisten des militärisch-elektronischen Überwachungskomplexes der Vereinigten Staaten von Amerika angelegt: Mit vielen davon auch persönlich, weil dieser zornige alte Mann den grassierenden Überwachungswahn ganz persönlich nimmt", sagte Laudator Erich Moechel, "Für ein Leben im Kampf gegen Überwachung und Zensur und für nachgerade beängstigenden Mut wird deshalb der "Defensor Libertatis" an den Verteidiger der Freiheit John Young verliehen. Für uns und alle anderen aber bedeutet dieses Vorbild: Schafft ein zwei, drei, viele Cryptomes! Schafft ein, zwei, drei, schafft viele Wikileaks!“

Der Veranstalter der österreichischen Big Brother Awards, der Verein quintessenz unter Schirmherrschaft von Privacy International, nimmt ab sofort Vorschläge für die 13. Big Brother Awards im kommenden Jahr entgegen. (pmz)