Softwarepatente: EU-Parlamentarier machen sich für neue Änderungsanträge stark

Abgeordnete aller Fraktionen sind mit den Empfehlungen des Rechtsausschusses unzufrieden und bestehen auf weiter gehenden Korrekturen an der Linie des EU-Rates.

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Abgeordnete aus allen Fraktionen des EU-Parlamentes sind mit den Empfehlungen des Rechtsausschusses für die 2. Lesung der umkämpften Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" unzufrieden und bestehen auf deutlich weiter gehenden Korrekturen an der Linie des EU-Rates. Die von ihren Fachpolitikern enttäuschten Parlamentarier haben so noch einmal eine Vielzahl neuer Änderungsvorschläge bis zum Fristablauf am gestrigen Mittwochabend eingereicht. Aussichtsreich sind dabei insbesondere 21 Korrekturpunkte, die der zuständige Parlamentsberichterstatter, der französische Ex-Premier Michel Rocard, als weiteren Kompromissversuch parallel mit Vertretern unter anderem der Sozialdemokraten, der Grünen sowie linker wie rechter Randfraktionen eingebracht hat.

Auch die Liberalen haben ein fast gleich lautendes Set an Änderungsvorschlägen festgezurrt, das bereits von knapp der Hälfte der Fraktionsmitglieder unterstützt wird. Sie wollen zudem einen Antrag auf die Tagesordnung für die entscheidende Abstimmung am nächsten Mittwoch setzen, mit dem die Position des Ministerrates komplett zurückgewiesen werden soll. Großer Erfolg wird diesem Begehr aber nicht beschieden sein. Angesichts der vielen gleich lautenden Anträge dürfte sich deren hohe Zahl -- von bis zu 500 ist die Rede -- für die endgültige Abstimmungsliste noch deutlich reduzieren lassen.

Erneut gespalten präsentiert sich mit der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) die größte Fraktion im Parlament. Fast 50 der Christdemokraten unterstützen gemeinsam mit Abgeordneten der rechten UEN letztendlich das frische Kompromisspapier Rocards. Zu ihnen gehören der polnische Ex-Premier Jerzy Buzek, die Tschechin Zuzanna Roithova sowie der ein oder andere deutsche EVP-Vertreter. Ein Großteil der hiesigen Unionsvertreter im EU-Parlament dürfte aber den Vorschlägen des nicht ganz unumstrittenen nordrhein-westfälischen Koordinators Klaus-Heiner Lehne zugeneigt sein. Diese halten größtenteils an der Vorlage des Rechtsausschusses und der ähnlichen Position des EU-Rates fest. Gegen die nähere Definition des für die Gewährung eines Patentanspruchs erforderlichen "technischen Beitrags" beziehungsweise des dazugehörigen "Gebiets der Technologie" als "angewandte Naturwissenschaft" hat Lehne inzwischen aber nichts mehr.

Mit der EVP-Schattenberichterstatterin Piia-Noora Kauppi, die sich bislang für engere Grenzen bei der Patentierbarkeit von Software stark machte, vertritt der CDU-Abgeordnete zudem ein kleines Zugeständnis bei der umstrittenen Interoperabilitätsklausel. Demnach soll ein Patent bei einzelnen Distributionsformen nicht durchsetzbar sein, allgemein müssten bei der Verletzung eines gewährten Monopolanspruches zur Herstellung von Interoperabilität aber weiter wie vom Rechtsausschuss vorgesehen Lizenzen gekauft werden. Bei den umstrittenen Programmansprüchen in Artikel 5 der Ratslinie, welche bereits die Veröffentlichung einer möglicherweise patentverletztenden Software illegal machen würden, wollen Kauppi und Lehne den Konservativen zudem freie Hand bei der Abstimmung lassen.

Die neuen Kompromissvorschläge Rocards gehen darüber hinaus. Bei der Technikdefinition verzichtet der Franzose inzwischen auch auf den Naturkräftebezug, für den sich unter anderem der Bundestag und jüngst auch die dänische Regierung stark gemacht hat. Nur noch in der Begründung für den entsprechenden Änderungsvorschlag hebt der Sozialist darauf ab, fordert im eigentlichen Text für Artikel 2 aber die sich als neuer gemeinsamer Nenner herausstellende Technikdefinition der "angewandten Naturwissenschaften". Patente auf Ideen oder mathematische Formeln wären damit auf jeden Fall nicht zu gewähren, was auch eine Signalwirkung auf die weite gegenwärtige Vergabepraxis des Europäischen Patentamtes haben soll. Ein gesonderter Änderungspunkt stellt auch klar, dass der technische Beitrag nicht etwa in der Verbesserung der Arbeitsleistung, des Speichers oder anderer Ressourcen eines Computer liegen darf.

Ferner will Rocard nähere Definitionen von Schlüsselbegriffen wie "Computer", "Datenverarbeitung" oder "Interoperabilität" in den Direktiventext einfügen. Beim besonders umstrittenen letzten Punkt schlägt der Franzose vor, den Einsatz einer patentierten Technik für die Verknüpfung unterschiedlicher Datenverarbeitungssysteme nicht als Rechtsverletzung anzusehen, wenn keine "gleich effizienten und effektiven Alternativen" zur Verfügung stehen. Ansprüche auf Computerprogramme als solche oder auf einem anderen Träger sollen ausdrücklich untersagt werden. Allgemein pocht Rocard weiter darauf, im Richtlinientext von "computergestützten" statt "-implementierten" Erfindungen zu sprechen.

Die Grünen sehen in dem Kompromiss-Set Rocards die "letzte Möglichkeit", Softwarepatente in der EU doch noch zu stoppen. Der Richtlinientext würde damit "deutlich klarer" als in der auch in den eigenen Reihen umstrittenen Vorlage des Rates. "Software wird entwickelt, nicht erfunden", führt die österreichische Grüne Eva Lichtenberger aus. Dieser stufenweise Prozess würde durch Patente gelähmt. Die SPD-Abgeordnete Erika Mann ist dagegen "noch nicht so glücklich" mit Rocard. Sie hat einen eigenen Vorschlag zur Interoperabilität eingebracht, demgemäß nur Open-Source-Entwickler in diesem Bereich von Patentverletzungen und dem Kauf von Lizenzen befreit würden.

Generell lasse sich nach noch "sehr schwer einschätzen", wofür die Abgeordneten letztlich stimmen. Klar müsste den Kollegen nur sein, dass jede Enthaltung als Punkt für die Ratsposition zähle. Wenn die Parlamentarier Änderungen nicht mit absoluter Mehrheit durchbrächten, gelte der Standpunkt der Minister. Auch Florian Müller, Gründer der Initiative NoSoftwarepatents.com, und der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) rufen die Abgeordneten auf, an der Abstimmung teilzunehmen. Noch sei der Kampf um die von ihnen befürworteten Rocard-Änderungen keineswegs gewonnen.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)