ePerso-Alltag: Von Ausweisen außerhalb kriegerischer Zeiten

Detlef Borchers wundert sich über Unsinn zu Computersicherheit in der ePerso-Broschüre und reminisziert etwas Historie zu deutschen Ausweisen.

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Von
  • Detlef Borchers

Ich war der erste. Kurz vor 10 erzählte ich den beiden Mitarbeitern im Gemeindeamt Westerkappeln, dass ich einen neuen Personalausweis beantragen möchte. Hocherfreut, endlich einmal die Software und den Scanner ausprobieren zu können, ging es ans Werk. Die erste Frage irritierte, ob ich denn irgendwo eine andere Staatsbürgerschaft beantragt habe? Ist es vielleicht die Software, mit der die deutsche Staatsbürgerschaftsurkunde ausgestellt wird, jenes weithin unbekannt dritte Personaldokument neben Reisepass und Personalausweis? Nein - mit Unterschrift eines Ausdruckes, den der Drucker zur Freude aller Beobachter ausspuckt. Fingerabdrücke gefällig? Nein, noch ein Ausdruck, hurra, noch eine Unterschrift. Dann kommt die eigentliche Unterschrift, die auf den Ausweis geht, das biometrische Lichtbild wird aufklebt, der Scanner blinkt und wartet auf Abtastfutter. Auf dem Bildschirm erscheint mein Foto mit Pausbäckchen, in einem grünen Rahmen: Die Biometrieprüfung hat keine Einwände. Jetzt geht alles zur Bundesdruckerei.

Ich erhalte eine Broschüre. Sie entspricht nicht ganz den Heftchen, die Journalisten zur Ausweis-Präsentation überreicht wurden und enthält ein zusätzliches Kapitel: "Ihr Beitrag zum sicheren Umgang mit der Online-Ausweisfunktion." Man soll besonders auf seine PIN und seinen PC aufpassen: "Aktualisieren Sie regelmäßig Ihr Betriebssystem, Ihr Virenschutzprogramm, Ihre Firewall und Ihr Programm zur Nutzung des Personalausweises, zum Beispiel die AusweisApp. Nutzen Sie die Sicherheitsupdates der jeweiligen Hersteller", heißt es da. Tausendmal gehört, tausendmal ist nichts passiert? Zum Schluss erzählt mir die Broschüre blanken Unsinn in Sachen Computersicherheit: "Wenn Sie ein Basis-Kartenlesegerät ohne eigene Tastatur in Verbindung mit der AusweisApp verwenden und sich nicht sicher sind, ob Ihr Computer frei von Schadsoftware ist, nutzen Sie zur Eingabe der PIN die in der AusweisApp integrierte Bildschirmtastatur." Als ob man Mausklicks nicht mit einer Spionagesoftware abfangen kann.

Erleichtertes Händeschütteln. Wenn die Bundesdruckerei mir den PIN-Brief schickt, soll ich zwei Tage "verschnaufen" und dann auf das Gemeindeamt gehen. Benachrichtigungen werden nicht mehr eigens verschickt, weil es ja diesen Brief gibt. Die Gemeindemitarbeiter haben alles genau verfolgt und lächeln entspannt. Mit Argusaugen haben sie jeden Eintrag in jedem Datenfeld geprüft: "Mit dem neuen Personalausweis hat sich die Haftung umgedreht. Wenn irgendetwas auf dem Ausweis falsch ist und dieser zurückgeht, haftet die Gemeinde, nicht mehr die Bundesdruckerei. Wir bleiben dann auf den Kosten für den Nachdruck sitzen", erklärt mir ein Mitarbeiter. Vom gesamten System ist er nicht unbedingt überzeugt. Er zeigt auf die beiden Änderungsterminals im Amtszimmer, die mit Stahltrossen an die Schreibtische gekettet sind. "Wäre das hier eine Bank, dann würde ich sofort die Bank wechseln. Die Dinger sind unglaublich langsam. Heute morgen wurde die Warnung rumgeschickt, nicht alle Geräte auf einmal zu starten. Das würden die Zertifikats-Server bei der Bundesdruckerei nicht verkraften." Am Netzanschluss liegt es nicht, das Rathaus von Westerkappeln hat DSL 6000, ganz anders als wir draußen auf dem Bauernhof mit unserem Bauern-DSL.

Zufrieden radel ich nach Hause, am Haus Cappeln vorbei, dem ehemaligen Rittergut. Der letzte adelige Besitzer war ein leidenschaftlicher Spieler und setzte die Anlage um 1810 in Paris auf eine Karte. Er verlor, das Gut wurde französisches Eigentum. Hier wurden Napoleons Offiziere gesund gepflegt und mit neuen Uniformen ausgestattet, als sie halb verhungert vom Russland-Feldzug zurückkamen. Das ist längst vergessen, wie die Tatsache, dass der erste innerstaatliche Ausweiszwang in deutschen Landen auf eben diesen Napoleon zurückgeht. Er führte das Arbeitsbuch ein, das jeder Werktätige besitzen musste. Dieses wurde aber bald abgeschafft, bis im Kaiserreich zum ersten Weltkrieg der "Person Ausweis" eingeführt wurde, als Identitätsnachweis für alle, die keinen Militärpass hatten. In der Weimarer Republik wurde daraus der "Personen-Ausweis". Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, führten sie die Kennkarte ein, verbunden mit dem Ausweiszwang für Juden. Auch nach dem zweiten Weltkrieg wurden mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wieder Kennkarten von den Besatzungsbehörden eingeführt -- ohne sie gab es keine Lebensmittelkarten. Erst 1950 waren beide deutschen Staaten wieder souverän genug, eigene Ausweise einzuführen. "In Europa konnten sich Identitätsausweise deswegen durchsetzen, weil sie kriegsbedingt an die Lebensmittelversorgung gekoppelt waren", heißt es in David Lyons "Playing the Identity Card" über die Entwicklung von Identitätssystemen. So gesehen muss man doch dankbar dafür sein, in welch friedlichen Zeiten die Online-Identifikation per Ausweis eingeführt wird. (jk)