Softwarepatente: Parlamentsmehrheit gegen die EU-Richtlinie zeichnet sich ab

Die Koordinatoren von vier Fraktionen einschließlich der Christdemokraten, der Grünen und der Liberalen schlagen den EU-Abgeordneten vor, die Vorlage des EU-Rates zurückzuweisen.

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Der hitzige Streit um die geplante EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" hat im Zuge der Plenardebatte im Rahmen der 2. Lesung am heutigen Dienstag in Straßburg eine überraschende Wende genommen. So zeigten sich die Vorsprecher der Europäischen Volkspartei (EVP) plötzlich bereit, einen Antrag der Liberalen zur kompletten Ablehnung des auch in den eigenen Reihen umstrittenen Vorschlages des EU-Rates zu unterstützen. Das würde das vorzeitige Scheitern des gesamten Gesetzgebungsverfahrens bedeuten. Auch die Grünen und eine Randgruppe haben sich dafür ausgesprochen. "Von vier Fraktionen wird die Zurückweisung beantragt", erklärte Klaus-Heiner Lehne, rechtspolitischer EVP-Sprecher im Vorfeld der entscheidenden Abstimmung am morgigen Mittwoch. Dieser "Änderungsvorschlag" würde bei der Sitzung als erster behandelt. Gewinnt er eine absolute Mehrheit, wovon auszugehen sei, "ist das Thema erledigt", betonte Lehne. "Die Richtlinie ist dann tot."

Mit dem Schachzug will Lehne verhindern, dass in der Abstimmung in einem "Schrotschussverfahren" der ein oder andere "problematische Antrag" eine Mehrheit finden könnte. Der Koordinator der Christdemokraten bezog sich dabei insbesondere auf den letzten Kompromissvorschlag des Berichterstatters Michel Rocard. Der französische Ex-Premier hatte enge Regeln für die Patentierbarkeit vorgeschlagen. Dabei wollte er nicht nur den erforderlichen "technischen Beitrag" im Sinne der "angewandten Naturwissenschaften" näher definieren, worin sich der Sozialist zuletzt auch mit den EVP-Fachpolitikern einig war. Darüber hinaus wollte er dezidiert die "reine Datenverarbeitung" von dem staatlich gewährten Monopolschutz ausnehmen und Ansprüche auf Programme als solche verhindern. Auch der Vorschlag Rocards zur Herstellung von Interoperabilität ging deutlich weiter als Lehnes Ansatz.

Dazu komme, berichtete Lehne, dass der "Gemeinsame Standpunkt" des Rates unter den Mitgliedsstaaten selbst "keine Mehrheit mehr hat". Ein mögliches Vermittlungsverfahren mit den Ministern wäre damit "völlig seltsam" und könnte dazu führen, dass in einer möglichen 3. Lesung mit einfacher Mehrheit viele Rocard-Vorschläge durchkommen könnten. Damit wäre dann aber "ein Großteil der Produkte der Hochtechnologie nicht mehr patentierbar". Der zuständige EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hat zudem für diesen Fall angekündigt, die unter die Räder einer "Anti-Globalisierungspolitik" geratene Richtlinie zurückzuziehen. Auch Noora-Piia Kauppi, die Schattenberichterstatterin der EVP, trägt die Hoffnung mit, dass "wir den Gemeinsamen Standpunkt des Rates morgen zurückweisen werden." Er sei für das Parlament "nicht akzeptabel". Für den Fall, dass es doch überhaupt zu einer Abstimmung der zahlreichen Änderungsanträge kommt, werde sie persönlich "auch einige Anträge Rocards unterstützen", wandte sie sich gegen die Linie Lehnes.

Generell ist der Ansatz der Konservativen jetzt aber, auf eine allgemeine Reform des Patentsystems entlang der entsprechenden Überlegungen in den USA hinzuarbeiten. Die Frage ist nur, ob es damit zu einer Begrenzung der bestehenden Vorgaben in Europa und der effektiven Verhinderungen von Trivialpatenten kommt, oder eher zu einer weiteren Ausdehnung der umstrittenen momentanen Praxis des Europäischen Patentamtes. Der ganze Prozess sei "zu kostspielig", positionierte sich Kauppi nur, und müsste "durchlässiger für kleine und mittlere Unternehmen werden". Für Lehne hat die EU-Kommission mit ihrem "sektoralen", auf den Softwarebereich beschränkten Ansatz zu kurz gegriffen. Er drängt auf eine "Gesamtharmonisierung" des komplexen Patentsystems. "Die Kommission ist jetzt wieder am Zuge", ergänzte Giuseppi Gargani, EVP-Vorsitzender des federführenden Rechtsausschusses in Erwartung des "Neins" zu der Direktive. Sie müsse eine "allgemeine Richtlinie vorlegen".

Während der zweieinhalbstündigen Plenardebatte, bei der die wenigen technisch interessierten Abgeordneten etwas verloren wirkten im gigantischen Straßburger Sitzungssaal, hatten Parlamentarier wie der britische Liberale Andrew Duff noch einmal auf die "große strategische Herausforderung hingewiesen, einen Gesetzesrahmen zu schaffen, der die generelle Patentierbarkeit von Software verhindert". Einigkeit über den Zurückweisungsantrag besteht seinen Worten nach noch nicht. Wenn es überhaupt keine Richtlinie gäbe, würde das seiner Ansicht nach "bedeuten, dass die Industrie dem Europäischen Patentamt, den Gerichten und den Panels der WTO auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist." Dies könnte sehr kostspielig werden.

Insgesamt zeigte sich die Zerrissenheit der Parlamentarier quer durch alle Fraktionen hindurch, wobei vor allem Schlagworte wie "Innovation" sowohl in der Argumentation für als auch gegen die Vorlage der Minister benutzt wurden. So warnten die einen vor den "intelligenten Patentbomben, die nicht auf unsere Kultur übergreifen dürfen". Die Informationsgesellschaft wäre damit "nicht mehr für alle zugänglich", sorgte sich der italienische Kommunist Umberto Guidoni. Andere sahen in den staatlich garantieren Monopolen auf Zeit die Basis für eine Blüte der Wissensgesellschaft. Obwohl sich in der aufgeheizten Debatte der vergangenen Monate vor allem die Großindustrie für die Ratsposition mit ihren zahlreichen Hintertüren für breite Softwarepatente ausgesprochen hatte, bezeichnete der CSU-Abgeordnete Joachim Würmeling Patente als den "Schutz des Schwächeren, des Erfinders, gegen den, der Marktmacht hat."

Insbesondere die Grünen hierzulande setzten sich unmittelbar vor der Debatte noch vehement gegen den Ratsentwurf ein. Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, und ihr für die Rechtspolitik zuständiger Kollege Jerzy Montag, erinnerten an den im Bundestag von der Union mitgetragenen Beschluss zur "effizienten Verhinderung" von Softwarepatenten. Sie appellierte an die Opposition, "ihren Worten auch Taten Folgen zu lassen und nicht -- wie im Rechtausschuss das Verhalten von Liberalen und der christdemokratischen EVP gezeigt hat -- einseitig den Interessen der Großunternehmen zu folgen." Der Bundesvorsitzende Reinhard Bütikofer selbst wandte sich brieflich an CDU-Chefin Angela Merkel mit der Bitte, "ihren Einfluss bei den deutschen CDU-Abgeordneten" und der EVP-Fraktion geltend zu machen. "Hintertüren" für die Softwarepatentierung müssten in der EU definitiv geschlossen werden. Die von über 500 Firmen getragene Unternehmerinitiative gegen Softwarepatente rief die EU-Parlamentarier der Union auf, dem Kompromiss Rocards zuzustimmen.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)