Fremdhaftung

Nicht nur Verbraucher und Unternehmen sehen sich zurzeit Wellen von Abmahnungen durch Vertreter der Musikindustrie für angebliche Urheberrechtsverletzungen gegenüber. Immer wieder trifft es auch Online-Videoplattformen, die für die Uploads ihrer Nutzer verantwortlich gemacht werden sollen.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Joerg Heidrich
Inhaltsverzeichnis

Als Gerichtsstand für Auseinandersetzungen um die Haftung für fremde Inhalte im Web wird meist das Landgericht Hamburg (LG) gewählt. Dessen Richter haben in den letzten Jahren wiederholt Entscheidungen gegen die Videoplattform YouTube gefällt und den Anbieter für nutzergenerierte Inhalte verantwortlich gemacht.

Ähnlich urteilte die Urheberrechtskammer des LG Hamburg Ende 2008 auch in einem Verfahren gegen den Anbieter Sevenload: Dieser habe sich die von Usern hochgeladenen Videos „zu Eigen gemacht“ und sich somit als Täter einer Urheberrechtsverletzung zu verantworten. Diese Entscheidung hat das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in einem Urteil vom 29. September 2010 (Az. 5 U 9/09) nun aufgehoben und zugunsten von Sevenload entschieden.

Antragsteller des Verfahrens war ein Musikverlag. Dieser erwirkte vor dem LG Hamburg bereits Ende 2008 eine durch Urteil bestätigte einstweilige Verfügung gegen die Online-Plattform, auf der außer redaktionell ausgewählten Inhalten auch von Nutzern hochgeladene bereitgestellt werden. In der Entscheidung wurde Sevenload verboten, bestimmte Musikstücke des Musikverlags über den Videodienst öffentlich zu verbreiten.

Gegen diese Entscheidung legten beide Parteien Berufung ein. Erfolg hatte damit lediglich der Plattform-Betreiber. Nach Ansicht der Richter des OLG sei dem Landgericht als Vorinstanz zwar darin zu folgen, dass das Hochladen der streitgegenständlichen Musikvideos auf eine Online-Plattform und die Ermöglichung des Abspielens im Internet eine Urheberrechtsverletzung darstelle. Der Musikverlag habe jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass die Videoplattform als Täter, Teilnehmer oder Störer der Urheberrechtsverletzung hafte.

Demgegenüber hatte das Landgericht angenommen, dass Sevenload die von den Nutzern hochgeladenen Musikvideos als eigene Inhalte im Sinne des Paragrafen 7 Abs. 1 TMG im Internet bereitstellt. Die Richter beriefen sich dabei auf das mittlerweile vom BGH bestätigte „Chefkoch-Urteil“. Darin wurde der Rezepte-Anbieter chefkoch.de wegen der Verbreitung fremder Fotos verurteilt, die User hochgeladen hatten. Dieser Vergleich ist nach Ansicht des OLG jedoch unzulässig, da beide Sachverhalte deutlich verschieden gelagert seien.

Die Betreiber des Videoportals Sevenload sind nicht automatisch verantwortlich, wenn Nutzer Videos hochladen und damit eine Urheberrechtsverletzung begehen.

Entscheidend sei im Fall „Chefkoch“ gewesen, dass der Anbieter die hochgeladenen Inhalte vor der Freischaltung überprüft und mit seinem Emblem versehen habe. Zudem ließ sich der Betreiber des Kochportals in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen das Recht einräumen, dass er oder Dritte alle von Privatpersonen zur Verfügung gestellten Daten vervielfältigen und in beliebiger Weise weiterverbreiten dürften.

Diese entscheidenden Umstände lägen jedoch bei Sevenload nicht vor, so das OLG. Insbesondere fehle es an der Überprüfung der hochgeladenen Inhalte. Gerade in dieser Kontrolle liege „tatsächlich und nach außen sichtbar die Übernahme von Verantwortung für den Inhalt der Internetseite“. Eine bloße Strukturierung in Charts oder nach Themen, wie sie bei Sevenload mit den Videos erfolgt, könne damit nicht annähernd gleichgesetzt werden. Weiterhin fehle es auch an dem Hinzufügen einer eigenen Markierung des Portalbetreibers.

In einer Gesamtwürdigung zeige sich daher, dass zwar eine gewisse Vermischung fremder und eigener Inhalte festzustellen sei und auch „bedenkliche Nutzungsbedingungen“ in der damaligen Fassung verwendet wurden. Insgesamt führten diese Umstände jedoch nicht zur Annahme, der verständige Internet-Nutzer verstünde auch die von Nutzern hochgeladenen Inhalte als eigene Angebote des Plattformbetreibers.

Ebenfalls nicht in Betracht komme eine Haftung von Sevenload als Täter, Teilnehmer oder Störer hinsichtlich der Rechtsverletzung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei es einem Unternehmen nicht zuzumuten, jedes von Dritten eingestellte Angebot vor der Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. Dies stelle das gesamte Geschäftsmodell in Frage.

Erst dann, wenn der Betreiber auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen werde, müsse er das konkrete Angebot unverzüglich sperren und dafür Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren Rechtsverletzungen kommt. Entsprechendes gelte etwa auch für Internet-Foren.

Im vorliegenden Fall habe für den Plattformbetreiber kein Anlass bestanden, die mehr als 50 000 täglichen Uploads aktiv auf Rechtsverletzungen hin zu untersuchen. Er habe die streitgegenständlichen Videos zudem unverzüglich nach Kenntnis gesperrt und es sei danach nicht zu erneuten Rechtsverletzungen gekommen. Außerdem gebe es auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Sevenload ein von der Rechtsordnung nicht gebilligtes Geschäftsmodell betreibt und schon deshalb auf Unterlassung haftet. Ein solches „verbotenes Geschäftsmodell“ hatten die Gerichte aus Hamburg etwa bei dem One-Click-Hoster Rapidshare angenommen.

Mit der Entscheidung des OLG ist das Verfügungsverfahren, eine Art Eilverfahren mit beschränkten Beweismitteln, zunächst beendet. Es besteht jedoch für beide Seiten die Möglichkeit, die Sache im Hauptsacheverfahren erneut vom Land- und Oberlandesgericht prüfen zu lassen.

Die Entscheidung des OLG setzt der inzwischen immer mehr ausufernden Annahme eines „Zu Eigen Machens“ fremder Inhalte durch einen Anbieter Grenzen und zeigt zugleich, dass das „Chefkoch-Urteil“ aufgrund seiner Besonderheiten nicht ohne Weiteres auf andere Angebote übertragbar ist. In jedem Fall werden nutzergenerierte Inhalte nicht allein schon dann zu eigenen, wenn diese nur auf einer Website erscheinen, wovon das Landgericht Hamburg inzwischen auszugehen scheint. (hob)