Piraten auf Backbord-Kurs

Die einen jubeln, andere erklären ihren Parteiaustritt: Nach heftiger Debatte haben die Piraten ihr Grundsatzprogramm um die Sozialpolitik erweitert. Ob der neue Kurs passt, werden die Landtagswahlen 2011 zeigen.

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Von
  • Peter Zschunke
  • dpa

Der Kampf gegen Internet-Sperren hat die Piraten zur größten Oppositionspartei außerhalb des Bundestags gemacht. Jetzt haben sie ihr Programm auf einem Parteitag in Chemnitz (Wiki zum Parteitag) erstmals um andere Themen erweitert, darunter auch um die Perspektive eines gesicherten Grundeinkommens für alle. "Endlich rocken die Piraten wieder", twitterte ein Anhänger. Andere aber sprechen von einem Linksruck. Der Schatzmeister eines Kreisverbands erklärt noch am gleichen Tag seinen Austritt: "Deutschland braucht Freiheit statt Sozialismus. Klarmachen zum Kentern", schreibt Ralph Jödicke in einem offenen Brief.

Die Debatte über den Antrag "GP050" von Georg Jähnig offenbart, wie unterschiedlich die Menschen sind, die sich unter dem schwarzen Segel, dem Logo der Piratenpartei, zusammengefunden haben, um für die Freiheit im Internet einzutreten. "Wir Piraten wollen, dass niemand in Armut oder in Angst vor Armut lebt", sagt der Berliner Computerlinguist Jähnig. "Ein Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe würde allen Menschen ein Leben in Würde garantieren, allein deswegen, weil sie Menschen sind." Um auch die Unterstützung von Skeptikern zu gewinnen, verzichtet der Antrag darauf, das "bedingungsloses Grundeinkommen" zu nennen, geht aber in die Richtung dieses Konzepts, das auch in anderen Parteien und Initiativen diskutiert wird.

Danach folgt ein schnelles Ping-Pong von kurzen Redebeiträgen, das viele der 540 Teilnehmer für die zuvor quälend langwierigen Verfahrensdebatten entschädigt. "Geld ist nicht bedingungslos, des einen Geld ist des anderen Schuld", sagt der oberfränkische Pirat mit dem Netznamen Wigbold. Auch der Bundesvorsitzende Jens Seipenbusch reiht sich artig vor dem Mikrofon auf, um "rationales Wasser in den emotionalen Wein zu gießen". Der Parteichef wirbt für die Ablehnung des Antrags, ehe ihm mitten im Satz das Mikrofon abgestellt wird – die mit 60 Sekunden denkbar knapp bemessene Redezeit ist überschritten. Da musste er noch froh sein, dass ein Geschäftsordnungsantrag abgelehnt wurde, die Redezeit auf 0 Sekunden zu beschränken.

Bei der Abstimmung in der Mensa der TU Chemnitz gehen viele grüne Stimmkarten hoch. Rote Ablehnungskarten überwiegen im hinteren Bereich des Saals, wo vor allem Piraten aus Süddeutschland sitzen. Der Wahlleiter verkündet das Ergebnis: Die erforderliche Zweidrittelmehrheit ist erreicht. Damit haben die "Kernis" verloren, die das Programm auf die Kernthemen der Partei beschränken und allenfalls behutsam erweitern wollen.

Die Unterstützer des gesicherten Grundeinkommens im Saal aber jubeln, unter ihnen auch die Bauingenieurin Anke Pohl aus Berlin, die wegen des Grundeinkommens erst am gleichen Tag in die Piratenpartei eingetreten ist. Bestätigt sieht sich auch der politische Geschäftsführer Christopher Lauer: "Wir haben hier die historische Chance, den anderen Parteien kräftig in den Arsch zu treten." Da geht der Blick von Chemnitz nach Freiburg, wo die Grünen zur gleichen Zeit zu ihrem Bundesparteitag zusammengekommen sind.

Die Piraten scheuen es, sich in das klassische Parteienspektrum einzuordnen. Lauer aber sagt im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa: "Natürlich ist das Grundeinkommen eine linke Forderung. Der Parteitagsbeschluss bestätigt diejenigen, die die Piraten als linksliberale Partei sehen." In der Bildsprache der Piraten ist das Parteischiff nun also auf einen Backbord-Kurs gegangen.

Ob das dem angestrebten Einzug in ein erstes Landesparlament dient, werden die Wahlen im nächsten Jahr zeigen. Das besondere Interesse gilt der Landtagswahl im März in Baden-Württemberg und im September in Berlin. Bewegungen wie die gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 zeigten, dass viele Bürger die etablierte Politik nicht länger akzeptieren wollten, sagt Piratenvorstand Bernd Schlömer. "Insofern werden Wahlergebnisse künftig sehr schwer zu prognostizieren sein." (cp)