4W

Was war. Was wird.

Vor vielen Jahren schrieb Hal Faber einen Text, in dem er die MP3-Kompression als richtungsweisend bezeichnete. Er wurde ohne juristische Prüfung veröffentlicht. Das ist heute wohl undenkbar.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 203 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** 50 Todesopfer sollen die Bombenanschläge in London gekostet haben, die zunächst als Kurzschluss gemeldet wurden, damit keine Massenpanik in der Stadt ausbrechen konnte. Es gab keine Panik, weil Londoner etwas mehr aushalten als deutsche Moderatorinnen, die sich fortlaufend wundern, wo denn die Panik ist. Ja, ein Kurzschluss passierte auch: in den Medien. Wie geistesgestört muss man eigentlich sein, wenn man sich fortlaufend darüber sorgt, um wieviel der Punkte der Aktienindex wohl fallen wird? Da mochten die Blogs vielleicht eine erste Hilfe sein, doch viel zu viele versanken in persönlichen Peinlichkeiten. Wer über Terror schreiben und aufklären will, dem dürfen die Hände nicht zittern, so einfach ist das. Beeindruckend war schon, was im Vergleich zu den offiziellen Informationen die kollaborative Technik der Wikinews leistete. Sie setzte sich wohltuend von dem Unsinn ab, den Terrorexperten verkündeten. Wer von einem "brilliant gewählten Zeitpunkt" für die Anschläge schwärmt und im nächsten Augenblick mit den schwarzen Schockwellenreitern mit pawlowschen Reflexen den Sicherheitssabber von sich gibt, wird niemals das schlichte "Wir haben keine Angst" verstehen wollen. Oder die Antwort eines klugen Bürgermeisters: "Dies war kein Angriff auf die Reichen und Mächtigen, dies war ein Angriff auf die Arbeiterschaft von London, auf Alt und Jung, Schwarz und Weiß, auf Christen, Muslime und Hindus."

*** Eine Stunde, bevor die ersten Meldungen von den Anschlägen in London kamen, traf eine Mail ein, die zu einer Tagung über neue Formen der Überwachung einlud und daran erinnerte, dass London die Stadt mit der größten Zahl an Überwachungskameras ist. Sie mögen nun helfen, die Spuren der Täter zu sichern, doch Sicherheit, die mit ihnen assoziiert wird, ist virtuell. Was bringt die Forderung an die deutsche Bahn, alle Fahrkartenautomaten mit Kameras zu versehen anderes als den Überwachungsstaat? Nichts. Man versteht, warum G8-Gipfel im schottischen Ödland stattfinden. Und täglich beratschlagt sich die Alliance Base.

*** Dabei hatte diese Woche auch ihre guten Seiten mit guten Nachrichten. Nehmen wir nur die vorläufige Beerdigung der Softwarepatentrichtlinie, die mit 11.350 grüngefärbten Kommentaren nicht nur Forumsgeschichte schrieb. Inzwischen ist der Thread geschlossen, damit unsere Nachkommen auch mal eine Chance haben. Diese werden sie aber nur bekommen, wenn sie gut erzogen werden im Umgang mit digitalen Gütern: Die Frage der Software-Patente ist erst der Anfang. Aus aktuellem Anlass und zur geflissentlichen Werbung für das kommende Sommerrätsel sei dieses kleine Foto hier angetackert mit der patenten Frage, welcher Rechtsstreit dieses Gerät tötete, das hier rechts abgebildet ist. (Nach einem Klick darauf erscheint eine größere Variante.)

*** Nicht alle juristischen Fragen sind klar zu beantworten. Man nehme nur die Entscheidung im Grokster-Verfahren, die bei der Industrie Euphorie auslöste. Dabei gibt es gute Gründe, nach solch einer Entscheidung den Copyright-Wahn zu überdenken, der mit überlangen Fristen die Kultur privatisiert. Der Vorschlag einer Reduktion auf 14 Jahre, die einmal verlängert werden könne, ließ die verarmte Industrie getroffen aufheulen. Auf das Urteil reagierte das Akademikerblatt First Monday mit einer Spezialausgabe zum Thema Musik und Internet, die schnell vergessene Informationen und ältere Aufsätze zu einem kniffligen Thema neu versammelt.

*** Ganz und gar nicht knifflig ist hingegen die Sache mit der Pressefreiheit. Wenn etwa der Südwestfunk eine einfache Beurteilung schreibt, in der es heißt, "Die Technik, die hinter allofmp3.com steckt, ist weiterhin richtungsweisend -- hier können sich ausnahmslos alle anderen Anbieter viele große Scheiben abschneiden", so ist das keine Werbung, wie es die Verbandsvertreter der Musikindustrie glauben machen wollen. Hier ist ganz ohne das Setzen der vieldiskutierten Links die Technik eines Anbieters mit der Technik anderer Firmen verglichen worden. Wenn das im Rahmen der journalistischen Berichterstattung schon nicht mehr erlaubt ist, dann sind wir auf dem besten Wege dabei, unseren Verstand bei der Musikbranche abzugeben. Vor vielen Jahren schrieb ich einen Text, in dem die von den Fraunhofern entwickelte MP3-Kompression als richtungsweisend bezeichnet wurde. Er erschien ohne Prüfung durch einen Justiziar in einem der schönen Blätter dieses Verlages in der hannoverschen Tiefebene. Heute ist das undenkbar. So weit ist das Umdenken schon gekommen.

*** Einen anderen Angriff auf die Pressefreiheit möchte ich nicht unerwähnt lassen. Am Mittwoch hat in den USA die Beugehaft der Journalistin Judith Miller begonnen. Für einen anderen Journalisten kann hier nur noch die letzte Feder geknickt werden. Im Alter von 90 Jahren starb Heinrich Schirmbeck, der sich gegen die Wiederbewaffnung, den NATO-Doppelbeschluss und die Irak-Kriege engagierte. Im Jahre 1957 schrieb er den heute kaum noch lesbaren Roman "Ärgert dich dein rechtes Auge", einen der ersten Versuche, den Einfluss der Computertechnik literarisch zu verarbeiten. Gestorben ist auch Peter Boenisch, den andere für einen großen Journalisten halten.

Was wird.

Lang war er angekündigt, der auf dem Ticket aufgedruckte Fingerabdruck der Lufthansa für das Boarding von Passagieren, die in unsicheren Ländern einsteigen, nur um dann in Frankfurt umzusteigen. Nun türmen sich die Bedenken, obwohl die Tickets nach dem biometrisch abgesicherten Betreten des Flugzeugs vernichtet werden sollen. Warum eigentlich? Gute Minutiae von Fingerabdrucken kann man nie genug haben, wenn man sich für biometrische Reisepässe entscheidet. Ein besonderes Kabinettstückchen zeigte dabei diesmal nicht der dem Vertrauen misstrauende Kanzler Schröder, sondern der Bundesrat mit seinem Zutrauen, dass die unausgereifte Technik bis zum 1. November perfektioniert sein wird. Ja, das wird was, wenn der Ärger mit den Visagen beginnt. Zumal die Experten sich noch über die Reife beraten werden. Wir sind Bananen-Software gewohnt und werden auch mit Bananen-Pässen leben können.

Ein weiteres interssantes Datum steht mit der Apachecon Europe ins Haus, wo nicht nur die Zukunft der Apache Software Foundation besprochen wird. Grundsatzreferate zur Geschichte der Computer und zur Open Source können in Stuttgart gehört werden, ehe sie in den zahlreichen Blogs auftauchen, die für eine Konferenz dieser Art selbstverständlich sind.

Kein Bock auf Stuttgart? Richtig, Tübingen ist viel schöner. Dort wird in der nächsten Woche am Wilhelm-Schickard-Institut ein kleines, feines Computermuseum eröffnet. Dort finden sich die Geräte, die nötig waren, damit Microsoft eine kleine, profitable Softwarefirma werden konnte. Das bringt mich zu einer weiteren Vorankündigung, dem Start des Sommerrätsels im WWWW. Vier Wochen lang wird hier das Sommerloch mit Rätseln in den verschiedensten Sparten getunnelt, von der Soft- bis zu der Hard- und Wetware. Zum Einstieg in das Spaßspielchen hier links ein Bild, das einerseits auf ein kommendes Ereignis in den Niederlanden hinweist, andererseits erklärt, wie intelligent doch Menschen sind. Die Frage dazu: Aus welchem Material war das "Original"? (Hal Faber) / (anw)