Wikileaks-Mitgründer Julian Assange bleibt in Gewahrsam [4. Update]

Die britische Polizei hat auf Basis des schwedischen Haftbefehls den Wikileaks-Sprecher festgenommen; das Gericht prüft nun, ob er an Schweden ausgeliefert wird. Eine Freilassung auf Kaution wurde abgelehnt. Julian Assanges Anwalt kündigte heftigen Widerstand an, auch weil Assange an die Amerikaner übergeben werden könnte.

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Von
  • Jürgen Kuri

Julian Assange

Nach langem Hin und Her um die internationale Fahndung nach Julian Assange ist der Mitgründer der Whistleblower-Plattform Wikileaks nunmehr in Großbritannien festgenommen worden. [Update: Die Polizei setzte ihn fest, nachdem er sich in einem Polizeirevier in London wie vereinbart in Begleitung seiner beiden Anwälte Mark Stephens und Jennifer Robinson eingefunden hatte.] Der gebürtige Australier wird wegen Vergewaltigungsvorwürfen von der schwedischen Justiz gesucht, die ihn zu den Anschuldigungen vernehmen will. Vor wenigen Tagen erst hatte Interpol eine "Red Notice" herausgegeben, mit der Assange dann auch international zur Fahndung ausgeschrieben war.

Nach Berichten mehrerer britischer Medien, darunter der Nachrichtenagentur Reuters und von Sky News, hat die britische Polizei Assange festgenommen; bereits früher hatte es geheißen, der Aufenthaltsort des Wikileaks-Sprechers sei Scotland Yard bekannt. Gegenüber dem Independent bestätigte ein Polizeisprecher die Festnahme: Beamte der "Metropolitan Police Extradition Unit" hätten am heutigen Dienstagmorgen Assange im Auftrag der schwedischen Behörden verhaftet; ihm würden von den schwedischen Behörden in einem Fall sexuelle Nötigung, in zwei Fällen sexuelle Belästigung und in einem weiteren Fall Vergewaltigung vorgeworfen.

Gegenüber Sky News sprach Assanges Anwalt Mark Stephens von einem "politischen Trick". Die Gerichte in Großbritannien müssen nun entscheiden, ob der vorliegende Haftbefehl für eine Auslieferung an Schweden ausreichend ist. Assanges Anwalt kündigte bereits heftigen Widerstand gegen eine Auslieferung an, vor allem mit der Begründung, dass Assange an die Amerikaner übergeben werden könnte.

Assange hatte die Vorwürfe stets bestritten und als Komplott der US-Regierung bezeichnet. In den letzten Tagen war Wikileaks selbst verstärkt unter Druck geraten, so hatten mehrere Finanzdienstleister die Konten von Wikileaks gesperrt oder die Möglichkeit unterbunden, Spenden an die Whistleblower-Plattform zu überweisen. Auch die Server und DNS-Einträge von Wikileaks wurden teilweise gesperrt, sodass beispielsweise die Domain von Wikileaks in die Schweizer Landesdomain verlagert werden musste.

[2. Update]:
Mittlerweile erklärten die Wikileaks-Aktivisten auch über Twitter, dass sich "die Aktionen gegen Wikileaks-Chefredakteur Julian Assange" auf den Betrieb der Site "nicht auswirken werden". Man werde in der kommenden Nacht wie geplant weitere von den US-Diplomatendepeschen veröffentlichen.

[3. Update]:
Aus schwedischer Sicht hängt nun alles von Julian Assange selbst ab. "Wenn jemand mit der Auslieferung nach einem europäischen Haftbefehl nicht einverstanden ist, kann es Monate dauern", sagte die Göteborger Staatsanwältin Marianne Ny laut dpa zur Festnahme von Assange. Wenn der in den USA zum Staatsfeind gestempelte Wikileaks-Gründer aber grünes Licht gebe, könne sie ihn binnen zehn Tagen auf schwedischem Boden verhören. Dieses Verhör ist der Kern des internationalen Haftbefehls, mit dem Ny ihre Ermittlungen zu den Vergewaltigungs-Vorwürfen gegen Assange zum Abschluss bringen will.

Seltsam finden das nicht nur die Anwälte des 39-jährigen Australiers: Im August gab es nach den Vorwürfen von zwei Schwedinnen wegen ungeschützter sexueller Kontakte gegen ihren Willen einen Haftbefehl. Da war Assange noch in Schweden und für die Polizei greifbar vor der eigenen Haustür. Der Haftbefehl wurde aber binnen 24 Stunden zurückgenommen, weil die zweite mit dem Fall befasste Staatsanwältin die Anklagen für zu geringfügig hielt. Assange durfte unbehelligt und ohne die geringsten Auflagen ausreisen. Es dauerte fast zwei Monate, ehe die auf Sexualdelikte spezialisierte Ny aus Göteborg einen zweiten Haftbefehl durchsetzte und eine internationale Fahndung ausschreiben ließ.

"Er wird wohl ausgeliefert werden müssen", stellte resigniert der Stockholmer Assange-Anwalt Björn Hurtig laut dpa fest, weil es nun mal zwischen Ländern wie Schweden und Großbritannien üblich sei. Hurtig gehört zu den Stimmen in Stockholm, die wie Assange selbst eine "Verschwörung" mächtiger US-Kreise wegen der jüngsten Wikileaks-Veröffentlichung geheimer Botschaftsdokumente vermuten.

Nach allem, was über die Hintergründe für die Vorwürfe durchgesickert ist, glauben das sonst nur wenige bei den Skandinaviern. Assange soll bei sexuellen Kontakten den Wunsch von zwei Partnerinnen nach geschütztem Sex nicht respektiert haben. Beide gingen zur Polizei, als ihnen bei einem Gespräch kurz nach diesen Kontakten klar wurde, dass sie beide kurz nacheinander bei fünf Gelegenheiten Sex mit Assange gehabt hatten – und dabei, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, dasselbe Problem.

Ny wertete einen Fall als mögliche Vergewaltigung, allerdings in einer "milden Variante", die anderen als sexuelle Nötigung oder Belästigung. Der schwedische Gesetzgeber ist deutlich strenger als der anderer Länder bei der Bewertung von Sex ohne ausdrückliche Zustimmung beider Partner. Dies gilt vor allem mit Blick auf die harte Linie von Marianne Ny in Stockholm als entscheidender Hintergrund für die Verwicklungen – der nur zufällig zeitlich mit der weltweiten Aufregung um die Wikileaks-Veröffentlichungen zusammengefallen ist.

Wie es dann in Stockholm mit einem möglichen Auslieferungsantrag aus den USA weitergehen könnte, ist wohl auch für Schwedens Justiz noch ein ziemliches Rätsel. Erst schloss Ny das gegenüber Journalisten kategorisch aus. Zwei Tage später meinte sie viel vorsichtiger, das könne "eine sehr komplexe Angelegenheit" werden. Die schwedische Justiz macht weiter mit ihrem Zickzack-Kurs gegenüber Julian Assange.

[4. Update]
Laut dem britischen Guardian und der BBC hat der Citiy of Westminster Magistrates' Court, vor dem Julian Assange vorgeführt wurde, eine Freilassung von Assange auf Kaution abgelehnt. Er soll zunächst bis zum 14. Dezember in Gewahrsam bleiben. Es bestehe die Gefahr, dass er sich nicht
selber stellen werde, hieß es zur Begründung.

Assange erklärte vor Gericht, er werde seiner Auslieferung an Schweden nicht zustimmen und dagegen vorgehen. Eine gerichtliche Anhörung über die Anschuldigungen in dem schwedischen Haftbefehl und eine mögliche Auslieferung ist für die nächste Woche angesetzt.

Laut dem Guardian waren sechs Personen im Gericht anwesend, die bereit waren, Kaution für Assange zu stellen; zu ihnen gehörte unter anderem der Filmemacher Ken Loach. Richter Howard Riddle lehnte aber eine Freilassung auf Kaution ab, da es "schwere Anschuldigungen gegen jemand sind, der vergleichsweise schwache persönliche Bindungen in diesem Land sowie die Möglichkeiten und Fähigkeiten zu flüchten hat".

Derweil hat auch das Kreditkartenunternehmen Visa ähnlich wie Mastercard verkündet, Zahlungen an Wikileaks vorerst zu unterbinden und die rechtliche Situation genauer zu prüfen. US-Verteidigungsminister Robert Gates erklärte laut New York Times gegenüber mitreisenden Journalisten auf dem Weg nach Kabul, die Festnahme von Assange "klingt wie eine gute Nachricht". (jk)