Lob und Tadel für NGOs bei Verhandlungen über künftige Internet-Verwaltung

Nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der UN-Arbeitsgruppe Internet Governance loben Regierungsvertreter die neue Art der Zusammenarbeit, räumen aber auch ein, den privaten Experten fehle die Legitimation, die Öffentlichkeit zu vertreten.

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Von
  • Monika Ermert

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Wirtschaft sollen die weiteren Verhandlungen zur künftigen Internet-Verwaltung den Regierungen überlassen. Das sagten indische und brasilianische Regierungsvertreter nach der offiziellen Präsentation, die auf die Freigabe des Abschlussberichts der UN-Arbeitsgruppe zur Netzpolitik (Working Group on Internet Governance, WGIG) folgte (PDF-Datei). Die Regierungsvertreter, die von der neuen Art der Zusammenarbeit angetan waren, räumten aber auch ein, den privaten Experten fehle die Legitimation, die Öffentlichkeit zu vertreten. Zudem bestehe das Risiko, dass kleine Gruppen des reichen Westens den Prozess kaperten, sagte der indische Vertreter.

Regierungs-, Wirtschafts- und NGO-Vertreter waren in der 40-köpfigen WGIG und bei den offenen Diskussionen zum Bericht gleichberechtigt. "Das hat einen Dialog ermöglicht, der sich sehr von den anderen Diskussionen beim Weltgipfel der Informationsgesellschaft unterschieden hat," so Ayesha Hassan von der Internationalen Handelskammer. Dem von der Mehrzahl der Regierung als "substanziell" und sogar "bahnbrechend" bezeichneten Bericht hatten die Nichtregierungsvertreter ihren Stempel mit aufgedrückt.

"80 Prozent der E-Mails kamen von der Zivilgesellschaft, 15 Prozent von der Wirtschaft, 5 Prozent von Regierungen", bilanzierte der Leipziger Völkerrechtler, Telepolis-Autor und WGIG-Mitglied Wolfgang Kleinwächter. Diese Statistik rühre daher, dass die Regierungsvertreter auch noch andere Arbeit zu erledigen hätten, konterte der norwegische WGIG-Vertreter Willy Jensen, der die Kooperation der drei Interessengruppen ansonsten als äußerst positiv und fortsetzungswürdig bezeichnet.

Die Vorsitzende der bei der UN vertretenen Nichtregierungsorganisationen (Congo), Renata Bloem sprach von einem Präzedenzfall und einer historischen Entwicklung in der UN-Arbeit. Der Schweizer Regierungsvertreter sagte: "Der Prozess kann zum Modell werden für die künftige Arbeit in multilateralen Systemen und multilateralen Organisationen und Prozessen." Auch der von UN-Generalsekretär Kofi Annan als Chef der WGIG eingesetzte Nitin Desai hatte die besondere Art der Offenheit der Debatten gelobt und die weitere Bedeutung für die UN-Reform gewürdigt.

Zum ersten Mal waren die offenen Debatten mit der Arbeitsgruppe komplett per Webcast und über die unmittelbar nach den Sitzungen verbreiteten Wortlautprotokolle verbreitet worden. Die Arbeitsgruppe habe die an sie gestellten Erwartungen an die Transparenz der Arbeit sogar noch übertroffen, sagte Izumi Aizu von der Internet Governance Task Force Japan. Ein Diplomat sagte gegenüber heise online, auch Regierungen selbst hätten sich der Transkripte bedient und ihren eigenen Diplomaten in Genf auf die Finger geschaut.

Ob die von der WGIG praktizierte Arbeitsweise mit der Auflösung der Gruppe endet, hängt nun unter anderem vom pakistanischen UN-Botschafter ab, der die weiteren Verhandlungen zur Zukunft der Netzpolitik leiten wird. Eine erste Debatte findet bereits morgen in Genf statt. Sollten die Nicht-Regierungsmitglieder tatsächlich auf 15-Minuten-Statements beschränkt werden, "hat das mit sinnvoller Beteiligung eigentlich nicht mehr viel zu tun," sagte Jeanette Hofmann, eine der Koordinatorinnen des Internet Governance Caucus der zivilgesellschaftlichen Gruppen. In einem ersten Gespräch mit dem pakistanischen Botschafter haben die NGOs für eine breitere Beteiligung geworben.

Inhaltlich gab es in Genf viel Applaus für den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe, auch wenn er die Gretchenfrage zum künftigen Aufsichtsmodell fürs DNS noch nicht eindeutig beantwortet hat. Die Idee eines UN-Forums für Fragen der Netzpolitik wurde insgesamt positiv aufgenommen. Kritik gab es von Seiten der US-Wirtschaft. Es wäre besser, wenn alle bislang mit Netzpolitik und DNS-Fragen befassten Organisationen besser arbeiteten, sagte Marilyn Cade, Sprecherin für die Information Technology of America (ITAA). "Wir sind völlig dagegen, Zeit und Geld in ein neues Gremium zu stecken, das nur die Arbeit anderer Organisationen koordiniert. Das bedeutet nur eine Doppelung und wir wissen, dass das letztlich in einem Wettbewerb um Ressourcen mit den bestehenden Organisationen endet."

Kritik am Forum meldete auch der australische Regierungsvertreter an, der sich übrigens enttäuscht zeigte, dass die Arbeitsgruppe keine konkreteren Vorschläge zum Thema Spam vorgelegt hat. Brasiliens UN-Vertreter lobte die Forumsidee und warb trotz eines Seitenhiebs gegen den US-Anspruch auf eine Fortsetzung der US-Sonderrolle bei der DNS-Aufsicht für Geschlossenheit. "Diejenigen, die für den 11. September, den 11. März und jetzt den 7. Juli verantwortlich sind, verfolgen unsere Diskussionen und wollen wissen, ob wir fähig sind, uns zu einigen, zusammenzuarbeiten und in einem Forum bindende Regeln aufstellen können, um uns, das Netz, unsere Völker zu schützen." (Monika Ermert) / (anw)