Von Löchern und Lochern

Endlich durfte Detlef Borchers seinen ePerso in Empfang nehmen. Gut, dass er zur Abholung nicht mit dem Fahrrad fuhr, denn angesichts der vergletscherten Wege hätte die Sachbearbeiterin womöglich die "Todesschablone" aus der Verpackung holen müssen.

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Von
  • Detlef Borchers

"Meine wichtigste Karte" ist da. Am 2. Novemer 2010 bestellt, am 7. Januar 2011 konnte ich den Personalausweis abholen. Gewappnet mit dem PIN-Brief der Bundesdruckerei ging es mit dem Auto zum Rathaus: Vergletscherte Feldwege verboten die Radtour. Flugs wurden die Dokumente ausgedruckt, die später wieder eingescannt werden: die erste Unterschrift dafür, dass ich den Ausweis bekommen habe, und die zweite, dass ich die elektronische Identifikation (eID) nutzen möchte. Hopps kam mein Ausweis auf das Änderungsterminal (ÄNTE) und gab nach Eingabe der aufgedruckten CAN den Blick auf die Daten frei, die der Chip gespeichert hat. Ich konnte mich überzeugen, dass keine Fingerabdrücke gespeichert sind. Rund die Hälfte aller Antragsteller hat übrigens nichts dagegen, dass die Fingerabdrücke im Ausweis stehen.

Meine liebsten Karten, fehlt nur noch die elektronische Gesundheitskarte. Beim Perso habe ich die CAN abgedeckt.

Eigentlich sollte ich an dieser Stelle den neuen Personalausweis personalisieren, also die fünfstellige Transport-PIN eingeben und danach eine sechsstellige, selbst ausgedachte PIN eintippen und durch Wiederholung bestätigen. Doch die Software bot nur den kostenpflichtigen Menüpunkt "PIN setzen" an (6 Euro). Die energische, sachkundige Dame der Gemeindeverwaltung setzte den Flag auf "bezahlt", schließlich darf die Suche in der Software nicht ewig dauern. Danach akzeptierte ÄNTE die Änderung, auch wenn es ungefähr zwei Minuten brauchte, die PIN zu setzen.

Nur mal angenommen, ich hätte das Fahrrad benutzt, wäre von unserem Bauernhof über die vereisten und ungeräumten Wirtschaftswege von Westerkappeln geschliddert, ganz ohne Kabelbindertrick, und hätte mir den Hals gebrochen. In diesem Fall hätte die Sachbearbeiterin die "Todesschablone" aus der Verpackung holen müssen, die die Bundesdruckerei zur Entwertung von neuen Personalausweisen geliefert hat. In die Schablone wird der Ausweis kopfüber eingelegt und dann gelocht. Die Schablone sorgt dafür, dass der RFID-Chip ausgestanzt wird. Wer glaubt, dass für diese hoheitliche Handlung ein beliebiger Bürolocher genommen werden kann, kennt Deutschland nicht. Der Abstand zwischen den Löchern hat ein proprietäres Format, das nur ein Speziallocher bewältigt, den die Bundesdruckerei noch nicht liefern kann. Wie gut, das ich noch lebe.

Entwertungsschablone für den Todesfall. Der Ausweis wird kopfüber eingelegt, der Speziallocher muss exakt beide Löche treffen, dann geht er bei dem Ausweis durch den Chip.

Nun warten die Abenteuer mit der neuen Version der AusweisApp auf mich, wenn die Linux-Variante freigegeben wird. Für andere hält die neue Version eine veritable Enttäuschung parat: Zumindest die neueste Windows-Variante ist nicht barrierefrei. Blinde sind von der Nutzung der eID-Funktion vorerst ausgeschlossen. Anders als im Anwendungstest des Personalausweises und bei der kurzzeitig verfügbaren ersten Version der AusweisApp ist die Benutzung von Screenreadern wie Jaws oder dem Open-Source-Projekt des Nonvisual Desktop Access nicht mehr möglich

Die Behebung der Sicherheitslücke wurde mit einer Barriere erkauft, was Blinde in ihren Mailinglisten empört kommentieren. "Wir sind es leid, wenn staatlich verordnete Software nicht barrierefrei ist und wir klagen müssen, dass wir vergessen wurden. Barrierefreiheit sollte bei einem staatlichen Programm eine Selbstverständlichkeit sein, aber nein, wir müssen erst klagen, wie furchtbar benachteiligt wir sind", kommentiert ein Heise-Leser die Situation. Auf die Vorwürfe der Blinden haben die Macher der AusweisApp bislang nicht reagiert. Sie stellen sich taub. (anw)