EU plant verschärfte Überwachung im Schengen-Raum

Laut EU-Kommission soll das Übereinkommen zur europäischen Grenzkontrolle um neue Befugnisse für die Strafverfolger erweitert werden. Bürgerrechtler warnen vor drakonischen Antiterror-Maßnahmen.

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Die EU-Kommission hat einen Vorschlag (PDF-Datei) für eine gemeinsame Entscheidung mit dem EU-Rat ausgearbeitet, mit der die Befugnisse der Strafverfolger zur Überwachung des grenzüberschreitenden Verkehrs innerhalb des Schengen-Raums deutlich ausgeweitet werden sollen. Das Kommunique sieht eine umfassende Ergänzung des Schengener Übereinkommens zur Sicherung der Außengrenzen der angeschlossenen EU-Länder vor. Ziel der verschärften Überwachungsmaßnahmen ist laut Kommission die Verbesserung "des Sicherheitsniveaus der Bürger in der Europäischen Union". Dazu sollen sich nationale Polizei-, Zoll- und Geheimdienstbehörden mit Hilfe des umstrittenen Schengen-II-Informationssystems verstärkt austauschen. Auch sollen gemeinsame Teams zur Verfolgung Verdächtiger gebildet werden.

Gemäß der lancierten Vereinbarung der Mitgliedsstaaten sollen Polizeien künftig auf Nachfrage eine ganze Reihe von Informationen austauschen dürfen: Die Liste wird angeführt von Angaben zu Fahrzeugpapieren, Führerscheinen oder sonstigen Identifikationsunterlagen von Fahrern oder den Führern von Booten und Flugzeugen, geht weiter über Wohnorts- und Reiseinformationen sowie die "Kennungen von Telekommunikationsabonnenten (Telefon, Fax und Internet)" bis hin zu freiwilligen Angaben der Reisenden. Übertragen werden sollen ferner Hinweise aus Strafregistern. Weiter vorgesehen ist die Planung und Koordinierung von Durchsuchungsmaßnahmen und die Rückverfolgung auffälliger Güter wie Waffen oder ramponierter Autos. Gemeinschaftliche Hilfe erfolgen soll zudem bei "operationellen Aktionen, die grenzüberschreitende Überwachung und Verfolgung" einschließen, bei der "kontrollierten Lieferung" von Dossiers sowie bei "verdeckten Operationen".

Um grenzüberschreitende Aktionen unabhängig von den "Kompetenzen gerichtlicher Behörden" durchführen zu können, soll die "Vorbereitung, Harmonisierung und Implementierung operationeller Planungen und Aktivitäten" vorangetrieben werden. Als Beispiele nennt der Kommissionsvorschlag Beschattungen, Durchsuchungen und "Kriminalitätspräventionsmaßnahmen einschließlich der Handhabung öffentlicher Demonstrationen und der entsprechenden Ressourcenbereitstellung". Dazu soll auch die "Interoperabilität" der benötigten Ausrüstung insbesondere bei der Überwachungstechnologie gewährleistet werden. Alle ausgetauschten Daten müssen dem Papier zufolge nach den allgemeinen Bestimmungen des Schengener Übereinkommens zum Schutz der Privatsphäre verarbeitet werden. Ein gesondertes Komitee soll die Einhaltung der Verfahrensregeln prüfen.

Großbritannien und Irland, die bislang nicht komplett an das Schengen-System angeschlossen sind, werden gemäß der Planungen den Beschluss mit umsetzen. Da die Briten momentan die Ratspräsidentschaft innehaben und unter den Eindrücken der Anschläge auf den Nahverkehr in London momentan fast täglich neue Ideen zur Terrorismusbekämpfung EU- und weltweit voranzubringen versuchen, dürfte das Kommunique zügig von den EU-Ministern behandelt und verabschiedet werden. Scharfe Kritik an dem unter der Führung Großbritanniens, der EU und der G8-Staaten geplanten "Antiterror-Regime" kommt aber von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Statewatch. In einem aktuellen Report (PDF) warnen die britischen Bürgerrechtler davor, dass bislang als "drakonische Ausnahmen" gehandelte Überwachungsmaßnahmen zur Norm werden sollen.

Ein Dorn im Auge sind Statewatch vor allem die verstärkten Versuche der Regierungen, Ermittler bei ihrer Arbeit der richterlichen Kontrolle zu entledigen. Dazu käme der erweiterte Einsatz "spezieller investigativer Methoden" wie dem Großen Lauschangriff, Bestechungen und verdeckt arbeitender Agenten. Zudem werde daran gearbeitet, Geheimdienstinformationen von undurchsichtigen und "geschützten" Quellen als Belastungsmaterial vor Gerichten anerkennen zu lassen. Die Tendenz gehe ferner dahin, Bürger schon vor dem Begehen von Straftaten zu kriminalisieren.

Keinerlei Rechtsgrundlage sieht Statewatch für den von den EU-Innenministern bereits gutgeheißenen britischen Vorschlag, nicht nur Pässe, sondern auch Personalausweise mit biometrischen Merkmalen wie Fingerabdrücken technisch hochzurüsten. Die EU befindet sich laut Tony Bunyan von Statewatch gegenwärtig in einem "entscheidenden Moment in ihrer Antwort auf den Terrorismus". Er gibt zu bedenken, dass in einer Demokratie, in der die Rechte und Freiheiten einer Minderheit beschnitten werden, dies gleichzeitig für alle Bürger genauso gelte. (Stefan Krempl) / (anw)