Ägypten: Lücken in der Kommunikationssperre

Nach Berichten aus Kairo funktionieren einige Handy-Verbindungen wieder. Auch in der Internetsperre scheinen sich einzelne Lücken zu zeigen.

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Von
  • Johannes Endres

Nach Informationen der dpa berichteten Bewohner von Ägyptens Hauptstadt Kairo, dass einige Mobilfunkverbindungen wieder funktionieren. Am Freitag waren alle Mobilfunk-Betreiber angewiesen worden, ihre Dienste in ausgewählten Regionen zu deaktivieren, wie Vodafone in einer Pressemitteilung erklärte.

Am Freitag waren offenbar auch die Internet-Carrier angewiesen worden, ihre Verbindungen durch Manipulationen der Routing-Tabellen zu unterbrechen. Die meisten großen Provider hatten dem Folge geleistet. Da in den so abgeschotteten Netzen auch viele der zuständigen Name-Server stehen, schlagen derzeit schon die DNS-Abfragen für die meisten Hosts in Ägypten fehl.

Doch die Sperre ist nicht komplett. So hat der Provider Noor Networks seine Routen offensichtlich nicht geändert. Und selbst im Netz der Egypt Telecom (AS8452) bleiben manche Adressbereiche weiterhin erreichbar; darunter mindestens einer, der anscheinend für DSL-Zugänge genutzt wird.

Das Internet und Handys spielen eine wichtige Rolle für die Organisation der Proteste. Doch ganz offensichtlich hatte die von der Regierung versuchte Kommunikationssperre keinen wesentlichen Erfolg mehr.

Die Presseagentur dpa meldet zur Lage in Ägypten:

Bei den landesweiten Unruhen in Ägypten sind nach einer Zählung des arabischen Senders Al-Dschasira seit Freitag mindestens 95 Menschen ums Leben gekommen. Die Zahl der Verletzten bei den jüngsten Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten in Kairo, Alexandria und Suez bezifferte der Sender mit 1000. Auch am Samstag gingen die Proteste gegen das Regime des seit 30 Jahren regierenden Präsidenten Husni Mubarak weiter.

Die Lage in dem bevölkerungsreichsten arabischen Land wurde von Bewohnern und Korrespondenten als extrem angespannt beschrieben, für den Nachmittag wurde eine weitere Demonstration angekündigt. Die Führung ordnete erneut eine nächtliche Ausgangssperre bis Sonntagmorgen an.

Unterdessen trat die ägyptische Regierung zurück, wie Medien aus Kairo meldeten. Unter dem Eindruck der Massendemonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmern hatte der 82-jährige Mubarak in einer Fernsehansprache am Freitagabend die Bildung eines neuen Kabinetts angekündigt und "neue Schritte hin zu mehr Demokratie" und eine Verbesserung des Lebensstandards versprochen. Die Mitglieder des neuen Kabinetts sollten noch am Samstag benannt werden.

Ob eine neue Regierung die Protestwelle stoppen kann, ist fraglich. Auf dem Tahrir-Platz im Zentrum der Hauptstadt Kairo versammelten sich am Samstag wieder mehrere tausend Demonstranten. In Sprechchören forderten sie den Rücktritt Mubaraks. Unter den Demonstranten waren auch viele Aktivisten der ersten Stunde, die bereits am vergangenen Dienstag an großen Protestkundgebungen teilgenommen hatten. Auch in Alexandria gab es neue Demonstrationen.

Augenzeugen zufolge waren am Morgen an mehreren Stellen in Kairo Schüsse zu hören. Arabische Fernsehsender berichteten, Einheiten von Polizei und Armee hätten in der Nähe einer Gruppe von Demonstranten Schüsse abgegeben. Angaben zu möglichen Opfern lagen nicht vor.

Wieder wurden Geschäfte geplündert. Augenzeugen zufolge verwüsteten Randalierer Restaurants, setzten Autos in Brand oder brachen Geldautomaten auf. Schon in der Nacht hatten sie mehrere Hotels attackiert und Zerstörungen angerichtet, darunter im bekannten Ramses Hotel und einem Hotel an der Ausfallstraße zu den Pyramiden von Gizeh. Aus mehreren Polizeiwachen seien Häftlinge befreit worden.

An wichtigen Straßenkreuzungen und vor Behördengebäuden waren gepanzerte Fahrzeuge und Panzer der Armee postiert. Die Polizei, die von wütenden Demonstranten am Freitag teils überrannt worden war, zeigte dagegen nur an wenigen Stellen Präsenz.

Demonstranten berichteten, die Soldaten seien weniger aggressiv als die Polizei und hätten sie in der Nacht sogar mit Essen und Tee versorgt. Auf einem Panzer ließen sich Menschen am Samstag mit Soldaten fotografieren. Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira meldete, Demonstranten hätten in Kairo Polizisten, die sie beim Plündern erwischt hätten, dem Militär übergeben.

An den Straßen standen ausgebrannte und zerstörte Wracks von Polizeiwagen, Brandgeruch lag in der Luft. Der öffentliche Nahverkehr in Kairo war stark eingeschränkt. Nur wenige Busse verkehrten. Wer nicht unbedingt aus dem Haus musste, blieb lieber daheim. Einige kleinere Geschäfte öffneten, größere Läden in der City blieben zunächst geschlossen.

Der in Kairo unter Hausarrest stehende Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei forderte Mubarak in einem Interview des Senders Al-Dschasira zum Rücktritt auf. Der frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA war erst am Donnerstag nach Ägypten zurückgekehrt. Er gilt vielen als Hoffnungsträger und als möglicher Nachfolger des 82-jährigen Mubarak, der seit 1981 regiert.

Das Auswärtige Amt hat bislang keine konkreten Hinweise, dass deutsche Staatsbürger von den Unruhen unmittelbar betroffen sind. Deutsche Urlauber könnten nach Angaben des Reiseverbandes im Notfall schnell aus Ägypten herausgebracht werden. "Die Reiseveranstalter sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Wir könnten mit der gesamten Infrastruktur sofort reagieren", sagte Sprecher Torsten Schäfer der Nachrichtenagentur dpa. Die großen Reiseveranstalter TUI und Thomas Cook bieten gebührenfreie Umbuchungen für Ägypten-Urlauber an. (je)