Revisionsverhandlung gegen Netzaktivisten steht an

Am kommenden Montag wird vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erneut der Fall des Kommunikationsdesigners Alvar Freude aufgerollt, der der Beihilfe zur Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda beschuldigt wird.

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Von
  • Monika Ermert

Der Streit um die Rechtmäßigkeit der Verlinkung von Naziseiten zu Dokumentationszwecken geht in die nächste Instanz. Für den kommenden Montag hat das Stuttgarter Oberlandesgericht die Revisionsverhandlung im Fall des Kommunikationsdesigners Alvar Freude angesetzt.

Freude war für seine Dokumentation des Streites um die vom Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow verhängten Sperrverfügungen gegen Internet-Provider zunächst vom Amtsgericht Stuttgart wegen Beihilfe zur Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda verurteilt worden. Das Landgericht hatte Freude Mitte vergangenen Jahres dagegen vollständig freigesprochen, mit der Begründung (PDF-Datei): Die Links auf die zu sperrenden Naziseiten und die Tasteless-Seite rotten.com seien Bestandteil einer "Dokumentation zur Zeitgeschichte". Die Nazipropaganda-Paragraphen des Strafgesetzbuchs seien nicht erfüllt. Freudes FreedomPhone-Projekt, mit dem er anbot, gefilterte Seiten gegen Bezahlung am Telefon vorzulesen, wurde als Satire anerkannt.

Damit gab sich die Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart allerdings nicht zufrieden. Mit der Revision gegen das Landgerichtsurteil will man erreichen, dass das Verfahren vor einer anderen Kammer des Landgerichts noch einmal aufgerollt wird. Der Freispruch wird als nicht vereinbar mit dem "materiellen Recht" bezeichnet. Freude komme es nach eigener Aussage gerade darauf an, Internetnutzern einen ungefilterten Zugang zu allen Inhalten zu sichern, auch zu strafrechtlich relevanten. Es werde daher deutlich, so schreibt der Staatsantwalt in seiner allerdings recht kurzen Revisionsbegründung, dass es sich um einen "Deckmantel" für andere Zwecke handele, nämlich das Internet "frei von jeglicher – auch strafrechtlicher Kontrolle – zu halten".

Freude geht es aber, so betont er, nicht um die befürchtete "Anarchie im Internet", sondern vielmehr darum, dass einmal publizierte Inhalte auch zugänglich sind. "Was publiziert wurde, muss für die Nutzer auch zugänglich sein. Das heißt aber nicht, dass einfach alles im Internet publiziert werden darf bis hin zum Mordaufruf." Das Landgericht hat dieses Motiv des Aktivisten auch anerkannt. In der Gegenerklärung von Freudes Anwalt zur Revisionsbegründung heißt es daher (PDF-Datei), der Einsatz für ein Grundrecht – und zwar das der in Artikel 5 geschützten Informationsfreiheit – sei doch schwerlich zu beanstanden.

Mit dem deutlichen Landgerichtsurteil im Rücken sieht Freude laut eigenen Aussagen der Revisionsverhandlung optimistisch entgegen, auch wenn in der Zwischenzeit noch einmal die Polizei bei ihm anklopfte. Wegen eines rufschädigenden Forumseintrags eines Dritten sollte er erneut verhört werden, obwohl er den Eintrag fristgerecht löschte.

Die Revisionsverhandlung dürfte dabei auch diejenigen interessieren, denen derzeit in Stuttgart wegen der Verwendung von Anti-Nazisymbolen der Prozess gemacht wird. Zwar wurde kürzlich ein Tübinger Amtsgerichtsurteil gegen einen Studenten aufgehoben, der ein Anti-Nazisymbol auf dem Rucksack getragen hat. In mindestens zwei Verfahren wolle die Stuttgarter Staatsanwaltschaft aber klären lassen, so heißt es in einem Brief (PDF-Datei) des baden-württembergischen Justizministers an den angeklagten Nix-Gut-Versand, ob Anti-Naziaufkleber, T-Shirts- oder Buttons gegen das Verbreitungsverbot nationalsozialistischer Symbole verstoßen, "obwohl diese Kennzeichen gerade dazu dienen sollen, gegen nationalsozialistisches Gedankengut Flagge zu zeigen". Dem Versand wurden seine Anti-Nazi-Produkte beschlagnahmt und entgegen der Aussage des Justizministeriums bis jetzt nicht zurückgegeben.

Die Begründung dafür, warum Hersteller und Träger von Anti-Nazisymbolen nun als Nazi-Propagandisten verfolgt werden, findet sich laut Freude in der Revisionsbegründung zu seinem Hyperlink-Verfahren: Man wolle einem "Gewöhnungseffekt" entgegenwirken, schreibt die Staatsschutzabteilung der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Grundsätzlich komme es daher auch nicht auf die "Identifikation" mit den Symbolen an, die "auch bei Ablehnung nicht ausgeschlossen werden" könnten. (Monika Ermert) / (anw)