Gefährlicher Reset
Die Stammzellforschung steht vor einem Scherbenhaufen. Die als ethische Alternative gepriesenen reprogrammierten Stammzellen, für deren Gewinnung keine Embryos benötigt werden, haben sich als krebserregend erwiesen.
- Edda Grabar
Das neue Jahr begann mit einem Ende: Genauer gesagt könnte es der Anfang vom Ende eines Hypes um eine Forschung sein, die nach atemberaubenden Höhenflügen nun in der Realität ankommt. Gleich in der ersten Januarwoche eröffnete Jeanne Lorings Labor am Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla der Forscher-Gemeinde im renommierten Fachjournal „Cell Stem Cell“, dass sogenannte reprogrammierte Stammzellen häufiger gravierende Mutationen aufweisen als gedacht – Mutationen, die zu Krebs führen können, weil so genannte Tumor-unterdrückende Gene während der Reprogrammierung schlicht gelöscht wurden und sich Krebsgene während der Zellvermehrung zeitweise verdoppeln. Und jetzt, nur knapp einen Monate später, ergänzt das Team um Joseph Ecker vom Salk Institut, ebenfalls in La Jolla beheimatet, dass der Reset der Köper- zu Stammzellen nur unvollständig abläuft.
Das klingt, als wären die Forscher endlich auf dem Boden der Tatsachen gelandet: Viel versprach man sich von den reprogrammierten Stammzellen, weil sie – anders als ihre aus Embryonen gewonnen Brüder und Schwestern – auf ethisch unbedenklichem Weg erzeugt werden können: Ganz gewöhnliche Körperzellen, etwa Blut- oder Hautzellen werden – meist mit Hilfe von vier eingeschleusten Genen und neuerdings auch durch Gen-freie Methoden – in einen Stammzell-ähnlichen Urzustand zurückversetzt werden, damit sie sich dann durch spezielle Nährstoff-Cocktails wieder in unterschiedliche Gewebe neu entwickeln. Mit Hilfe dieser – nach der englischen Abkürzung für „induced pluripotent stem cells“ auch iPS genannten – Zellen, so die Hoffnung, sollten in absehbarer Zeit Zelltherapien entwickelt werden, die geschädigte Organe reparieren helfen können.
Jetzt aber steht in der bisher umfassendsten genetischen Untersuchung einer großen Anzahl von iPS-Zelllinien schwarz auf weiß geschrieben, dass diese Zellen nicht nur potentiell krebsauslösende Mutationen beherbergen; vielmehr tritt ein Teil der genetischen Veränderungen bereits während der Reprogrammierung auf, ein weiterer Teil nach nur wenigen Zellteilungsdurchgängen. Darüber hinaus hat Lorings Gruppe auch Zellkulturen mit humanen embryonalen Stammzellen untersucht. Auch sie wiesen zum Teil hohe Raten von Gendopplungen auf, die ebenfalls krebsauslösend wirken könnten.
Dazu gesellt sich die Arbeit von Joseph Eckers Team. Die Gruppe vom Salk Institute hat die so genannten epigenetischen Eigenheiten von reprogrammierten und embryonalen Stammzellen unter die Lupe genommen. Denn entscheidend für die Umwandlung in eine solche „Alleskönnerzelle“ ist die Aktivierung oder Inaktivierung verschiedener Gene. Die Zelle bedient sich dabei eines denkbar einfachen Systems: Alle Gene, die nicht abgelesen werden sollen, werden mit molekularen Kappen geschützt. So ergeben sich für jeden Zelltyp ganz individuelle Kappenprofile – in der Fachsprache Methylierungsmuster genannt.Eigentlich müssten sich diese Profile bei embryonalen und reprogrammierten Stammzellen gleichen. Doch Eckers Untersuchungen zeigen: Die beiden Stammzellenarten weisen fundamentale Unterschiede aus. Die iPS-Zellen vergessen nie ganz, woher sie kamen, in einigen Bereich ähneln die Methylierungsmuster dem ihres Muttergewebes.
Die Forschergemeinde gibt sich nach außen gelassen: Das ist ein Problem, aber kein Desaster, meint etwa James Adjaye vom Max Planck Instituts für Molekulare Genetik. Tatsächlich haben Stammzellforscher längst geahnt, dass die Wunder verheißenden Zellen irgendwann auch ihre Tücken zeigen. Und die Untersuchungen von Ecker reihen sich hinter ähnlichen Veröffentlichungen aus dem vergangenen Jahr ein.
Doch die Möglichkeit, dass die reprogrammierten oder auch embryonale Stammzellen tatsächlich Krebs auslösen könnte, ist kein unerhebliches Problem. „Es stellt in Frage, ob sich die Zellen jemals für den medizinischen Einsatz eignen werden“, sagt etwa der Münchener Mediziner und Stammzellforscher Wolfgang Franz. Sein Fazit: Nun müsse intensiv an Methoden gearbeitet werden, um die genetische Stabilität der Zellen erhöhen. Und Jeanne Loring vom Scripps Institute fordert: Gerade reprogrammierte Stammzellen müssten zur Vermeidung der Schäden quasi ständig frisch erzeugt und häufiger auf genetische Schäden untersucht werden, weil das Verfallsdatum offenbar viel kürzer ist als gedacht. Darüber hinaus müssen Gentests, die die genetische Unversehrtheit der Stammzellen bestätigen, zur Regel für künftige Anwendungen werden.
Dennoch: Zugrunde wird die Forschung an den neuen Erkenntnissen zu reprogrammierten Stammzellen nicht gehen. Das darf sich auch nicht. Die kritischen Veröffentlichungen sind keine Rückschläge. Sie zeigen aber, dass die hoch gesteckten Ziele drei Jahre nach Einführung der Reprogrammiertechnik nicht erreicht werden können. Das war nicht anders zu erwarten. Allein zehn Jahre hat es gedauert, bis embryonale Stammzellen in kontrollierten Versuchen beim Menschen eingesetzt wurden. Nun beginnt die Zeit der Evaluation: Welche Verfahren, welche Zellen, welche Anwendungen eignen sich überhaupt. So sollten die Stammzellforscher nochmal ans Reißbrett zurückzukehren und genauer hingucken. Offensichtlich reichen gerade mal vier Reprogrammierfaktoren nicht aus, aus reifen Körperzellen echte Stammzellen zu erzeugen – und aus dem Bemühen, mit noch weniger Faktoren auszukommen, hatte sich zwischenzeitlich ein geradezu aberwitziges Wettrennen entwickelt.
Die Stammzellforscher werden künftig mit vollmundigen Ankündigungen vorsichtiger sein müssen, vor allem, wenn es um den möglichen Einsatz reprogrammierter Zellen am Menschen geht. Während in den USA derzeit bereits zwei Studien mit embryonalen Stammzellen an Menschen laufen – zur Behandlung von Rückenmarksverletzungen und bestimmter Erblindungsformen – dürfte es im Fall von iPS-Zellen noch länger dauern. (wst)