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Was war. Was wird.

Absurde Übertreibungen galore, schimpft Hal Faber. Twitter-Aufstände, Wikileaks-Revolutionen und Katzen-Terrorismus, alles dabei, was das Boulevard-Herz begehrt.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wer hätte gedacht, dass Ägypten das Land ist, das dem Wort Zivilcourage neues Leben einhaucht? Wer hätte gedacht, dass nach der Bundeskanzlerin im letzten WWWW der Außenminister Westerwelle zitiert werden muss mit einem bombastischen Satz: "Wenn wir Glück haben, dann erleben wir jetzt die Globalisierung der Aufklärung, die Globalisierung der Werte, die Globalisierung der Menschenrechte." Mit Beginn der Freudenfeiern in Ägypten schickte ein britischer Twitterer die zigfach wiederholte Nachricht: "Don't Forget Wikileaks is the Cause for these Uprisings! Support #Wikileaks & #Assange." Die Annahme, dass Wikileaks mit den veröffentlichten US-Depeschen aus Ägypten der Grund für den Aufstand war, ist ähnlich abenteuerlich wie die amerikanische Annahme, dass die Massen Urgent Evoke, dem Revolutionsspiel der Weltbank, ihre Taktik-Schulung verdanken. Auch die anderen Annahmen von der Twitter-Revolution oder dem Facebook-Aufstand sind eindimensional; und dass alles der Sieg von Al Jazeera ist, sollte auch gleich mit auf den Kehricht der Monokausalitäten. Der größte und teuerste Geheimdienst der Welt blamierte sich mit seinen Einschätzungen zur Lage in Ägypten. Wenn wir Glück haben, ziehen die USA daraus Konsequenzen.

*** Übertreibungen gehören zum Geschäft von Wikileaks. Aus der Äußerung des schwedischen Premierministers Frederik Reinfeldt, dass die unabhängige, politisch nicht gelenkte schwedische Justiz einen Vergewaltigungsvorwurf gegen Wikileaks-Chef Julian Assange prüfe, destillierte Assanges Rechtsanwalt in einer Anhörung, dass Assange nun Schwedens "Staatsfeind Nr.1" sei. Es sei verantwortungslos, ihn in die vergiftete Atmosphäre Schwedens zu entlassen. Diese Übertreibung wurde noch durch die Volte getoppt, mit der ein ehemaliger schwedischer Staatsanwalt als Zeuge für Assange (!) aussagte, dass es kein Risiko einer Abschiebung in die USA gibt, wo Assange Straflager und Todesstrafe drohen würden. Wenn am 24. Februar die Entscheidung über die Auslieferung von Assange an Schweden fällt, werden seine Anwälte unverzüglich in die Berufung gehen. Der auf ihnen liegende Druck ist nicht mit der läppischen Missionarsstellung zu vergleichen, in der Assange nach Angaben seines Anwaltes zu verkehren pflegt.

*** Bleibt die Frage, warum Julian Assange am 27. September überhaupt Schweden verlassen hatte, obwohl sein schwedischer Anwalt Björn Hurtig seit dem 10. September wusste, dass die den Fall neu aufrollende Staatsanwältin Assange vernehmen lassen wollte. Zwar wurde verfügt, dass Assange Schweden verlassen durfte, doch die Ermittlungen liefen weiter, unter der Annahme, dass Assange am 6. Oktober bei einer Großkundgebung wie angekündigt auftreten würde. Nun ist "Inside Wikileaks" erschienen, das Buch des Assange-Partners Daniel Domscheit-Berg, der am 26. August von Assange in aller Selbstherrlichkeit "supendiert" wurde. In diesem unterhaltsamen Buch findet sich die interessante Passage, dass der zentrale Server von Wikileaks Anfang September seinen Geist aufgab und Domscheit-Berg als Verantwortlicher für die Backups von Wikileaks der einzige war, der das System retten konnte. Er fuhr am 14. September ins Ruhrgebiet und brachte "die gefährlichste Website der Welt" wieder in Gang.

*** Wie beschämend es für Assange gewesen sein muss, dass er mit seinem gesamten gespeicherten Mailverkehr von seinem ehemaligen Mitstreiter abhängig war, lässt sich an den üblen Beschimpfungen erkennen, die Wikileaks als Presse-Statement zur Person "Domschiet-Berg" veröffentlichte. Dass Julian Assange monatelang von einer Sprinterprämie lebte, die Domscheit-Berg bei EDS Rüsselsheim einsackte, ist dem Australier offenbar längst entfallen. Getoppt wird das ganze durch einen deutschen Juristen, der im Auftrag von Assange die "Datenbestände" vom offiziellen Backup-Beauftragten zurückholen soll und allen Ernstes von "Diebstahl" redet. Wahrscheinlich stellt sich der Jurist ein hübsches Regal vor, in dem die sequentiellen Backups ordentlich durchnummeriert auf Assange oder auf eine Hausdurchsuchung warten. Was Assange glaubte, als er am 27. September nach Berlin flog, um seinen Ex-Partner zu treffen, der gerade via Spiegel seinen Ausstieg öffentlich machte, wird das nächste Wikileaks-Buch zeigen, geschrieben von Julian Assange. Es soll nicht weniger als eine Generation einigen

*** "Inside Wikileaks" ist ein Schelmenroman und ein wunderbares Lehrstück über die Funktionsweise der Medien zugleich. Die idiotischen Meldungen zum Buch, die sich mit dem kastrierten Kater Schmitt, dem Essen von Leberkäse oder dem überzeugten Kindermacher vieler Klein-Julians in aller Welt beschäftigen, zeigen überdeutlich, dass am eigentlichen Wikileaks-System kein Interesse besteht. Die Überlegungen zum Leaken, zur Technik, die Openleaks einsetzen will, um nicht vom Größenwahn eines Einzigen abzuhängen, bleiben unbeachtet. Das Buch ist ein Schelmenroman in der Tradition von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, von zwei Freunden, die unter Pseudonymen wie Jay Lim (Assange) und Thomas Bellmann (Domscheit-Berg) und vielen weiteren Namen dem ahnungslosen Außenstehenden eine große Organisation vorspielten. Die ein Mietauto voll mit teuren Server-Slides beladen und in einer Tour de Force in Westeuropa Wikileaks-Equipment bei diversen Hosting-Providern installieren, mit Wissen der Techniker und Admins, die diese Hardware-Halden bewachen und warten. Die immer wieder an den Busen der Mutter zurückkehrten, einem roten Gästesofa des Chaos Computer Clubs, um von dort zu neuen Taten aufzubrechen. Entsprechend liebevoll fällt der Tadel aus, gewürzt mit wichtigen Überlegungen zu dem Problem, dass Leaks erst dann einen Wert bekommen, wenn sie zurückgehalten werden.

Palantir

*** Mitten im "mütterlichen" Sermon findet sich der Hinweis auf Firmen, die überlegen, wie Wikileaks (und demnächst Openleaks) zerstört werden können. Das Ganze im Auftrag der Bank of America, die offenbar keine Angst haben muss (weil Assange die Daten aus der Submission-Platform fehlen?). Interessant ist es allemal, wie die Experten für Counterinsurgency auf die Idee kommen, ausgerechnet einen Journalisten ins Visier zu nehmen. Nicht minder interessant ist es, dass dabei Software von Palantir Technologies zum Einsatz kommt, wie die Screenshots zeigen. Palantir bzw. Cap Gemini in Europa ist der Spezialist für Antiterror-Software, die auch von deutschen Behörden eingesetzt wird. Ein Blick auf das OSINT-Interface (siehe nebenstehendes Bild) ist da ganz aufschlussreich. Vor wenigen Wochen erwähnte ich das Project Grey Goose, das von eben jener Palantir finanziert wurde, die für die Bank of America arbeitet. Hier wurden national gesinnte US-Hacker für den Abwehrkampf im "Cyberwar" rekrutiert. Wer glaubt, dass so ein Vorgang in Deutschland nicht möglich ist, sollte sofort raus an die frische Luft und Gänseblümchen pflücken. Und wer keinen Bock auf den gräßlichen Schneeregen hat, kommt hier auf seine Kosten.

Was wird.

Dort, wo sonst ganz ohne rotes Sofa der Chaos Computer Club tagt, beginnt am Dienstag der Europäische Polizeikongress. Der weiter oben gezeigte Screenshot von Palantir stammt von dem Kongress im vergangenen Jahr. Diesmal dürfte EU-Kommissarin Cecilia Malmström aus Schweden der Star des Kongresses sein, die ganz im Sinne der Wikileaker über "Tools, Trust and Training" referiert, derweil aus Italien bereits Alarmgeschrei ertönt, was nun an Menschenmassen via Tunesien auf uns zurollt und -schippert. Wie ist es denn, von allen Frontex verlassen, wenn die von Westerwelle begeistert begrüßte Globalisierung der Menschenrechte einen Kollateralbonus produziert? Wie weiland 1989 wäre doch ein Begrüßungsgeld ganz praktisch, gezahlt aus den gesperrten Mubarak-Konten, auf denen Zigmilliarden liegen sollen. Gerade die IT bietet dafür aktuell ein schönes Beispiel: Wenn zwei Ertrinkende sich festhalten, überlebt keiner. Während diese Wochenschau auf einem dunklen Parkplatz in Hannover mittels USB-Stick übergeben wird (psst, psst), wird gerade versucht, Algerien vom Internet zu trennen. Jedes Byte beißt. Deutsche, zu den Pantoffeln! (jk)