Biometriepässe in der EU: Hinterhältiges Spiel beklagt

Europa-Abgeordnete der Liberalen und der Grünen sehen sich durch den EU-Rat erpresst, doch die Mehrheit des Parlaments wird wohl schon morgen die Einführung von zwei biometrischen Merkmalen in die Ausweise absegnen.

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Bei linken und liberalen Abgeordneten des Europaparlaments herrscht Empörung über das Vorgehen des EU-Rats bei der geplanten Einführung biometrischer Merkmale in die Reisepässe sämtlicher EU-Bürger. "Ich halte es für eine Unverschämtheit, wie der Ministerrat in dieser weit reichenden Frage mit dem Parlament umspringt", erklärte der Liberale Alexander Alvaro gegenüber heise online. Er spricht von einem "Kuhhandel" und "Erpressungsversuch", die hier von den nationalen Regierungen praktiziert würden.

Auch die Grünen-Abgeordnete Eva Lichtenberger hält die Geschichte nur noch für "absurd", "katastrophal" und "wild". "Es ist eine völlig unzumutbare Strategie, die Machtkämpfe des Rats mit dem Parlament an dem dafür untauglichen Objekt der biometrischen Pässe auszutragen", betont die Österreicherin. Gerade die vom Rat geforderte Fingerabdruck-Technik sei nicht ausgereift für die Anwendung in der Massendatenverwaltung und zudem als Indikator bei der Bevölkerung "völlig diskriminiert", da man sich damit einem Generalverdacht ausgesetzt sehe. Lichtenberger warnt zudem vor der Illusion, "dass der Terrorismus aufhört, weil wir unsere Fingerabdrücke abgeben".

Die Parlamentarier erzürnt nicht nur, dass der Rat ihnen ein Dringlichkeitsverfahren ohne ernsthafte Debattiermöglichkeit aufgedrängt hat. Perfide erscheint ihnen vor allem, was Ratsvertreter den Volksvertretern zusätzlich noch durch die Blume zu verstehen gegeben haben: So wurde den Abgeordneten gedroht, dass ihnen die vom Amsterdamer Vertrag vorgesehenen Mitspracherechte in Sicherheitsfragen im Rahmen der so genannten Dritten Säule noch weiter verweigert würden, falls sie dem Vorschlag des Rats zur Einführung von Fingerabdrücken in die Ausweisdokumente nicht zustimmen sollten. Bisher muss der Rat das Parlament in diesem Bereich nur "konsultieren", die Abgeordneten haben aber kein Entscheidungsrecht. Trotzdem ließ sich ein Gesetzesvorhaben rund um die Innere Sicherheit auch bisher schon schlecht den Bürgern verkaufen, falls das Parlament dagegen war. Richtig mitreden sollen die Parlamentarier nun eigentlich vom 1. Januar 2005 an. Doch diese Frist schien dem Rat angesichts der ausstehenden Biometrie-Entscheidung zu heikel: Die neuen Rechte sollen nun nur gewährt werden, wenn die Abgeordneten sich bei den Pässen nicht querlegen.

Dies scheint einem Teil der Parlamentarier jedoch mehr als geboten. Der Bürgerrechtsausschuss hat in seinem mit einigen Kritikpunkten versehenen Report zur sicherheitstechnischen Aufrüstung der Ausweise allein die Einführung eines biometrischen Merkmals akzeptiert, wie es der damalige Ratsvorschlag auch vorsah. Erst am 24. November hat das Gremium der nationalen Regierungsvertreter dann dem Parlament ein überarbeitetes Papier geschickt, demnach neben der Gesichtserkennung als zweites biometrisches Merkmal auch ein Fingerabdruck verpflichtend in die Pässe wandern soll. "Der Rat hat hier meines Erachtens eine substanzielle Änderung an seinem bisherigen Vorstoß vorgenommen", empört sich Alvaro. Dementsprechend wäre die Sache im Bürgerrechtsausschuss sicher anders beraten worden. Leider habe der juristische Dienst des Parlaments die umfassende Modifikation, die sogar noch weit über das Begehren der US-Regierung hinausgehe, nicht als solche anerkannt.

Der Rat scheint mit seiner Strategie Erfolg zu haben, denn das Parlamentspräsidium hat Anfang der Woche entschieden, dass der Verpflichtungsentwurf der nationalen Regierungen schon am morgigen Donnerstag in der Plenarsitzung des Parlaments abgestimmt wird. Hauptsächlich die Grünen und die Liberalen haben zwar eine Reihe Änderungsanträge eingebracht, die maximal ein biometrisches Merkmal in den Pässen zulassen und ein zweites optional durch die Mitgliedsstaaten einführbar machen würden. Doch eine Mehrheit rechnen sich die kritischen Fraktionen angesichts der starken Stellung der Konservativen im Parlament nicht dafür aus. "Der Rat dürfte sich mit seinem hinterhältigen Spiel durchsetzen", fürchtet Alvaro, auch wenn die Mehrheit vermutlich "sehr knapp ausfällt".

Der Schattenberichterstatter des parlamentarischen Biometrie-Reports erinnerte daran, dass nach dem Willen der Kommission die biometrischen Daten sogar in einer zentralen EU-weiten Datenbank gespeichert würden. Dagegen seien die Datenschützer der europäischen Artikel-29-Gruppe zwar Sturm gelaufen, doch insgesamt "entsteht in dieser Frage noch zu wenig öffentlicher Druck". Die "European Digital Rights"-Initiative (EDRi) hatte allerdings Ende vergangener Woche gemeinsam mit Privacy International und Statewatch einen Offenen Brief an die Parlamentarier geschrieben, in dem sie vor den "gefährlichen Auswirkungen auf die Privatsphäre der Europäer" durch die Entscheidung sowie der "problematischen Technologie" warnte. EDRi-Vertreter weisen zudem darauf hin, dass der Rat die Einführung der Fingerabdrücke in die Ausweise bereits einen Tag nach der morgigen Abstimmung für offiziell angenommen erklären will. Dieses so genannte "Fast Track"-Verfahren sei in der Geschichte der EU bislang so gut wie nicht angewendet worden. (Stefan Krempl) / (pmz)