Hartz IV-Software: IT-Inkompetenz hat auch Vorteile

Die Bundesanstalt für Arbeit erwirtschaftet Überschüsse in Milliardenhöhe -- doch unabhängige Gutachter decken mit einem Suchprogramm erhebliche Diskrepanzen auf.

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Von
  • Detlef Borchers

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat von Januar bis März 2006 einen Überschuss von 1,72 Milliarden Euro erwirtschaftet. Insgesamt soll nach Aussagen einer BA-Sprecherin der Jahresüberschuss im Jahr 2006 deutlich über den geplanten 1,8 Milliarden liegen. Einen Bericht der "Welt", in dem ein Überschuss von sieben Milliarden hochgerechnet wird, bezeichnete die Sprecherin jedoch als "nicht seriös". Nach Angaben der Sprecherin untersucht die BA noch, wie die Überschüsse zustande kommen. Offenbar seien eine Reihe von Sondereffekten wie das Vorziehen der Überweisungen der Sozialbeiträge durch die Arbeitgeber auf weitere günstige Konstellationen getroffen.

In einem heise online vorliegenden Gutachten der Jobcenter Consulting werden andere Effekte genannt. Dem Gutachten zufolge hängen die Überschüsse mit der sich weiter öffnenden Schere zwischen den Kurzzeitarbeitslosen (ALG-1, von der BA zu zahlen) und den Langzeitarbeitslosen (ALG-2, vom Bund zu zahlen) zusammen. "Jeder abgebaute ALG1-Bezieher wird teuer mit zwei ALG2-Beziehern erkauft, und das sind die wesentlich teureren Arbeitslosen - nur eben nicht für die BA", heißt es in dem Gutachten, das sich auf eine Auswertung der Statistikdateien von 12 Städten stützt. So seien etwa die ALG-2-Bezieher in Berlin um 24,4 % angestiegen, während die ALG-1-Bezieher um sensationelle 27,3 % gesenkt werden konnten.

Mit einem Spider-Suchprogramm wurden für das Gutachten drei Berufe (Sekretär/in, Buchhalter/in und Raumpfleger/in) als Bewerbersuche bei der Arbeitsagentur abgefragt und die Bewerberprofile mit einem Parser ausgewertet. Anschließend wurde die Anzahl der ALG1- und ALG2-Bewerberprofile zueinander ins Verhältnis gesetzt. Dabei ergab sich, dass wesentlich weniger ALG-2 Bezieher gefunden wurden, als nach der ALG-1/ALG-2 Relation in den jeweiligen Städten vorhanden sein müssten. Firmen, die über Arbeitsagentur.de Mitarbeiter suchen, bekommen bevorzugt ALG-1-Bezieher angeboten. "Bei sehr qualifizierten Berufen findet man fast überhaupt keine ALG2-Bewerberprofile mehr. Und zwar keineswegs, weil es die Menschen nicht gäbe, sondern weil die BA nur eine Liste von 100 Bewerberprofilen anzeigt, der größte Teil der ALG2-Bezieher also den Sprung in diese Liste gar nicht schafft und damit auch nicht gefunden und mit Stellenangeboten kontaktiert werden kann. Technisch gibt es hierfür keinen Grund, jede Stellenbörse der Welt kann mehr als 100 Treffer anzeigen", führt das Gutachten weiter aus.

Insgesamt werden den Arbeitsgemeinschaften in den 12 Städten ausgesprochen schlechte Noten ausgestellt. Praktisch gäbe es keine funktionierende Arbeitsgemeinschaft, lautet der Tenor der Gutachter von Jobcenter Consulting. Die Firma selbst ist in das Lämmkom-Netzwerk des Software-Herstellers Lämmerzahl eingebunden, der die so genannten Optionskommunen mit Software zur Betreuung von Arbeitslosen beliefert und steht damit in Konkurrenz zum zentralistischen Ansatz der Bundesagentur. Auf die von dem Gutachten vorgebrachte Kritik wird das BA mit eigenen Zahlen reagieren. Gegenüber der "Welt am Sonntag" erklärte BA-Chef Frank-Jürgen Weise: "Wir haben Zahlen über die Kosten von Hartz IV in den Jobcentern. Wir können noch in diesem Jahr eine Art Ranking derjenigen liefern, die am besten arbeiten, ähnlich wie bei der Pisa-Studie."

Dass die BA erst jetzt Zahlen über die Kosten von Hartz IV und ein Ranking der Vermittlungsleistungen vorlegen kann, ist insofern erstaunlich, weil von Beginn an die Produktion von Vergleichszahlen als besondere Stärke der webbasierten Software-Architektur genannt wurde. Entsprechend sarkastisch urteilen die Gutachter: "Die angeblich nicht lösbaren Probleme von A2LL stellen ein grandioses Ablenkungsmanöver dar, um von dieser massiven Verschiebung innerhalb des Arbeitslosigkeitsproblems abzulenken. Das beim Virtuellen Arbeitsmarkt unfreiwillig erworbene Image IT-technologischer Inkompetenz wirkt hier faktisch positiv und scheinbar so überzeugend, dass selbst lächerlichste und sofort widerlegbare Behauptungen des BA-Vorstands (-- so etwas kann keine Software der Welt --) ohne Hinterfragen geschluckt werden". (Detlef Borchers) (as)