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Was war. Was wird.

Nein. Es verbietet sich, Späße zu machen. Jedoch bleibt Hal Faber nicht nur wegen der Situation in Japan auch noch das letzte Kichern des Zynikers im Halse stecken.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Smoke on the water, a fire in the sky ...." Nein, die Bilder und Berichte aus Japan sind ernst genug, die Späßchen zu unterlassen, die Menschenkette zwischen Neckarwestheim und Stuttgart erinnert an 1986. Derweil demonstriert die Bundesregierung mit modernster Technologie Borniertheit, wenn der Regierungssprecher twittert: "Umweltmin. Röttgen: praktisch ausgeschlossen, dass Deutschland von AKW-Lage in #Japan betroffen ist. Dennoch Sicherheitsanalyse auch bei uns" Denn praktisch ausgeschlossen ist gar nichts. "Jawohl wir wissen, dass wir auch ein Stück weit in Gottes Hand sind," erklärte die Chefin des Regierungssprechers, eine promovierte Physikerin und Spezialistin für Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch. Wie beim Tsunami 2004 und bei der Katastrophe in Haiti möchte ich alle Leser dieser kleinen Wochenschau aufrufen, zu helfen. Auch bei uns muss Atomschutt weggeräumt werden. Mag man sich auch lieber Absencen hingeben mögen.

*** Bei uns sind die Atomkraftwerke nicht besonders erdbebensicher, wie der IPPNW in einem Gutachten festgehalten hat. Dass ein Beben mit Stärke 5,3 vor dem Bau von Biblis zwischen Lorsch und Ludwigshafen gemessen wurde, ist längst vergessen. Und bitte, dass es Flieger wie den A380 gibt, der in ein Kraftwerk rauschen könnte, konnte man nicht beim Bau der Anlagen wissen. Außerdem: Was ist schon 4,4 in Hessen anders als ein schlichter Hickser? Tschernobyl, ach naja, das muss man einfach positiv sehen: Endlich bekamen die Sandkästen (zumindest dieser bundeswestdeutschen Republik) frischen, unkontaminierten Sand, selbst die sonst so verachteten alternativen Kinderläden wurden beglückt. Bleibt die Frage, ob die taz-Bezeichnung Dreckschweine nicht den durchaus reinlichen Tieren unrecht tut. Nun werden Erinnerungen daran wach, wie dank Tschernobyl die tageszeitung vor der Pleite gerettet wurde, weil sie als einzige täglich die Belastungswerte veröffentlichte. Was die Alternative anbelangt, so ist sie sicher nicht im Öl zu suchen, wie ein historisches Datum deutlich macht: Heute vor zwanzig Jahren zahlte Exxon 1 Milliarde Dollar wegen der Ferkeleien, die die Exxon Valdez angerichtet hatte, wobei über die restliche Beseitigung der unerwartet bis heute verbliebenen Ölreste weiterhin gestritten wird.

*** "Smoke on the water, a fire in the sky ..." Spanferkelglänzend nahm der doktorlose Allesüberflieger Karl Theodor zu Guttenberg unter Applaus am Großen Zapfenstreich teil, ein Ministerium zurücklassend, in dem wegen der Bundeswehrreform Feuer in der Hütte waberloht. Die in der letzten Wochenschau verlinkte Erklärung des Strahlemannes ist aus dem Netz verschwunden: Es geht voran. Nur bei den üblen Medien kann man noch nachlesen: "Ich war immer bereit, zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht." Als Plagiatsvorlage für diesen Satz hatte ich Tolstois Anna Karenina vorgeschlagen, was manchem Leser missfiel. Der Gegenvorschlag stammt aus Henry Millers "Wendekreis des Krebses":

Bisher versuchte ich meine kostbare Haut zu retten, versuchte ein paar Stück Fleisch, die meine Knochen umkleideten, durchzubringen. Damit bin ich fertig. Die Grenzen meiner Kräfte sind erreicht. Ich stehe mit dem Rücken zur Wand; ich kann nicht weiter zurückweichen. Geschichtlich gesehen bin ich tot. Wenn es etwas jenseits geht, muss ich zurückspringen. Ich habe Gott gefunden, aber er ist unzulänglich. Ich bin nur geistig tot. Körperlich bin ich lebendig. Moralisch bin ich frei. Die Welt, die ich verlassen habe, ist ein Zwinger. Die Dämmerung bricht an über einer neuen Welt, einer Dschungelwelt, in der die mageren Geister mit scharfen Klauen umherstreifen. Wenn ich eine Hyäne bin, so eine magere und hungrige: ich ziehe aus, um mich zu mästen ..."

*** Mastbetriebe der besonderen Art sind Firmen, die Unterdrückern die notwendige Spitzelsoftware liefern. Am Anfang der Woche wurde ein Fall aus Ägypten bekannt, in dem Indizien darauf hinweisen, dass die Spitzelsoftware deutsche Wurzeln haben könnte. Der Hinweis auf einschlägige Messen, den die Münchener Firmen Gamma und Elaman auf ihren Websites geben, lieferte einem Wiener Kollegen die Vorlage, sich die Präsentationen einmal genauer anzuschauen. Ganz köstlich ist die Werbung der deutschen Firma ATIS Uher für ihre Überwachungssuite Klarios: "Vertrauen ist gut, Klarios ist besser." Lizenzfrei von Lenin übernommen, der für ein pünktliches Erscheinen vor dem Jüngsten Gericht christlich in Sankt Petersburg begraben werden soll. Noch ergiebiger als die ägyptischen Stasi-Unterlagen sind indes die Dokumente, die im Zuge des HBgary-Hacks in vielfältiger Form auftauchen. Günstige Rootkits für Regierungsbehörden zum Preis von 60 bis 200.000 US-Dollar, hübsche Oberflächen für Windows-Versionen, die im Mittleren Osten und Asien verkauft werden sollten, mit eingebauten Hintertüren für US-Behörden. Ähnlich wie die vertrackte Beziehung zwischen Gamma und Elaman gibt es bei HBgary eine Firma Endgame Systems, die gegen den schnuckeligen Subskriptionspreis von 2,5 Millionen Dollar jährlich der NSA und CIA Zero Day Exploits (PDF-Datei) vermittelt und 25 Lücken pro Jahr versprechen konnte. Wir sehen, dass Cyberwar ein gut eingespielter, längst existierender Marktplatz ist, ein gut vernetztes Stu$net sozusagen.

*** Heute vor 159 Jahren erschien im New York Lantern eine Karikatur des Gesellschaftskritikers Frank Bellew. Sie zeigte erstmals den später sehr berühmten Uncle Sam in seinem Flaggenaufzug, der nichts tut, während der Brite John Bull seine Flotte aufrüstet. Berühmt wurde im 1. Weltkrieg das Plakat, das direkt von John Bull abgekupfert war. In dieser Woche hatte sich der ehemalige Soldat Brian Manning zu Wort gemeldet und berichtet, wie stolz er einstmals war, dass sein Sohn Bradley zu Uncle Sam gegangen ist. Was Bradley Manning davon hat, kann en detail nachgelesen werden. Er muss nackt strammstehen, die Hände auf dem Rücken, wenn die Zellen inspiziert werden. Wenn diese Aussage wirklich on the record gewesen ist, dann schaut die US-Regierung mit Abscheu zu. Die viehische Behandlung ist die Folge der Bemühungen eine direkte Verbindung zwischen Manning und Julian Assange nachzuweisen, um den Australier belangen zu können.

*** Dazu gehört auch eine Aktion gegen Wikileaks-Aktivisten und ihre Twitter-Konten, die nach einem Beschluss der Hilfsrichterin Twitter dazu verpflichten, den Ermittlern die Verbindungsdaten zu geben. Meinungsfreiheit und Vertraulichkeit, ach was: "Das Gericht geht insbesondere davon aus, dass IP-Anschriften von Kunden freiwillig herausgegeben werden und die Schutzzone der Privatsphäre verlassen. Die Twitter-AGB weisen darauf hin, dass diese Daten gespeichert werden: Der Staat greife folglich nicht auf Daten zu, die ein Kunde vertraulich behandelt wissen wolle." Die Interpretation von freiwillig verschickten IP-Daten dürfte noch für manchen juristischen Schachzug sorgen, man denke nur an die ach so völlig unerwartete Mitspeicherung von Forums-Zutritten in Frankreich: Auch der Zugang zu Twitter ist bekanntlich völlig freiwillig, nur der richtige Client ist künftig vorgeschrieben.

Was wird.

Heute wird ein mittelmäßig begabter SF-Autor 100 Jahre alt, dessen Geschichten-Zyklus über Xenu bekanntermaßen zur Gründung einer international einflussreichen Sekte führte. Der Autor hielt die Psychoanalyse und die Japaner mit ihrer "Babysprache" für die schlimmsten Bedrohungen seiner Gefolgschaft. In mehreren Passagen in den Schriften des Jubiliars findet sich der Wunsch, dass Japan ein Dutzend mehr Atombomben verdient hätte. Wie man den abgrundtiefen Hass und die Xenu-Theorie allen Ernstes als Religion verstehen soll, entzieht sich meines Verstandes. Die Scientologen werden ihr "Zeichen" feiern, auch wenn gerade kein Vulkan beteiligt war an dem Desaster.

Gegen diesen Blödsinn gilt, was ganz oben steht. Wir müssen uns helfen, uns allen helfen. An dieser Stelle hätte weiter oben ein längeres, trauriges Stück über den Tod von Olaf Boos stehen können, dem Netzaktivisten, der zu den Mitverfassern eines denkwürdigen Briefes an Karlsruhe zählt. Im Sinne von "blue", dem Japan-Fan und Mitglied der Deutsch-Japanischen Gesellschaft schließt diese Wochenschau mit ??? (jk)