Von Restrisiken und Workarounds

Risikobetrachtung und Workarounds – wer kennt das nicht? Dann gibt es ja noch Murphys Gesetz. Das ist Alltag für jeden Ingenieur. Doch jetzt geht es um unser Leben und unsere Zukunft. Dann werden Verdrängung, Inkompetenz und Korruption lebensbedrohlich.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Nicolai Josuttis

Was wir in diesen Tagen aus Japan sehen und hören, geht an die Grenze meines Vorstellungsvermögens. Ich bin verletzt, wütend, ratlos und fühle mich sehr ohnmächtig. Denn ich sehe all die Prinzipien, die ich aus dem Business kenne: Risiken werden ignoriert. (Frau Merkel ist Physikerin, weshalb es schon erstaunlich ist, wenn sie behauptet, sie hat das Prinzip Restrisiko erst jetzt verstanden, wenn es eingetreten ist.) Man macht sich etwas vor, oder – was schlimmer wäre – man setzt wegen Geld Leben aufs Spiel. (Wie viele Politiker sind eigentlich in Aufsichtsräten von Stromkonzernen und Stadtwerken?)

Und dann, als Murphy erbarmungslos zuschlägt, nimmt man sich eine Auszeit, um das Risiko für drei Monate zu berücksichtigen und zu respektieren. Man will alles noch mal "ohne Tabus" hinterfragen. Was bitte hat man denn vor einem halben Jahr gemacht? Anschließend wird es weiter gehen mit dem "Workaround", der sich Brückentechnologie nennt. Man muss sich dabei klar machen, dass Union und FDP gleichzeitig alles getan haben, um die Brückentechnologie möglichst spät abzulösen. Wie sonst ist die Reduzierung der Subventionen für nachhaltige Energien zu erklären?

Das Grundproblem ist ganz einfach: Wir haben eine Technik, bei der sogenannte "Restrisiken" bestehen. Das ist ein Wort, das wir auch in der IT verwenden. Es bedeutet, dass es sich um eine problematische Situation handelt, die sehr unwahrscheinlich ist, aber in Kauf genommen wird. In der IT können wir Restrisiken normalerweise auch in Kauf nehmen, denn die Folgen sind nicht lebensbedrohlich, wenn diese eintreten (Medizintechnik, Anlagentechnik usw. einmal ausgenommen). Bei der Atomkraft können wir das nicht. Wenn das Risiko eintritt, ist es vorbei. Deshalb gibt es nur eine Alternative zur Risikovermeidung: Alles nur erdenklich Mögliche tun, um absolute Sicherheit zu schaffen, also um möglichst schnell auszusteigen. Das bedeutet insbesondere, ein Klima zu schaffen, das den Ausstieg mit Druck und Motivation forciert. Wir müssen doch alle Lust auf den Umstieg bekommen. Darum geht es.

Ich habe einen Traum; einen Traum, in dem ich stolz auf unsere Gesellschaft bin, weil alle an einem Strang ziehen, um Vorreiter zu sein, den Ausstieg in die Hand zu nehmen, Nachhaltigkeit zu schaffen und all die Probleme und Herausforderungen zu lösen, die ein derartiger Umstieg mit sich bringt. Ich bin sicher, wir können das. Doch die Politiker müssen dafür das entsprechende Klima schaffen, Anreize geben, das, was wir los werden wollen, so teuer wie möglich machen, Moral über den Profit stellen. Stattdessen lassen sie sich von der Atomlobby kaufen. Widerlich! ()