Content trifft Comment

Das Start-up Livefyre will Web-Verlegern dabei helfen, bislang im Netz verteilte Kommentare an zentraler Stelle zu sammeln.

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Von
  • Erica Naone

Das Start-up Livefyre will Web-Verlegern dabei helfen, bislang im Netz verteilte Kommentare an zentraler Stelle zu sammeln.

Online-Diskussionen finden zunehmend dezentral statt. Schreibt ein Internet-Medium einen Beitrag, werden die Kommentare dazu nicht mehr nur direkt unter den Text platziert – ein wachsender Teil der Debatte läuft extern auf Twitter, Facebook oder in Blogs. Das Start-up Livefyre hat deshalb nun eine neuartige Kommentarplattform entwickelt, die versucht, Web-Kommentare wieder dort stattfinden zu lassen, wo sie ihren Ausgangspunkt nahmen.

Dazu durchstöbert die Software zunächst populäre soziale Netzwerke nach Beiträgen, die sich auf einen Text beziehen. Diese werden dann wieder direkt darunter platziert. Darüber hinaus bietet Livefyre Echtzeitkommentare an – statt eine Seite neu laden zu müssen, erscheinen neue Postings der User automatisch. Dazu wird das XMPP-Protokoll eingesetzt, das ursprünglich für Instant-Messaging-Anwendungen entwickelt wurde.

Leser erfahren außerdem jederzeit, wie viele Nutzer ihre Kommentare derzeit betrachten – und sie können sich direkt über neue Beiträge informieren lassen. All das soll dabei helfen, mehr Diskussionsbeiträge anzuziehen und den Ausgangspunkt einer Debatte – beispielsweise eine Nachricht oder ein Blog-Posting – wieder zur zentralen Plattform zu machen.

Jordan Kretchmer, Gründer und CEO von Livefyre hofft, dass die Technik Web-Verlegern dabei hilft, ihre Leser "zu behalten". Durch die Möglichkeit, Links auf Facebook oder andere Social-Media-Angebote zu verteilen, gäben Medienunternehmen mittlerweile oft gleich auch die Community ab, die sich um ihre Inhalte bilde. Das führe zu weniger Seitenabrufen und geringeren Werbeeinnahmen. Livefyre soll dagegen die Loyalität der User steigern. Hinzu kommt, dass es so leichter wird, Daten über die Zielgruppe zu sammeln, die wiederum die Vermarktung erleichtern. "Alles, was wir tun, konzentriert sich darauf, die Leute wieder mehr dazu zu bringen, mit den Inhalten der Web-Publisher zu interagieren", sagt Kretchmer.

Die Plattform integriert sich außerdem in Facebook und Twitter und erlaubt es, Freunde in diesen Netzwerken in eine aktuelle Unterhaltung hineinzuziehen. Dabei reicht es, ein "@"-Symbol beim Kommentieren einzutippen und die gewünschten Kontakte dann in einer Dropdown-Liste auszuwählen. Das System informiert Freunde anschließend darüber, dass sie "getaggt" wurden.

Nutzer können sich über ein eigenes Livefyre-Profil anmelden oder Accounts von Facebook, Google, Twitter oder LinkedIn verwenden. Taucht ein Kommentar auf verschiedenen Angeboten auf, kann Livefyre die Diskussion synchronisieren, so dass überall der aktuellste Stand zu finden ist.

Livefyre ist nicht der einzige Dienst, der versucht, Verlagen beim Kampf gegen die Kommentarfragmentierung zu helfen. Disqus, in Deutschland beispielsweise auf der Website der "Welt" am Start, beherrscht ebenfalls Kommentare in nahezu Echtzeit und kann sie außerdem automatisch über Facebook und Twitter verteilen. Ein neues Protokoll namens Salmon, das momentan entwickelt wird, könnte außerdem künftig automatisch dafür sorgen, dass Kommentare, die auf Drittangeboten gemacht werden, mit dem Originalbeitrag abgeglichen werden. Dazu müssen nur beide Angebote das Protokoll integriert haben.

Ilya Grigorik, Technikchef bei der Social-Media-Analysefirma PostRank, kann verstehen, warum Web-Verleger Livefyre und Co. einsetzen wollen. Kommentare und Debatten fänden immer häufiger auf externen Angeboten statt. Das kann PostRank statistisch belegen: Bei 1000 Nachrichtenfeeds, die die Firma in den letzten drei Jahren überwacht hat, fanden 60 Prozent der Diskussionen anschließend auf Drittangeboten statt.

Bei Livefyre hofft man, diesen Trend aufzuhalten. Ein Beispiel, wie das gehen könnte, hat Firmenchef Kretchmer auch parat: Spin Sucks, ein Blog zum Thema Social Media, konnte im Rahmen eines Betaprogrammes mit Livefyre innerhalb von sechs Monaten immerhin 27 Prozent mehr Kommentare einsammeln. Wie viel das Debattensystem dazu beigetragen hat, ist allerdings nicht ganz klar, weil das Blog parallel auch noch andere Umbauten durchführte.

Momentan ist Livefyre für Blogs nutzbar, die mit dem populären Content Management System Wordpress arbeiten und unterstützt auch andere Systeme mit etwas mehr Arbeit. Demnächst soll es außerdem direkte Integrationen bei Tumblr, Typepad und Google Blogger geben.

Das Kernprodukt ist derzeit kostenlos. Kretchmer zufolge will die Firma ihr Geld künftig durch Premiumfunktionen verdienen, etwa durch eigene Anwendungen auf der Plattform. In Zukunft könne man sich außerdem kostenpflichtige Analysedienste vorstellen. (bsc)