Zensurvorwürfe gegen EU-Bericht zur IT-Zukunft

Mittelstandsvereinigungen üben scharfe Kritik am Bericht der EU-Projektgruppe zu Informations- und Kommunikationstechnologien, da ihre Bedenken über die Auswüchse des Patentwesens nicht aufgegriffen worden seien.

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Mittelstandsvereinigungen üben scharfe Kritik am Bericht der EU-Projektgruppe zu Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), da ihre Bedenken über die Auswüchse des Patentwesens nicht aufgegriffen worden seien. "Nicht nachvollziehbar" ist etwa für die Unternehmerinitiative patentfrei.de, dass sich der Report für die Umsetzung eines Vorschlags des Europäischen Patentamtes (EPA) und der dahinter stehenden Patentorganisation (EPO) zur Errichtung eines europäischen Höchstgerichtes für Patentstreitigkeiten im Rahmen des umstrittenen European Patent Litigation Agreement (EPLA) ausspricht. Die eingebrachten Bedenken gegen das Übereinkommen seien nicht beachtet worden. Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) beklagt gar "starke Zensurmaßnahmen" während der Verfassung des Berichts.

Beim "Thesenpapier" der Arbeitsgruppe zu geistigen Eigentumsrechten habe der Vorsitzende von SAP die eigenen Positionen vorgeschoben, konkretisiert FFII-Präsident Pieter Hintjens die Vorwürfe. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass "reformorientierte Kommentare" außen vor bleiben würden. "Insgesamt gibt der Bericht die Meinung einer sehr kleinen Minderheit wider, welche die Kontrolle ausgeübt hat", widerspricht der Softwarepatentgegner der reklamierten Repräsentativität der Ergebnisse. Vor allem die Ansichten kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) seien vernachlässigt worden. So behaupte das Thesenpapier etwa, dass mittelständische Firmen von stärkeren Patentierungsaktivitäten profitieren könnten und Softwarepatente in den USA das Wachstum im IKT-Sektor nicht behindert hätten. Insgesamt handelt es sich laut Hintjens um eine "Veräppelung" und "Beleidigung" aller, "die sich guten Gewissens eingebracht haben". Der FFII selbst hatte einen Beobachterstatus innerhalb der Task Force wahrgenommen.

Die Initiative patentfrei.de, die sich an der Arbeitsgruppe beteiligt hatte, kann ebenfalls nicht sehen, wie die Aussagen des Thesenpapiers und des Endreports zu Reformen des Patentsystems mit den Interessen von KMU der Softwarebranche übereinstimmen. Es werde ein Konsens über die angeblich gewünschte Etablierung des EPLA vorgetäuscht, der in Wahrheit unter den Teilnehmern der Gruppe nicht existiere. Insbesondere die enge Bindung des geplanten europäischen Patentgerichts an die EPO, welche die umstrittene Praxis des EPA rund um die Erteilung von Softwarepatenten zu verantworten habe, lasse die nachträgliche europaweite Legitimierung dieses Verfahrens – und damit auch von Softwarepatenten – als sicher erscheinen.

Dies würde für KMU existenzbedrohende Haftungsrisiken mit sich bringen, da die 30.000 bis 50.000 bereits "illegitim" erteilten Schutzansprüche auf Computerprogramme "nahezu jede Software zum juristischen Minenfeld machen", warnt die Vereinigung. Nach Einschätzung von patentfrei.de hätte die Etablierung des EPLA noch umfassendere Auswirkungen auf die rechtliche Durchsetzbarkeit von Softwarepatenten als die 2005 vom EU-Parlament abgelehnte Richtlinie über den gewerblichen Rechtsschutz "computerimplementierter Erfindungen".

Mit einer Dokumentation (PDF-Datei) ihrer Mitarbeit in der Arbeitsgruppe wollen die Repräsentanten von patentfrei.de nun einen Einblick "in die Abgründe des Lobbyismus in der EU" geben, wo die Interessen von Konzernen höher angesetzt würden als die des formell sonst immer wieder hofierten Mittelstandes. Demnach konnte die Initiative nur durch zahlreiche Proteste beim Task-Force-Beauftragten der EU-Kommission erreichen, dass die eigenen Kommentare vom Koordinationsstab der Arbeitsgruppe in halbwegs akzeptabler Form in den Report aufgenommen wurden. Das Gesamtverfahren könne nur mit "ungenügend" benotet werden.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

Zu den Diskussionen um das geistige Eigentum, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (jk)