Experimente im Bett

Mitglieder der "Quantified Self"-Community erfassen mit neuartigen Sensoren und Analysewerkzeugen ihren Körper.

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Von
  • Emily Singer

Mitglieder der "Quantified Self"-Community erfassen mit neuartigen Sensoren und Analysewerkzeugen ihren Körper.

In einer umgebauten Garage in Somerville im US-Bundesstaat Massachusetts traf sich kürzlich eine ungewöhnliche Gruppe: 30 Männer und Frauen, die der sogenannten "Quantified Self"-Bewegung angehören. Ihr Hobby: Die Lust am Experimentieren – und zwar am eigenen Körper. Ein Teil der Gruppe hatte den Monat März damit verbracht, ein Gerät namens Zeo auszuprobieren. Das ist ein Schlaftracker für Endanwender, mit dem sich über Sensoren beobachten lässt, wie der Träger die Nacht verbringt. Neben den so gewonnenen Schlafmustern beobachteten die Gruppenmitglieder einen Monat lang auch andere Faktoren, die Ruhephasen beeinflussen können.

Die Quantified-Self-Mitglieder setzen nicht nur Zeo ein, sondern eine ganze Reihe weiterer Sensoren, Tracker und Datenanalysewerkzeuge. Dabei geht es stets darum, mehr über den eigenen Körper zu erfahren und diese Informationen mit anderen Interessierten zu teilen. Der statistische Wert, der so zu erzielen ist, bleibt aufgrund der kleinen Probandengruppen zwar gering. Trotzdem versuchen die Hobby-Experimentatoren, genau zu untersuchen, wie Umgebungsparameter ihre Lebensqualität beeinflussen – und zwar so streng wie möglich.

Physische Aktivität, Herzfrequenz oder Nahrungsaufnahme sind Werte, die viele Menschen schon heute von sich erfassen. Neue Werkzeuge, die aus dem medizinischen Bereich zum Endkunden gelangen, eröffnen nun ganz neue Möglichkeiten. Der Zeo-Schlaftracker ist ein Beispiel dafür. Das Gerät kostet knapp 200 Dollar und nutzt einen einzelnen Sensor, der auf der Stirn getragen wird, um die elektrische Aktivität auf der Hautoberfläche zu messen. Spezielle Algorithmen sollen ermitteln, ob der Träger sich in einer tiefen, leichten oder REM-Phase seines Schlafes befindet und wie häufig er während der Nacht aufwacht.

Zeo wurde ursprünglich als eine Art Wecker entwickelt, der Nutzer dann aus dem Schlaf reißen sollte, wenn sie nur noch leicht schliefen. Dem Hersteller wurde jedoch schnell klar, dass die Kundschaft sich auch noch für andere Aspekte des Schlafes interessierte. Ein Wunder ist das nicht, schließlich verbringen wir ein Drittel unseres Lebens im Bett. Manche Menschen hätten gerne mehr Schlaf, während andere trotz weniger Schlaf am Tage leistungsfähiger sein wollen. Eine Selbstüberwachung war hier bislang kaum möglich. "Die Leute sind wirklich neugierig", sagt Zeo-Forscher Stephan Fabregas, der auf dem Treffen der Quantified-Self-Mitglieder sprach, "sie wollen wissen, was normal ist und was sie tun können, wenn es Probleme gibt".

Zeo verlieh deshalb eine Reihe von Geräten an die Gruppe – um zu sehen, welche Experimente durchgeführt würden. Jacqueline Thong, die sich selbst als "gute Schläferin" bezeichnet, fand beispielsweise heraus, dass ihre Schlafqualität im Bett, auf dem Sofa und sogar auf dem Fußboden gleich gut zu sein schien. "Da fragt man sich, ob man eine teure Matratze braucht", grinst sie. Adriel Irons, der von sich behauptet, über seinen Körper das Wetter vorhersagen zu können, schaffte es wiederum dagegen nicht, seine Schlafqualität mit meteorologischen Mustern zu korrelieren.

Sanjiv Shah, der selbst früher unter Schlafstörungen litt, hatte die dramatischsten Erkenntnisse bei dem Experiment. Er wusste bereits, das eine Brille mit Gläsern im Farbton Orange, die blaues Licht ausfiltert, ihm beim Einschlafen hilft. (Forscher haben ermittelt, dass blaues Licht den Tagesrhythmus beeinflussen kann.) Um diese Vorteile näher zu quantifizieren, nutzte Shah einen Zeo sowie den Bewegungssensor fitbit und eine Kamera, die auf sein Bett gerichtet war. Einen Monat lang zeichnete er so seinen Schlaf auf. Zwei Wochen lang trug er die Brille drei Stunden lang, bevor er zu Bett ging; zwei Wochen kam er ohne sie aus. Die Vorteile wurden ihm schnell klar: Ohne die Brille brauchte er 28 Minuten, um einzuschlafen, mit ihr nur noch 4. Seine Tiefschlafphase ohne Brille lag bei 60 Minuten, mit Brille erreichte er 86 Minuten.

Das Problem dabei war natürlich, dass es nahezu unmöglich ist, den Placebo-Effekt aus Shahs Daten herauszufiltern. Matt Bianchi, Neurologe am Massachusetts General Hospital, der sich auch auf dem Treffen der Quantified-Self-Mitglieder zeigte, meinte, es fehle an größeren Studien, die zeigten, dass Orange-Brillen von Vorteil sind. Zeo-Mann Fabregas entgegnete, das sei in diesem Fall ja eigentlich egal. "Was zählt, ist, dass die Brille bei Sanjiv funktioniert."

Zeo will Selbstexperimentatoren künftig noch stärker entgegenkommen. Das Unternehmen arbeitet an einer API und einer besseren Schnittstelle, um die Daten einzusehen. Außerdem will das Unternehmen eine große Datenbank aufbauen, die Erfahrungen zahlreicher Nutzer sammelt. So können breitere Muster erkannt und in die Auswertung übernommen werden. Momentan können Kunden die Zeo-Daten in Monitoring-Werkzeuge wie DailyBurn (Kalorientracker) oder RunKeeper (Werkzeug für Läufer) integrieren.

Neurologe Bianchi, der eine Anzahl von Schlafstörungen erforscht, glaubt, dass eine Untersuchung von Einzelpersonen durchaus interessant sein könnte, um die Komplexität des Themas zu erfassen. Momentan gibt es in Schlaflabors nur sehr komplizierte Technik, bei denen die Probanden die Nacht über mit Kabeln an Auswertungssysteme angeschlossen sind. "Ich selbst bin mittlerweile sehr skeptisch, wie diese Schlafforschungsexperimente ablaufen", meint er. Stattdessen interessier er sich zunehmend für Langzeittests von Einzelpersonen. Bianchi arbeitet deshalb momentan an einem neuen Werkzeug zur Schlaferfassung, das genauere Werte erfasst als Zeo. (bsc)