Kinder im Netz: unterversorgt oder überbehütet?

Die 3. Zukunftswerkstatt der Kommission für Jugendmedienschutz beschäftigte sich unter anderem mit einem Masterplan für kindgerechte Online-Inhalte.

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Von
  • Monika Ermert

Ein Masterplan für kindgerechte Online-Inhalte, ein Bekenntnis zur Notwendigkeit staatlicher Aufsicht im Jugendmedienschutz und die Warnung vor einem möglichen Verbot von Sperrverfügungen in den EU-Mitgliedsländern – das waren Themen bei der 3. Zukunftswerkstatt der Kommission für Jugendmedienschutz der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Bundeszentrale für Politische Bildung gestern in Berlin. Die Veranstaltung stand erstmals unter der Schirmherrschaft von Medienkommissarin Vivianne Reding und zudem auch im Zeichen der Vorbereitungen der Bundesregierung auf deren medien- und Jugendmedienschutzpolitischen Aktivitäten während der deutsche EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr.

Hans-Ernst Hanten, Ministerialdirigent beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, versprach, die Masterplan-Idee von Bernd Merz, dem EKD-Rundfunkbeauftragten, zum Thema bei einem für die Präsidentschaft geplanten Gipfel zum Thema Vertrauen und Qualität in alte und neue Medien zu machen. Merz hatte schnellere Ergebnisse im Jugendmedienschutz gefordert, besonders durch qualitätsvolle Angebote, etwa ein europäisches Online-Kinderportal. Friedemann Schindler, Leiter des KJM-Anhängsels Jugendschutz.net, kritisierte, dass große Anbieter immer weniger in Seiten für Kinder investierten oder diese ganz aus dem Programm nähmen.

Ein Erfolgsbeispiel für die Bindung junger und jüngster Nutzer ans eigene "Programm" präsentierte Stuart Gunn, Producer bei BBC Interactive. Immerhin 1,8 Millionen Kinder nutzten die speziellen Kinderseiten der BBC, 1,3 Millionen haben sich sogar als Mitglied der Kinder-BBC-Seiten registriert. Angesichts großer Masterpläne, so warnten Teilnehmer bei der Diskussion im Französischen Dom, dürfe man nicht die vielen kleinen, manchmal privat organisierten Kinder-Netzprojekte vergessen, die praktisch am Rande der Aufgabe stünden.

Über den bei der Tagung ebenfalls vorgestellten Safer Internet Action Plan (SIAP), als dessen deutscher Knotenpunkt die bei der Landesmedienanstalt in Rheinland-Pfalz angesiedelte KlickSafe-Initiative fungiert, finde übrigens eine EU-Vernetzung statt, so dessen Vertreter. Das SIAP-Programm, das unter anderem auch eine europiäsches Netz von Beschwerde-Hotlines finanziert, wird gerade bei der Kommission evaluiert, darf sich aber schon jetzt über mehr Geld im neuen Haushalt freuen. Eine Vertreterin des Bredow-Instituts berichtete zudem von einem angelaufenen Projekt für einen EU-Masterplan.

Während man sich in Berlin weitgehend einig war, dass noch mehr dafür getan werden kann, dass Kinder eigene, attraktive Orte im Netz bekommen, knirscht es bei der Frage, wie viel staatliche Aufsicht neben den Medienkompetenz- und -qualifizierungsmaßnahmen notwendig ist. Wolf-Dieter Ring, Vorsitzender der KJM, begrüßte ausdrücklich die Einführung koregulativer Maßnahmen für den Jugendschutz im Rahmen der Neufassung der "Fernsehrichtlinie", die künftig auch "nichtlineare Dienste" umfassen soll. "Nach meinem Verständnis des Paragraphen 3 wird reine Selbstregulierung dann keine sachgerechte Umsetzung mehr in Europa sein," so Ring. Der Kritik von Unternehmensseite hielt Ring entgegen, dass die regulierten Selbstregulierung nur funktioniere, wenn beide Seiten ihre Verantwortung auch wahrnähmen.

Verena Weigand, Leiterin der Stabsstelle der KJM in München, sagte, die Zahl der Verstöße gegen Jugendschutzbestimmungen spreche eine deutliche Sprache, wenn es um die ethisch verankerte Selbstregulierung gehe. "Da muss die Keule, die hinter der Selbstkontrolle schwingt, schon bereit gehalten werden." Ein reines "Immunisierungsprogramm" für Kinder und Jugendliche oder die Idee, Jugendliche sollten sich eben bei der Nutzung gefährdender Seiten "beherrschen, bloß damit Unternehmen mit bestimmten Dingen Geld verdienen könnten", sei auf jeden Fall kein pädagogischer Ansatz. Ring ging mit Blick auf Selbstkontrollmaßnahmen daher auch kritisch mit einem von der EU geplanten Kodex für die Mobilfunkbetreiber ins Gericht. Gerade über diesen Kanal nähmen die Verstöße gegen den Jugendschutz massiv zu. Schließlich verwahrte sich der KJM-Chef dagegen, dass bei der Evaluierung der KJM nach fünf Jahren ein Rückzieher gemacht werde. Nachbesserungsbedarf sei immer da, so Ring. Versäumnisse in der Öffentlichkeitsarbeit räumte Weigand ein.

Hanten versicherte angesichts der Bedenken, es gehe eher darum, die KJM bei der Durchsetzung von Beschwerden zu stärken. Versäumnisse sehe er bei den Landesmedienanstalten, die die KJM-Beschwerden nicht schnell genug abarbeiteten. Ring sprach von 230 Aufsichtsfällen im Bereich Telemedien seit dem Bestehen der KJM.

Eine klare Kampfansage gegenüber der neuen EU-Fernsehrichtlinie machte Hanten schließlich im Bereich der umstrittenen Sperrverfügungen. "Wir werden uns dagegen wenden", so Hanten, "dass wir demnächst nicht mehr die Möglichkeit haben sollen, rechtsradikale oder gewaltverherrlichende Inhalte sperren zu lassen." Dies drohe durch eine liberalere Regelung zu nichtlinearen Diensten. "Dass wir uns hier nach den schlechtesten Standards richten sollen, das werden wir nicht mitmachen." Vielmehr werde man zusammen mit "guten Freunden" aus Frankreich und England durchsetzen, dass Sperrverfügungen weiter möglich sind. In Deutschland ist die Rechtmäßigkeit allerdings noch Gegenstand des Verwaltungsgerichtsverfahrens in NRW. (Monika Ermert)/ (mw)