Vergessen im Netz: Mit der Vergangenheit die Zukunft kontrollieren

Die Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik hat in Berlin den Wettbewerb "Vergessen im Internet" eröffnet, der das Bewusstsein vor allem junger Nutzer schärfen und Konzepte für eine verbindliche Netiquette hervorbringen soll.

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Von
  • Detlef Borchers

In Berlin hat die Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik Cornelia Rogall-Grothe den Ideenwettbewerb "Vergessen im Internet" eröffnet und die zugehörige Internet-Plattform freigeschaltet. Der Wettbewerb markiert den Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen, mit der das Bundesinnenministerium "aktive Netzpolitik" betreiben will. "Vergessen im Internet" steht dabei neben den Problemfeldern Datenschutz, Cyber-Sicherheit und Fragen des Open Government, setzt aber auf das Engagement der Bürger.

Der Wettbewerb "Vergessen im Internet" läuft bis zum 31. August 2011 in zwei Kategorien. In der Sparte "Bewusstsein schärfen" werden Beiträge, Plakate oder Videos gesucht, die der Frage nachspüren, was das nie vergessende Internet eigentlich bedeutet. Besonders Schülerinnen und Schüler sollen mit dieser Kategorie angesprochen werden. Für sie gibt es einen mit 5000 Euro dotierten Sonderpreis. In der zweiten Kategorie "Regeln und Umgangsformen" sollen Konzepte für eine verbindlichere deutsche Netiquette entwickelt werden. Dieser Teil des Wettbewerbs richtet sich an Wissenschaftler und Studierende der Sozial-, Geistes- und Rechtswissenschaften. Eine Jury aus Wissenschaftlern, Daten- und Verbraucherschützern unter Federführung der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften soll die Beiträge sichten. Wie beim Schülerpreis erhalten die Sieger in den beiden Kategorien jeweils 5000 Euro.

"Bundes-CIO" Rogall-Grothe betonte einerseits die Vorteile des Internets als kollektives Gedächtnis, aus dem sich jeder bedienen könne. Unter Verweis einen Fall, in dem ein auf Myspace veröffentlichtes Foto berufliche Konsequenzen für eine US-amerikanische Lehramtskandidatin hatte, entwickelte Rogall-Grothe andererseits die Dystopie einer Welt ohne Vergessen, in der Fehler nicht mehr vergeben werden können. Zu beiden Extremen schilderte sie problematische Entwicklungen, etwa die Versuche, das digitale Gedächtnis der Menschheit zu manipulieren oder Dienstleister damit zu beauftragen, die eigene Reputation zu reparieren.

Rogall-Grothe verwies auf lobenswerte Versuche wie den (technisch problematischen) digitalen Radiergummi, der Bilder mit einem Verfallsdatum versehen soll. Ein anderes Beispiel der Bundes-CIO ist die Praxis eines Mail-Providers, der zur fortgeschrittener Stunde die Lösung einer Matheaufgabe verlangt, ehe er Mail verschickt. "Das Internet ist zum wesentlichen Bestandteil des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens geworden. Eine Welt ohne Internet ist schlichtweg nicht vorstellbar. Es bedarf daher einer aktiv gestaltenden Netzpolitik, um die Chancen und Freiheiten, die das Internet bietet, zu erschließen und zu wahren."

In der anschließenden Diskussion warnte Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer davor, Internet-Entwicklungen zu verteufeln. "Wir müssen uns auch überlegen, welchen Preis wir Deutschen mit unseren Vorstellungen von Privatsphäre im internationalen Wettbewerb zahlen." Rena Tangens vom FoeBuD wiederholte ihre Kritik an Facebook, die zur Verleihung eines Big Brother Awards 2011 führte. Rogall-Grothe skizzierte eine aufgeklärte Zukunft: "Ich kann mir vorstellen, das Internet-Teilnehmer bewußt Nachteile in Kauf nehmen, wenn sie Privates veröffentlichen, aber dafür muss erst einmal ein Bewußtsein für die Gefahren vorhanden sein, dass das Internet nichts vergisst." (vbr)