re:publica: Aktivisten fordern radikalen Netzumbau

Jeder interessierte Nutzer sollte Teil der Internetinfrastruktur werden können, befand Jürgen Neumann, Mitgründer der Vereinigung freifunk.net, auf der Netzkonferenz. Klassische Provider fürchten um die Dienstequalität.

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Jürgen Neumann, Mitgründer der Vereinigung freifunk.net zum Aufbau selbstverwalteter Funknetze, hat auf der mit rund 3000 Besuchern gut gefüllten Bloggerkonferenz re:publica für eine umfassende Neuausrichtung der Netzarchitektur plädiert. Jeder interessierte Nutzer sollte selbst Teil der Internetinfrastruktur werden können, befand der IT-Berater. Die Grenze in Form von Gateways der klassischen Zugangsanbieter und Netzbebreiter, "die uns aus dem Internet ausgesperrt hat, muss stürzen", erklärte Neumann. Seine Vision ist es, dass sich jeder mit seinen Endgeräten nicht nur ans Netz anschließen, sondern mit eigener IP-Adresse Teil davon werden kann. Dafür sei es nötig, die klassische Client-Server-Struktur in eine symmetrische Architektur umzuwandeln.

So wie sich heute Surfer bereits einfach in herkömmliche WLAN einloggen können und sich Funknetze dank Mesh-Technik direkt miteinander verweben lassen, sollen sich die Nutzer Neumann zufolge etwa in einem Raum über ihre Rechner und Smartphones vernetzen und "gegenseitig Bandbreite freimachen". Die beim Zusammenschluss von Hotspots zum Tragen kommende Technik lässt sich seiner Ansicht nach "aufs Internet als Ganzes übertragen". Über der technischen Netzarchitektur liege schließlich eine ideologische, die man verändern könne. Es sei legitim, die Frage aufzuwerfen, "wie das Internet eigentlich sein könnte". Für den Netzaktivisten gehört die Zukunft jedenfalls einer Struktur, in der jeder Content- und Infrastrukturanbieter zugleich sei.

"Wir sind das Netz", gab auch Sebastian Sooth von der Vereinigung atoms&bits als Parole aus. Gebraucht werde eine Diskussion, wer die Internetinfrastruktur tatsächlich in Besitz halte. Für Sooth ist die Antwort bereits klar: "Das Netz gehört uns, es ist von unseren Geldern ausgebaut worden." Es sei ein politischer Fehler gewesen, den Betreibern überhaupt ein Eigentum an den Basisarchitekturen der digitalen Gesellschaft zuzugestehen. Gleichzeitig bemängelte Sooth das Niveau, mit dem hierzulande über den Breitbandausbau gestritten werde. Die Bundesregierung hechele noch ihrem Ziel hinterher, allen Haushalten einen Zugang mit 1 MBit/s zu verschaffen; eine Partei wolle 2 MBit/s, die nächste 16 MBit/s als Grundausrüstung. In anderen Ländern gehe es derweil längst um 100 MBit/s.

Stephan Crummenauer, Geschäftsführer der Schwäbisch Gmünder Stadtwerketochter GmündCOM, träufelte Wasser in den Wein der Netzaktivisten. Viele Nutzer erwarten von einem Internetanschluss seiner Erfahrung nach auch eine gewisse Qualität, gab das Gründungsmitglied der Breitbandinitiative Baden-Württemberg zu bedenken. Um TV- oder Videoabruf-Dienste zu ermöglichen, bedürfe es eines gemanagten, organisierten Netzes. Die Dienstequalität müsse stimmen, erläuterte Crummenauer. Zudem sei Geld für die Finanzierung des Breitbandausbaus nötig, das irgendwo herkommen müsse. So würden für die gesamte Umrüstung auf Glasfaser hierzulande 48 Milliarden Euro, allein für Baden-Württemberg 5 Milliarden veranschlagt. Es gebe zwar Geld aus Infrastrukturprogrammen und geförderte Kredite, da der Ausbau Teil der Grundversorgung sei. Nicht alle erforderlichen Mittel kämen aber vom Staat. (jk)