Im Zeichen des Tablets

Apples iPad hat sich in nur einem Jahr einen festen Platz in der Musikproduktion erkämpft. Doch auch abseits des Tablets konnte man auf der Messe spannende Entwicklungen beobachten.

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Für reichlich Gesprächsstoff unter den iPad-infizierten Besuchern der Frankfurter Musikmesse 2011 sorgte das kurz zuvor veröffentliche GarageBand von Apple. Einigkeit herrschte darüber, dass diese App für einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Tablets als ernstzunehmende Produktionsumgebung sorgen dürfte. Ebenso wurde Apples Preisgestaltung als klare Kampfansage an den Markt verstanden: Das Programm kostet 3,99 Euro.

Diesem Druck standzuhalten, ist für Mitbewerber alles andere als einfach. Soundtrends, die Macher des beliebten Looptastic, suchen ihr Glück in neuartigen Bedienkonzepten. In grüvtron (3,99 Euro) steuert der Anwender diverse Licks & Grooves über eine X/Y-Matrix in Tonhöhe und Komplexität. Dabei können zwei iPads zu einer Jam-Session gekoppelt werden. Auch Way Out Ware versucht mit dem erstaunlich klangstarken SynthX, neue Wege bei der Steuerung von Musik zu beschreiten. Gleich drei Spielmodi bietet dieser Synthesizer im aparten Retro-Look und soll damit den absoluten Musikneuling ebenso begeistern wie den erfahrenen Elektro-Musiker. Spectrasonics präsentierte wiederum ein Fernbedienungsmodul für ihr opulentes Synthesizer-Plug-in Omnisphere.

Da das iPad einfach in das Alesis Audio- und MIDI-Station IO Dock eingeschoben wird, bleibt die gesamte Konstruktion erstaunlich kompakt.

Als wie groß das Potenzial der Tablets mittlerweile eingeschätzt wird, lässt sich unter anderem daran erkennen, dass sich selbst ein Branchengigant wie Peavey nun in diesem Bereich engagiert. Mit AmpKit beziehungsweise AmpKit+ bietet das nordamerikanische Unternehmen eine kostenlose Basis- und eine kostenpflichtige Vollversion (16 Euro) seines Amp-Modelers für iOS-Devices an. Zusätzlich gibt es mit dem Amp-Link ein weiteres auf Gitarristen zugeschnittenes Audio-Interface.

Apropos Interface: Auch bei den Peripheriegeräten für Apples Mobilgeräte gab es reichlich Zuwachs. So hatte Apogee ein kleines Gitarren-Interface für iPod, iPhone und iPad namens Jam mitgebracht. Im Unterschied zu vergleichbaren Geräten anderer Hersteller besitzt der rund 90 Euro teure Mini einen eigenen A/D-Wandler und wird daher über die Digitalschnittstelle der iOS-Geräte angeschlossen. Guitar Jack heißt eine ähnliche Lösung von Sonoma Wireworks, einer Firma, die bislang durch Musik-Apps wie FourTrack in Erscheinung getreten ist. Das laut Liste rund 200 US-Dollar teure Gerät dockt ebenfalls an der Digitalschnittstelle der iOS-Geräte an, erlaubt aber den Anschluss von gleich zwei Signalquellen, etwa einer Gitarre und einem Mikrofon. Passend dazu gestattet die App die parallele Aufnahme von zwei Tracks. Darüber hinaus stellt Guitar Jack einen eigenen Kopfhörerausgang mit „mehr Dampf“ bereit.

Wer nicht leise spielen kann, kommt auf der Musikmesse hinter Plexiglas.

Bei Alesis war das IO Dock zu sehen, das iPads um zwei kombinierte XLR/Klinken-Inputs (einer davon mit 48 Volt Phantomspeisung, umschaltbar zwischen Mikro, Line und Gitarre), zwei Klinkenausgänge, eine MIDI-Schnittstelle sowie Kopfhörer- und einen Video-Ausgang ergänzt. Das ändert natürlich nichts daran, dass das iPad nur mit 16 Bit/44,1 kHz aufnimmt. Das Dock unterstützt Geräte mit iOS 4.3 und ist vollständig kompatibel zu CoreMIDI. Da das iPad einfach in das Dock eingeschoben wird, bleibt die gesamte Konstruktion erstaunlich kompakt. Der Listenpreis wird bei 180 Euro liegen.

IK Multimedia zeigte gut versteckt in einem Hotelzimmer nahe der Messe mit iRig Mi ein solides Electret-Mikrofon zum Anschluss an iPhone, iPod und iPad fĂĽr rund 50 Euro. Passend dazu bieten die Italiener zwei Apps ĂĽber Apples Store an, die die Touch-Devices wahlweise in einen Vierspur-Recorder oder einen einfachen Audiorecorder fĂĽr den Mitschnitt von Interviews verwandeln.

Futuristisches Instrument: „Reactable“ lädt zum Improvisieren und Experimentieren mit musikalischen Konzepten ein. Eine App-Fassung ist mittlerweile für iPod touch, iPhone und iPad erhältlich.

Auch vor digitalen Mischpulten macht Apples iPad nicht halt: So zeigten beispielsweise Presonus und Yamaha passende Remote-Apps für ausgewählte Modelle. Was zunächst etwas eigenartig klingen mag, ist durchaus sinnvoll: Der Soundcheck lässt sich nun in allen Bereichen des Veranstaltungsorts von einer einzigen Person und ohne viel Rennerei durchführen.

Doch nicht nur rund um iPad & Co. gab es in Frankfurt bemerkenswerte Neuerungen. Celemony-Mastermind Peter Neubäcker widmet sich einer Herausforderung, die sich bislang weder mit dem eigenen Melodyne noch mit irgendeiner anderen Software lösen lässt: Die Rettung von durch Gleichlaufschwankungen der Bandmaschine völlig ruinierten Aufnahmen. Das Ergebnis der Programmierarbeit hört auf den Arbeitsnamen Capstan und funktioniert verblüffend gut. Daher wird bereits gemunkelt, die eine oder andere Plattenfirma hätte Interesse daran, einige bislang leider unbrauchbare Schätze aus ihrem Archiv mit der Software auf Vordermann zu bringen. Capstan wird zunächst nicht im freien Handel verfügbar sein, sondern muss über ein im Detail noch zu klärendes Lizenzmodell direkt von Celemony bezogen werden. Die Preise dürften sich an eine professionelle Klientel richten.

Der Kemper Profiling Amp erlernt den „akustischen Fingerabdruck“ jedes beliebigen Gitarren-Verstärkers und ahmt diesen auf Knopfdruck nach.

Steinberg ließ einen beinahe Totgeglaubten auferstehen und zeigte eine Vorab-Version seines HALion 4. Dieser ist kein reiner Sampler mehr, sondern verfügt zusätzlich über eine vollwertige Synthese-Sektion. Spannend dürfte sein, wie Anbieter von Sample-Libraries auf diese Wiederbelebung reagieren – denn der Angriff auf Native Instruments’ Kontakt 4 ist kaum zu übersehen. Darüber hinaus vervollständigten die Hamburger mit Cubase Elements die Cubase-6-Familie (siehe Test auf Seite 72 dieser Ausgabe ). Die kleinste Retail-Fassung soll Ende Mai für rund 100 Euro erhältlich sein.

Klangtüftler dürfen sich auf Waldorfs Software-Vocoder Lector (VST/AU) für rund 200 Euro freuen. Dieser ist mit stattlichen 100 Analysebändern ausgestattet, die sich individuell durch Low Frequency Oscillators (LFOs) modulieren lassen. Ebenfalls an Bord sind eine eigene Synthese-Abteilung sowie ein spezieller Whitening-Filter, mit dem sich Eingangssignale „blondieren“ (O-Ton Waldorf) lassen. In der Praxis dient dieser Filter dazu, einem Stimmsignal seine Kehligkeit zu nehmen – vorteilhaft beispielsweise, wenn Speech- und Carrier-Signal eine ähnlich mittige Frequenzstruktur aufweisen.

Im Zentrum des Bedienkonzepts der Synthesizer-Workstation Korg Kronos steht ein 8"-Touch-Display.

Als kombinierte Hard- und Software-Lösung konzipierte Arturia die Drum-Maschine Spark. Die Software bietet Physical Modeling, Sampling sowie analoge Synthese und lässt sich sowohl stand-alone als auch als Plug-in nutzen. Die Controller-Hardware verbindet die Bedienkonzepte verschiedener Klassiker: Step-by-Step-Programmierung – bekannt etwa von der legendären Roland TR-808 – ist ebenso möglich wie das Einspielen über Pads, wie es bei Akais MPC-Maschinen üblich ist. Ferner ist die Hardware mit zahlreichen Elementen zur Echtzeitkontrolle der Sounds ausgerüstet, darunter auch ein kleiner Ribbon-Controller für die Effekte. Spark soll Mitte des Jahres für 500 Euro in den Läden stehen.

Eine sehr interessante Kombination aus analogem Mischpult und digitalem DAW-Controller hatte Focusrite in petto. Control 2802 arbeitet mit einer sogenannten Double-Layer-Technologie und erlaubt so das blitzschnelle Wechseln zwischen analogem Mixing und digitaler Kontrolle der DAW-Parameter. Beide Fader-Ebenen lassen sich vollständig automatisieren, für die DAW-Steuerung kommt laut Focusrite ein neues Ethernet-Protokoll zum Einsatz. Control 2802 ist mit acht Mikrofon-Preamps ausgerüstet und kann bis zu 32 Eingangssignale analog summieren. Ganz preiswert soll das Ganze mit knapp 3000 Euro allerdings nicht werden.

Für erhebliche Aufmerksamkeit sorgte in den Gitarrenhallen der Kemper Profiling Amp von Christoph Kemper, der bereits mit dem DSP-basierten Access Virus viele Keyboarder-Träume wahr werden ließ. Der Kemper Amp ist kein gewöhnlicher Modeling-Amp, sondern kann vielmehr lernen, wie andere Verstärker klingen. Während dieses Profiling genannten Prozesses, der gut eine halbe Minute dauert, beschickt der Kemper Amp das zu klonende Modell mit einer Reihe von Testsignalen und berechnet aus den Antworten die erforderlichen internen Einstellungen. Original und Fälschung sind sich dabei dermaßen ähnlich, dass es selbst gestandenen Profis die Sprache verschlug.

Ein weiteres, eindrucksvolles Beispiel für die gelungene Verschmelzung von Hard- und Software lieferte der neue Korg Kronos. Diese Synthesizer-Workstation vereint nicht nur neun unterschiedliche Syntheseformen von analogem Modeling bis zur authentischen Wiedergabe gesampelter Instrumente. Vor allem belegen alleine die Pianosounds (für zwei verschiedene Modelle) laut Korg schon rund 9 Gigabyte – während Stagepianos bislang schon gefeiert wurden, wenn sie dafür 500 MByte hatten. Das hat allerdings seinen Preis: Der kleinste Kronos mit 61 Tasten soll 3000 Euro kosten. (nij)