Streik beim Europäischen Patentamt

Prüfer der Münchner Behörde legten für einen halben Tag ihre Tätigkeiten nieder aus Furcht, Anträge künftig weniger genau unter die Lupe nehmen zu können. Das US-Patentamt will dagegen auf eine "Peer to Patent"-Prüftechnik setzen.

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Prüfer des Europäischen Patentamtes (EPA) haben am heutigen Dienstag für mehrere Stunden ihre Tätigkeiten ruhen lassen. Sie demonstrierten mit dem Warnstreik, der auf einen halben Tag befristet war, gegen Pläne für neue Arbeitsauflagen. Die davon besonders betroffenen Patentprüfer fürchten, dass sie künftig Anträge auf gewerbliche Schutzrechte aus Zeitgründen weniger genau unter die Lupe nehmen können. Der Streik habe sich im Zusammenhang mit der Diskussion um die Einführung eines neuen Beurteilungsverfahrens für die Arbeit am EPA ergeben, erklärte ein Sprecher der Behörde den ungewöhnlichen Konflikt gegenüber heise online. Dabei würden die Meinungen von Personal und Management über den neuen Ansatz auseinander gehen. Genaue Angaben über die Zahl der am Streik Beteiligten machte der Sprecher nicht.

Die Zahl der Patentanmeldungen beim EPA ist im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts um rund 50 Prozent gestiegen, die Produktivität der Behörde um 30 Prozent. Allein in 2005 sahen sich die Prüfer mit 193.000 Anträgen auf zeitlich befristete Monopole konfrontiert. Gleichzeitig erkannten sie 53.000 Ansprüche an, wobei viele neue Anmeldungen zunächst auf einer immer länger werdenden Warteliste landeten. Die Arbeit der Prüfer und ihre Kontrolltätigkeiten sollen nach den Planungen des Managements neu bemessen werden. Den besorgten Prüfern zufolge müssten sie sich demnach in kürzerer Zeit durch mehr Anträge kämpfen. Statt Punkte für erledigte Akten zu erhalten, sollen ihre Leistungen an einem komplexeren Set erreichter Ziele bemessen werden. Der Quantität werde so Vorrang vor der Qualität eingeräumt, beklagte die EPA-Gewerkschaftlerin Elizabeth Hardon gegenüber dem Magazin Nature. Sie geht davon aus, dass mit diesem Ansatz letztlich auch die Zahl der Einsprüche gegen vom EPA erteilte Patente zunehmen könnte.

EPA-Präsident Alain Pompidou hatte jüngst bei der Feier des "Tags des geistigen Eigentums" in Berlin Kritik an der weit gehenden, auch Ansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" alias Softwarepatente berücksichtigenden Vergabepraxis seiner Behörde zurückgewiesen: Jede Anmeldung werde einzeln sorgfältig geprüft und so ausgeschlossen, dass Erfindungen patentiert würden, die nicht den gesetzlichen Standards entsprächen. Dies beziehe sich auf alle Gebiete der Technik. Bei den 600.000 insgesamt bislang erteilten Patenten rutschten den Prüfern nach Ansicht von Kritiker aber dennoch immer wieder fragwürdige, triviale Entwicklungen schützende Monopolansprüche durch. So lässt die Kampagne NoSoftwarepatents-Award etwa interessierte Surfer Monat für Monate Patente wie auf ein Verfahren zur "Einsparung von Speicherplatz" küren, die eine große Blockadewirkung für die gesamte Wirtschaft entfalten und die Innovationskraft bremsen könnten.

Das US-Patentamt will einen anderen Weg als die europäischen Kollegen beschreiten, um der Flut der Patentanmeldungen und dem riesigen Rückstau bei der Abarbeitung von Anträgen Herr zu werden. 2005 ging bei der Behörde die Rekordsumme von 406.302 neuen Anträgen ein. Sie will nun im Rahmen eines so genannten "Peer to Patent"-Programms die kollektive Intelligenz der Netzbürger und Online-Experten nutzen, um Hinweise auf bereits vorhandene und damit nicht mehr patentierbare Erfindungen rund um neue Ansprüche auf gewerbliche Schutzrechte zu erhalten. Es geht also darum, Verweise auf "Prior Art" zu finden. Die Idee, die vom Open-Source-Gedanken und der Praxis des "Peer Review" wissenschaftlicher Publikationen inspiriert ist, hat insbesondere die Rechtsprofessorin Beth Novak von der New York Law School mit entwickelt. An ihrer Universität hat das auch als "Community Patent"-Projekt bekannte Vorhaben eine virtuelle Heimat gefunden.

Über ein spezielles Wiki können sich Interessierte an den Planungen für die "Laienprüfung" von US-Patentanträgen ebenfalls bereits beteiligen. Einzelheiten will das US-Patentamt am Freitag auf einem Workshop vorstellen. Unterstützung erhält der "Peer Review"-Vorstoß im Patentwesen unter anderem vom "Patentmeister" IBM. Big Blue entwickelt das offene Prüfprogramm seit Anfang des Jahres mit und beteiligt sich überdies an weiteren ähnlichen Initiativen wie Open Source Software as Prior Art von den Open Source Development Labs (OSDL).

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente unter anderem in Europa und um die die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)