Mit dem Urheberrecht gegen die Informationsfreiheit

Die Einsicht in die vollständigen Prüfunterlagen von Wahlcomputern bleibt dem Bürger verwehrt.

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Von
  • Jürgen Kuri

Die schon gleich nach dem Inkrafttreten Anfang des Jahres umstrittene Handhabung des Informationsfreiheitsgesetzes ist jetzt um eine weitere Variante bereichert worden: der Ablehnung eines Antrags auf Akteneinsicht unter Berufung auf das Urheberrecht. In dem heise online vorliegenden Fall zielte das Auskunftsbegehren des c't-Autors Richard Sietmann, der sich schon mehrfach mit elektronischen Wahlmaschinen auseinander gesetzt hat, auf die vollständigen Prüfunterlagen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur Bauartzulassung eines Wahlcomputers des niederländischen Herstellers Nedap.

Diese softwaregesteuerten Wahlgeräte waren bei der letzten Bundestagswahl bereits in knapp 2200 von insgesamt rund 80.000 Stimmbezirken eingesetzt worden. Der Einsatz ist in der Bundeswahlgeräteverordnung geregelt. Diese sieht vor, dass die PTB einen Prototyp des Systems einer technischen Prüfung unterzieht, bevor die Bauartzulassung und Verwendungsgenehmigung durch das Bundesinnenministerium erfolgt.

Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) räumt im Grundsatz jedem gegenüber den Behörden des Bundes den Zugang zu amtlichen Informationen ein, schränkt diesen Anspruch jedoch unter anderem ein, sobald schutzwürdige Interessen Dritter betroffen sein könnten. So heißt es im Paragraphen 6 IFG: "Der Anspruch auf Informationszugang besteht nicht, soweit der Schutz geistigen Eigentums entgegensteht. Zugang zu Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen darf nur gewährt werden, soweit der Betroffene eingewilligt hat."

Im vorliegenden Fall willigte die Herstellerfirma Nedap zwar in die Freigabe des Prüfberichts ein, nicht jedoch in die Freigabe der 36 Anlagen, die die Grundlage der summarischen Bewertungen des Prüfberichts bilden. "Bei den im Anhang des Prüfberichts aufgeführten technischen Unterlagen, den Unterlagen zur Bedienung des Geräts, den Prüfdokumentationen und den ergänzenden Unterlagen zu den Prüfanforderungen handelt es sich ausnahmslos um Werke, die nach Paragraph 2 Absatz 1 des Urheberrechtsgesetzes geschützt sind", begründete die PTB den Ablehnungsbescheid. "Somit kann allein der Urheber entscheiden, ob und in welcher Weise diese Werke von anderen genutzt werden dürfen."

Nach den einschlägigen Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung sind Stimmerfassung und Auszählung allerdings grundsätzlich öffentlich. "Während der Wahlhandlung sowie der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses hat jedermann zum Wahlraum Zutritt, so weit das ohne Störung des Wahlgeschäfts möglich ist", heißt es beispielsweise im Paragraphen 54 der Bundeswahlordnung. Auf diese Weise soll sich jeder Bürger vom korrekten Ablauf der Wahl überzeugen können. Bei der Verwendung von Wahlcomputern, bei denen die Ermittlung und Feststellung der Ergebnisse im Inneren des Gerätes stattfinden und deswegen nicht beobachtet werden können, wird diese Kontrollmöglichkeit des Souveräns nun ausgehebelt – stattdessen entscheidet offensichtlich ein privates Unternehmen darüber, wie öffentlich politische Wahlen künftig noch sein werden.

Siehe dazu auch die Artikel zu Online-Wahlen und Wahlmaschinen in c't: (jk)

  • Der Stift-Kompromiss, Das Hamburger Landeswahlamt propagiert fürs e-Voting den digitalen Wahlstift, c't 6/06, S. 90
  • "Der schleichende Verfall der öffentlichen Kontrolle", Der 22C3 diskutiert über Wahlen per Internet und E-Voting, c't 2/06, S. 20
  • E -Voting vs. Verfassung, Rechtliche Bedenken bei elektronischen Wahlmaschinen in Deutschland, c't 1/06, S. 80
  • Elektronische Wahlen?, Einige verfassungsrechtliche Fragen, c't 23/05, S. 228
  • Dreimal drücken – fertig?, E-Voting-Großeinsatz bei der Bundestagswahl, c't 19/05, S. 54
  • Trial and Error, Streit um technische Richtlinien für US-Wahlcomputer, c't 17/05, S. 54
  • E-Voting – ein Spiel mit dem Feuer, Elektronische Wahlsysteme bei den US-Präsidentschaftswahlen 2004, c't 23/04, S. 100
  • Verführerischer Charme ..., ... aber die Einführung allgemeiner Online-Wahlen bleibt umstritten, c't 11/01, S. 22
  • Der virtuelle Wähler, Zweifel am Urnengang mittels Internet, c't 8/01, S. 70