Der grüne Riese
Mit einem Marktanteil von über einem Drittel ist Android inzwischen das weltweit beliebteste Betriebssystem für Smartphones. Was kann das Betriebssystem von Google?
- Achim Barczok
Ein Plastikhandy mit Schiebetastatur als iPhone-Konkurrent? Als Google-Manager Andy Rubin im September 2008 gemeinsam mit T-Mobile in den USA das erste Google-Handy G1 vorstellte, zogen viele im Publikum die Augenbrauen hoch. Altbackenes Design, schlechte Hardware, vielversprechende, aber arg verbesserungsbedürftige Software, so das allgemeine Urteil. Das Bild hat sich gewandelt. Googles mobile Plattform hat sich in gerade einmal zweieinhalb Jahren zum weltweit am weitesten verbreiteten Smartphone-Betriebssystem entwickelt, bei den Neukäufen ist es schon länger die Nummer eins. Inzwischen klatschen Entwickler und Journalisten im Saal und vor den Monitoren, wenn Rubin auf die Bühne tritt, um Android-Features anzukündigen. Und wenn Samsung und HTC ihre Top-Smartphones präsentieren, ist gleich vom nächsten iPhone-Killer die Rede.
Die immense Gerätevielfalt spielt beim Erfolg von Android sicherlich die größte Rolle. In Deutschland sind inzwischen über 50 unterschiedliche Modelle mit Android auf dem Markt. Die Spanne reicht von Einsteiger-Geräten ab 90 Euro bis hin zu den Flaggschiffen von HTC, Samsung, Sony Ericsson und Co., die zwischen 400 und 500 Euro kosten. Die besten von ihnen haben wir ausführlich getestet und ab Seite 90 vorgestellt. Nur in der Topklasse wird man fündig, wenn man nach einem würdigen iPhone- oder Windows-Phone-Konkurrenten mit umfangreicher Ausstattung, schneller Hardware und Statussymbol-Faktor sucht.
Alltagstaugliche Android-Handys gibt es aber schon wesentlich billiger mit einer ansehnlichen Hardware-Grundausstattung: Kapazitive Multitouchdisplays, WLAN, Bluetooth, GPS und Surfen mit mindestens UMTS-Geschwindigkeit bringen sie standardmäßig mit. Beispiele sind die voraussichtlich in der nächsten c’t-Ausgabe vorgestellten Samsung Galaxy Gio und das LG Optimus Me, die für unter 200 Euro zu haben sind. Eines mit ausschiebbarer Tastatur, das LG Optimus Chat, gibt es für 200 Euro. Aufgrund der kleinen Displayflächen zwischen 2,8 und 3,2 Zoll ziehen die Displays weniger Strom, sodass einige der Einsteigergeräte länger als ihre leistungshungrigen großen Geschwister mit einer Akkuladung auskommen.
Über 200 Euro zahlt man für Smartphones, die mindestens VGA-Auflösung bieten, worauf man vor allem beim Surfen und Filmeschauen nicht verzichten mag. Mit stärkeren Prozessoren laufen Betriebssystem, Bedienoberfläche und Apps deutlich schneller und ruckeln weniger, und man findet auch brauchbare Handykameras mit 5 Megapixeln und HD-Videospieler in der Preislage. Premiumgeräte über 400 Euro bieten auch 8-Megapixel-Kameras mit 720p-Videoaufnahme, große Displays mit teils bis zu 4 Zoll Diagonale und kräftigen Farben. Außerdem bringen einige davon eine beachtliche Leistung für 3D-Grafik und -Spiele mit [1] .
Betriebssystem
Das Software-Grundpaket von Android ist in der Regel bei allen Geräten identisch, zumindest wenn sie mit einer aktuellen Android-Version laufen. Für die Nexus-Geräte von HTC und Samsung stellt Google sie in der Regel zuerst zur Verfügung und nur bei ihnen erhält man das reine Google-Android. Bei allen anderen Smartphones setzen die Hersteller und Netzbetreiber alternative Oberflächen ein und geben die angepassten Android-Updates meist deutlich später frei. Deshalb muss man vor allem bei älteren und günstigen Geräten damit leben, dass sie einige Android-Versionen hinterherhinken und möglicherweise von neuen Versionen ausgeschlossen bleiben. Knapp zwei Drittel der Android-Geräte hatten laut Google im April Android 2.2 installiert, das schon die meisten Android-Funktionen mitbringt (siehe Tabelle); nur 2,5 Prozent laufen mit der aktuellen Version 2.3.
Android bietet nicht nur den Herstellern weitreichende Eingriffsmöglichkeiten, sondern auch dem Nutzer: Den Startbildschirm kann er in mehrere Flächen unterteilen und mit Anwendungsverknüpfungen, Ordnern und Widgets mit News-Häppchen, Terminen, Twitter-Feeds, Wetter-Infos und allen denkbaren Informationen zupflastern [2] . Er darf Anwendungen aus dem Android Market, von seinem Rechner oder aus dem Web installieren und auf den größten Teil des Android-Speichers zugreifen – auf dem Gerät selbst braucht er dafür einen zusätzlichen Dateimanager. Selbst alternative Firmware kann man auf den meisten Geräten installieren [3] .
Auf Knopfdruck öffnet sich das Anwendungsmenü, das alle installierten Programme alphabetisch listet. Die am oberen Bildschirmrand eingeblendete Statusleiste zeigt System- und Anwendungsmeldungen, eingegangene Anrufe, SMS und E-Mails sowie Updates aus Apps wie Twitter und Facebook und anderen im Hintergrund laufenden Anwendungen. Einige Hersteller nutzen sie auch, um einen schnellen Zugriff auf Systemeinstellungen oder Bedienelemente für Apps zu gewähren. Durch das Betriebssystem navigiert man per Fingerwisch, über die brauchbare Spracheingabe oder über den systemweiten Suchindex, der optional auch Kontakte, die Browserhistorie und Apps berücksichtigt. Die virtuelle Tastatur unterstützt mehrsprachige Layouts, bietet Korrekturvorschläge, automatisches Vervollständigen per Wörterbuch und lässt sich zumindest auf Touchdisplays ab 3,5 Zoll Diagonale sehr gut zum Tippen einsetzen.
Zur Grundausstattung gehören Webbrowser, E-Mail-Client, Kalender, Adressbuch und Medienspieler für Bilder, Musik und Videos. Der Webkit-Browser ist für komplexe JavaScript- und HTML5-Seiten optimiert, rendert spätestens ab Android 2.2 selbst auf langsameren Geräten äußerst flink und lässt sich über Touchgesten steuern. Adobe Flash 10.2 zur Flashunterstützung im Browser kann auf Geräten mit Android 2.2 und höher aus dem Market heruntergeladen werden, die meisten Animationen und Videos laufen aber nur auf den neuesten und schnellsten Smartphones flüssig. E-Mail-Clients gibt es zwei: Einen für ein oder mehrere IMAP-, POP3- und Exchange-Konten und einen speziellen für Googlemail, der Threads für Korrespondenzen, Push und die vom Webclient bekannten Labels beherrscht.
Außer einem Client für Google Chat und das Videoportal YouTube hat Google die mächtige Version 5.3.1 von Google Maps installiert. Sie bietet nicht nur wie auf dem iPhone eine Positionsanzeige im Kartenmaterial, sondern darüber hinaus eine Geländeansicht, 3D-Modelle in einigen Großstädten und einen Offline-Cache für häufig besuchte Orte – nützlich, wenn man sich auch einmal ohne Internetverbindung orientieren möchte. Den Cache nutzt auch die mitgelieferte Google Maps Navigation – sie führt auf Straßen und Fußwegen mit Sprachausgabe. Ein Automodus reduziert die Androidoberfläche auf die wesentlichen Funktionen und hilft dadurch, im Fahrzeug nicht abgelenkt zu werden. Darüber hinaus entdeckt man überall kleinere sinnvolle Erweiterungen, zum Beispiel eine sehr detaillierte Analyse des Batterieverbrauchs, hübsche News- und Wetter-Widgets und die Integration von Voice over IP über SIP im Adressbuch ab Android 2.3.
Eine Synchronisation mit dem PC hat Google nicht vorgesehen, stattdessen gleicht man Kalender, Mail und Kontakte mit Google-Konten oder Exchange-Servern und Bilder mit Googles Online-Fotoalbum Picasa ab. Webdienste können sich direkt in das Adressbuch einklinken und dort die bestehenden Kontakte beispielsweise mit Telefonnummern aus Skype oder Benutzerprofilen aus Twitter verknüpfen – die Facebook-Integration hat Google in den neuesten Versionen 2.3.3 und 2.3.4 gekappt, weil Facebook die Daten nicht komplett zum Export freigibt.
Android Market
Wem das vorinstallierte Angebot nicht reicht, der findet reichlich Erweiterungen in Googles etwas unübersichtlichem Anwendungsshop Android Market. Über 150 000 Apps standen dort laut Google im Februar 2011 in unterschiedlichen Kategorien zum Download bereit, verschiedene Analyse-Websites gehen inzwischen sogar von mehr als 200 000 Apps aus. Zwei Drittel davon, so hat es der niederländische Branchendienst Distimo errechnet, sollen kostenlos sein, für die anderen muss man von Preisen meist zwischen 50 Cent und 5 Euro rechnen; für den Kauf ist eine Kreditkarte notwendig. Die Vielfalt entspricht in vielen Kategorien der des mit über 300 000 Apps noch deutlich größeren Apple App Store, trotzdem hängt der Market in einigen Punkten nach: Viele aufwendig programmierten Anwendungen feiern bei Apple ihr Debüt, bevor sie Wochen oder Monate später auch Android-Nutzern zur Verfügung stehen, und vor allem bei 3D-Spielen ist die Auswahl bei Android kleiner [4] . Es gibt aber auch konkurrierende Anwendungsshops für Android, beispielsweise Slideme.org und den Amazon Appstore, der mit Spezialangeboten wirbt, bisher jedoch nur mit einer US-Kreditkarte zugänglich ist [5] .
Nicht alle Apps aus dem Market lassen sich tatsächlich auf allen Geräten installieren: Einige erfordern ganz bestimmte Modelle, andere mindestens Android 2.0, andere eine bestimmte Displayauflösung. Insbesondere letzteres sorgt bei vielen Anwendern für Unmut: Ist eine App nicht explizit für Displays mit kleinen Auflösungen wie 320 x 240 Bildpunkten freigeschaltet, lässt sie sich auf diesen Geräten nicht aufspielen; das betrifft etwa ein Zehntel aller Anwendungen. Auch Entwicklern bereitet die Fragmentierung Probleme, weil sie ihre Anwendungen für alle möglichen Displaygrößen und Android-Versionen anpassen müssen.
Wie alle Google-Apps ist auch der Market eng mit dem Netz verbunden: Auf market.android.com zeigt Google die Historie aller Installationen des Nutzerkontos an, gekaufte Apps können jederzeit erneut heruntergeladen werden. Wenn man das Handy wechselt, werden automatisch alle Apps wiederhergestellt. Über die Google-Website lassen sich Apps auch aus der Ferne auf dem Gerät installieren. Eine Funktion zur Fernwartung, -ortung oder -löschung des Handys wie beim iPhone gibt es standardmäßig nicht, einige Hersteller bieten so etwas aber als eigene Dienste an und im Market gibt es vergleichbare Apps.
Günstige Einsteiger-Smartphones, die Vielfalt an Gerätetypen, ein mächtiges Betriebssystem und der gut bestückte Market mit viel Gratis-Software: Am Ende machen alle Punkte gemeinsam den großen Erfolg von Android aus. Selbst ein Plastikhandy mit Schiebetastatur hat in dieser Android-Welt Platz und findet noch genügend Fans. Wer Appetit auf mehr hat, muss zur Top-Klasse greifen, die wir im folgenden Artikel vorstellen.
Literatur
[1] Martin Fischer, Nvidias Aufbegehren, Grafikprozessoren für Tablets und Smartphones, c’t 07/11, S. 132
[2] Jo Bager, Robo Couture, Android-Desktops mit Widgets und Launchern ausreizen, c’t 09/11, S. 174
[3] Andrea Müller, Androiden-Vielfalt, Alternative Firmwares für Android im Vergleich, c’t 04/11, S. 128
[4] Jo Bager, Achim Barczok, App-Puzzle, Software-Grundausstattung für iPhone, iPad und Android, 01/11, S. 128
[5] Jan-Keno Janssen, Zuckerbrot und DRM, Amazons Appstore für Android angetestet, c’t 09/11, S. 50
Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 11/2011.
(acb)