EU-Medienkommissarin: Web 2.0 fördert die Wissensverbreitung

Viviane Reding hat ein Loblied auf die Potenziale von sozialen Netzwerken, Blogs, Wikis und P2P angestimmt und trotz Bedenken wegen Urheberrechtsverletzungen eine Kriminalisierung des Inhalte-Mixens abgelehnt.

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Viviane Reding, die für Medien und die Informationsgesellschaft zuständige EU-Kommissarin, hat am Sonntag auf dem Jugendforum der Tagung "Telecom World" der ITU (International Telecommunication Union) in Hongkong ein Loblied auf das Web 2.0 angestimmt. Dienste und Technologien fürs soziale Netzwerken wie Blogs, Wikis oder Peer-to-Peer (P2P) werden ihrer Ansicht nach die Entwicklung der Informationsgesellschaft massiv beeinflussen. Sie "machen es viel einfacher, an der Produktion und der Verbreitung von Wissen teilzunehmen", betonte Reding. Je mehr Nutzer mitmachen würden, desto besser würden die Webdienste.

Laut der Kommissarin wirft das Web 2.0 aber auch einige Regulierungsfragen auf. So sei "Social Networking" zwar offen zugänglich, aber deswegen nicht "neutral". Die jüngsten Debatten über die Zuverlässigkeit von Wikipedia hätten gezeigt, dass es Fragen der Aufsicht und der Qualitätskontrolle gebe. Die Offenheit des Systems mache dieses zugleich angreifbar durch Minderheiten, sei aber insgesamt zu begrüßen. Ungebührliche Regulierungsaufgaben oder Zensur dürfe es im alten wie im neuen Web nicht geben. Reding betonte: "Das Internet ist frei und muss frei bleiben."

Nicht umhin kam die Kommissarin, auf die wachsenden Urheberrechtsverletzungen über das Internet allgemein und Web-2.0-Dienste im Speziellen hinzuweisen. Viele Jugendliche würden vergessen, dass es dabei nicht nur um die gut gefüllten Taschen von Industriellen, sondern auch um das Überleben von Musikern, Schauspielern, Designern und Filmemacher gehe. Andererseits sei aber auch klar, "dass unser System des Schutzes geistigen Eigentums nicht mit der Entwicklung Schritt gehalten hat". Die Produktion von Inhalten auf der Basis der Weiterverwendung vorhandener Materialien wie Sampling oder Mashups sei ein eigener kreativer Prozess "und sollte nicht an sich bestraft werden".

Die Entwickler von Open Source dürften zudem nicht von "exzessiven Strafvorschriften bedroht sein, wenn sie unabsichtlich die geistigen Eigentumsrechte verletzen, die in den von ihnen benutzten Systemen versteckt sind", griff Reding in die Debatte über die geplante Richtlinie über die strafrechtliche Durchsetzung von Urheber-, Patent- und Markenrechten ein. Generell sollten Regierungen auch "positiver auf die sozialen, kreativen und ökonomischen Vorteile der Linux-Bewegung schauen".

Gleichzeitig machte die Kommissarin ihrem Ärger über die gegenwärtige Verwendung von Systemen zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) Luft: "Microsofts Zune-Player wird nicht mit dem iPod kompatibel sein", empörte sich Reding. Sie warf die Frage auf, "ob Verbraucher wirklich im Zentrum solcher Geschäftsmodelle stehen". Generell seien die Probleme der Unterhaltungsindustrie auch selbst gemacht, da die Wirtschaft die Potenziale der digitalen Welt lange nicht habe wahrnehmen wollen. Um alle Jugendlichen an den Segnungen der Web-2.0-Technologien für die Herstellung von Verbindungen, die Kommunikation, Kollaboration und Kreativität teilhaben zu lassen, forderte die Kommissarin zudem jenseits der von ihr begrüßten, aber nicht unumstrittenen Aktion "Ein Laptop für jedes Kind" auch gleich die Versorgung aller Heranwachsenden mit Breitband-Internet. (Stefan Krempl) / (jk)