Im Datenstrom des Banalen

Selbst Kleinigkeiten im Tagesablauf stellen Nutzer mittlerweile online. Die sich daraus ergebenden Daten interessieren Netzwerke wie Facebook genauso wie Marketingfirmen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Christopher Mims

Selbst Kleinigkeiten im Tagesablauf stellen Nutzer mittlerweile online. Die sich daraus ergebenden Daten interessieren Marketingfirmen wie Wissenschaftler.

Intensive Facebook-Nutzer verraten dem Netzwerkriesen mittlerweile (fast) alles: Sie tippen ein, wenn sie einen Tee trinken, wann sie ins Kino gehen oder in welchem Restaurant sie waren. All das taucht dann in Form von Statusmeldungen im eigenen "Newsfeed" (und dem der Freunde) auf. Neue Web- und Mobilanwendungen machen es möglich, solche Daten zu visualisieren und zu Marketingzwecken zu nutzen – und Facebook selbst könnte dabei demnächst eine wichtige Rolle spielen.

Der Internet-Konzern übernahm kürzlich mit Daytum einen Anbieter solcher Dienste, der dieses "Reality Mining" in eine iPhone-App kleidet. Die Macher hinter Daytum, Nick Felton und Ryan Case, wechselten ebenfalls zu Facebook. Sie gehören zu den Pionieren dieses Trends: Jedes Jahr publiziert Felton beispielsweise einen Jahresbericht seines eigenen Lebens. Darin beschreiben Charts, Infografiken und Tabellen die Gewohnheiten und den Lebensstil des Designers bis ins kleinste Detail.

Die Daytum-App, mit der solche Daten gesammelt und grafisch aufbereitet werden können, hatte zum Zeitpunkt des Aufkaufs durch Facebook 80.000 Nutzer. Der Dienst erfasst alles, was man sich vorstellen kann – egal ob es nun die persönliche Kaffeesucht oder die Sport-Leidenschaft ist. Die App erlaubt es Nutzern, persönliche Verhaltensweisen jederzeit zu erfassen und stellt sie dann in einem attraktiven Umfeld dar, auch wenn der User selbst kein Designer ist.

Während frühere Ansätze im Bereich des Reality Mining eher ernsthafte Anwendungen wie das Sammeln medizinisch signifikanter Daten abdeckten, setzen Felton und Case auf scheinbar Banales. Selbst die Statistik der Konzertbesuche eines Jahres wird so zu einer Art Kunstwerk. "Ich denke, es gibt das Potenzial zum Erzählen von Geschichten in all diesen Daten", sagt Felton. Der Designer will sich zwar nicht äußern, wie sich das auch bei Facebook umsetzen ließe. Es sei aber "klar", dass Firmen wie der Netzwerkriese verstanden hätten, dass Reality Mining wertvoll sei.

Doch bei schicken Infografiken zum Weiterleiten an Freunde soll es nicht bleiben. Besonders Marketing- und Werbefirmen interessieren sich für die erfassten Informationen. Ted Morgan, Chef der Geodatenfirma Skyhook, vergleicht diesen Trend mit der Quotenmessung beim Fernsehen, nur dass sich dies nun auf ganz andere Lebensgewohnheiten erweitere. "Da wird dann gespeichert, wohin man geht und was man tut. Marketingfirmen werden Freiwillige dafür bezahlen, daran teilzunehmen."

Start-ups wie Locately experimentieren damit bereits. Die Firma bietet Nutzern Sonderangebote an, wenn sie sich bereiterklären, Verhaltensdaten weiterzugeben. Dazu gehört etwa die Freizeit- und Einkaufsgestaltung. Interessierte Abnehmer aus der Marktforschung gibt es bereits.

Felton ist sich sicher, dass es hier höchst interessante Daten "abzubauen" gibt. "Wenn man die Menschen nach einer Selbsteinschätzung fragt, stimmt die meistens nicht ganz." Beispielsweise zeige sich beim Überprüfen des TV-Konsums häufig, dass Nutzer mehr Sendungen sehen, die sie gar nicht als ihre Lieblingsformate angeben.

Neben dem Einsatz des Reality MIning im Marktforschungsbereich, der manchem Datenschützer noch graue Haare bescheren dürfte, sehen Felton und Case noch andere Anwendungen. Vielleicht, meinen die Designer, könne die Technik auch zu neuartigen Freundesnetzwerken führen, bei denen Menschen zusammenfinden, die wirklich die gleichen Interessen haben. "Die Frage ist nur, wie sehr das einem dann gefällt. Manchmal hassen wir es auch, uns selbst zu treffen." (bsc)