Deutschland und Ă–sterreich starten Polizei-Datentransfer

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat mit Amtskollegen aus sechs EU-Staaten eine Vereinbarung unterzeichnet, die einen umfangreichen Datenaustausch unter Strafverfolgern erlaubt. Wien und Berlin machen den Anfang.

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat am heutigen Dienstag in Brüssel am Rande des Treffens der EU-Innenminister mit Amtskollegen aus sechs EU-Staaten eine Vereinbarung unterzeichnet, die einen umfangreichen Datenaustausch unter Strafverfolgern erlaubt. Es handelt sich um eine Durchführungsregelung zum so genannten Vertrag von Prüm (PDF-Datei). Mit dem völkerrechtlichen Konstrukt von 2005 wollen Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlanden, Österreich und Spanien zunächst im Alleingang eine neue Phase zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Bekämpfung des Terrorismus, der Kriminalität und der illegalen Migration begründen und die Kontrollmöglichkeiten im Schengen-Raum erweitern.

Kernpunkt des Vertrages ist eine Maßgabe, wonach sich die beteiligten Staaten untereinander einen automatisierten Zugriff auf bestimmte nationale Polizei-Datenbanken gewähren. Statt der Einrichtung eines aufwendigen zentralen Systems wie beim gegenwärtig laufenden Ausbau des Schengener Informationssystems zum SIS II werden dabei die bestehenden nationalen Datenbanken vernetzt. "Die heute unterzeichnete Durchführungsvereinbarung regelt den elektronischen Austausch von Daten online zwischen den Vertragsstaaten", erläuterte Schäuble den jetzt erreichten Schritt. Sie umfasst Detailregelungen zum elektronischen Austausch von DNA-, Fingerabdruck- und Fahrzeugregisterdaten und gibt weitere Informationen für die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit. Zusätzlich zum Datentransfer können zur Intensivierung der Kooperation laut dem Innenministerium auch gemeinsame Einsätze durchgeführt werden.

Den konkreten Anfang machen Deutschland und Österreich mit dem elektronischen Austausch von DNA-Daten. Die österreichische Innenministerin Liese Prokop sprach in diesem Zusammenhang von einem erreichten "Meilenstein der Polizeizusammenarbeit". Die österreichischen Behörden könnten umgehend mit einem Massenabgleich von DNA-Spuren in Deutschland beginnen. Derzeit gebe es in der Alpenrepublik rund 12.000 unzugeordnete Datensätze. Prokop geht davon aus, dass 100 davon nun "sofort gelöst sind". So habe sich bei einem Probelauf herausgestellt, dass ein in Österreich in einem Mordfall Gesuchter in Deutschland bereits getötet worden sei, gab die Ministerin ein Beispiel. Der Datenaustausch betreffe alle Arten von Verbrechen, bei denen DNA-Spuren gesammelt werden. Sobald möglich werde Österreich auch mit Spanien wechselseitig DNA-Spuren austauschen, das dortige System sei technisch aber noch nicht bereit.

Schäuble kündigte an, Berlin werde während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Halbjahr versuchen, "den Vertrag von Prüm in den Rechtsrahmen der Europäischen Union zu überführen". Die Ratifikationsverfahren weitere Beitrittsländer wie Finnland, Italien, Portugal und Slowenien für das auch als "Schengen III" bekannte Übereinkommen seien schon sehr weit fortgeschritten. Positiv hervorzuheben bei dem Vertrag seien umfassende modernen Datenschutzregelungen, die als neuer Maßstab für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch gälten. Beispielhaft führt der CDU-Politiker das "Hit-/No Hit"-Verfahren zur Vermeidung der Übermittlung personenbezogener Daten, die Zweckbindung der erhaltenden Daten, die Verpflichtung zur Richtigkeit, Aktualität oder Speicherungsdauer der Informationen, umfassende Dokumentations- und Protokollierungspflichten sowie ferner Auskunfts- und Schadensersatzansprüche der Betroffenen an.

Datenschützer wie der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) sehen aber auch Schatten bei der Schengen-Ergänzung. Er spricht von einem "Paradigmenwechsel bei der polizeilichen Zusammenarbeit, indem die Datenbanken der Polizei zum gegenseitigen Abruf bereit gestellt werden". Hinsichtlich des Datenschutzniveaus bei den Abfragern werde dabei letztendlich auf das jeweilige nationale Datenschutzrecht verwiesen. Als Mindeststandard würden die Empfehlungen des Europarates aus dem Jahr 1987 herangezogen, die ausdrücklich nicht den Anspruch auf Verbindlichkeit erheben. Generell werde "ohne ersichtliche tatsächliche Prüfung unterstellt, dass das Datenschutzniveau in den beteiligten Ländern schon ausreichend sein dürfte".

"Datenschutz und polizeilicher Datenaustausch sind zwei Dinge, die in der Praxis wenig miteinander zu tun haben müssen", erläutert Weichert seine Kritik. "Wer die polizeiliche Datenverarbeitung in Deutschland kennt und die Nichtbeachtung der Kennzeichnungs- und Zweckbindungspflichten, der wird begründete Zweifel haben, dass sich dies in Deutschland nach Inkrafttreten des Vertrages von Prüm ändern wird und dass dem in den anderen Vertragsstaaten Folge geleistet werden wird." Die Übereinkunft sei insofern ein weiterer Beleg eines äußerst beklagenswerten Umstandes – des Fehlens von verbindlichen Datenschutzstandards innerhalb der EU im Bereich der inneren Sicherheit. Selbst wenn der derzeit als Entwurf vorliegende EU-Rahmenbeschluss für den Datenschutz im Bereich der Strafverfolgung anwendbar würde, könnte kaum eine materielle Verbesserung erreicht werden. (Stefan Krempl) / (jk)